HochwasserDas Wasser sitzt in Schlebusch und Opladen noch tief in den Seelen

Lesezeit 6 Minuten
Autos stehen nach dem Hochwasser in einem See aus braunem Wasser..

Die Malteser haben das Café Leuchtturm an der Dechant-Fein-Straße eröffnet: So sah es hier im Juli 2021 aus.

Was hat das Hochwasser im Juli 2021 mit den Menschen gemacht? Ein Besuch im Schlebuscher „Café Leuchtturm“

Manchmal stehe ich in meiner neuen Wohnung, schaue mich um und denke: Ist das wirklich deins? Es sind alles Möbel, die ich mir ausgesucht habe. Aber ein Zuhause wächst ja über die Jahre. Und ich habe bei null angefangen. Dann frage ich mich: Hast du das alles wirklich verarbeitet?

Das ist die Frage, die sich alle hier stellen, im „Café Leuchtturm“, dem von den Maltesern neu ins Leben gerufenen Treff für Betroffene der Flutkatastrophe 2021. Einige können die Frage klar mit „Nein“ beantworten. Tränen fließen. „Ich kann noch nicht darüber sprechen. Ich habe noch Probleme“, sagt eine Frau, deren Namen hier ebenso wenig genannt wird wie alle anderen. Sie erzählen zwar ihre persönlichen Geschichten, zeigen damit aber, wie tief das Wasser in das Gedächtnis und die Seelen der Stadtgesellschaft eingesickert ist. Vor allem in die der Schlebuscher und Opladener.

Ich hatte Handwerker im Haus. Als der am Nachmittag fahren wollte, sagte er: Sie haben Wasser in ihrer Einfahrt stehen. Also habe ich mein Auto in eine Seitenstraße gefahren. Da kam eine steinalte Frau vorbei und sagte: Wollen sie ihr Auto hier stehen lassen? Das wird mehr! Ich dachte: Die spinnt, die Alte. Zu Hause sah ich, dass das Wasser wirklich stieg. Und habe mein Auto noch einmal umgeparkt. Als ich zurückkam, war eine zweite Wupper auf der Bielertstraße. Ich war auf der falschen Straßenseite. Ich habe einem Nachbarn gesagt, er soll mich beobachten, wenn ich da durch gehe und Hilfe rufen, falls ich untergehe. Sie ist nicht untergegangen. Ihr Auto auch nicht. Aber ein Teil ihres Zuhauses. „Was brauchen Sie? Was wünschen Sie sich von diesem Treffen?“, fragt Oliver Hinrichs, Stadtbeauftragter der Malteser, in die Runde. Klar, der Austausch mit anderen Betroffenen hilft, auch der psychosoziale Dienst soll künftig zu einem Treffen eingeladen werden. Aber schnell wird klar, dass bei vielen Fragen offen sind, die in den Wunden reiben.

Alles zum Thema Hochwasser, Überschwemmung und Flut

Nachmittags hatten wir etwas Wasser im Keller unseres Hauses an der Von-Diergarth-Straße. Wir haben dort eine kleine Pumpe, die haben wir angestellt. Irgendwann haben wir mitbekommen, dass das der Oulusee ist, den wir da aus unserem Keller pumpen. Es waren vielleicht 20 Zentimeter, mit der Pumpe sind wir gut klargekommen. Es war alles überschaubar, ich habe mir keine Sorgen gemacht. Bis eine Nachbarin am Abend sagte: Schau mal zur anderen Seite raus. Da kam dann die Dhünn. Warum sind keine Sirenen gegangen? Dann wäre ich alarmiert gewesen, hätte genauer geguckt, was um mich herum passiert. Ich hätte nachmittags anfangen können, den Keller auszuräumen, Dinge zu sichern. Weil alles so überschaubar wirkte, habe ich es nicht getan. Und dann war es zu spät.

Die Frage nach den Sirenen treibt auch eine Frau um, die während der Flutnacht mit ihrem Sohn in Wuppertal telefonierte. Da heulten die Sirenen, er wusste, dass die Wuppertalsperre geöffnet werden würde. „Warum Opladen nicht?“, fragt sie. Malteser-Chef Tim Feister glaubt nicht, dass ein Sirenen-Alarm viel gebracht hätte. „Wir hatten damals ein ganz anderes Bewusstsein in der Bevölkerung. Ich glaube, selbst ich hätte mir nichts dabei gedacht, wenn ich Sirenen gehört hätte. Heute sind wir da viel weiter, mit der Erfahrung der Flut sind die Menschen sensibler geworden.“ Es sei ein positiver Aspekt, dass der Katastrophenschutz jetzt mehr in das Bewusstsein rückt – auch der Regierung. Cell Broadcasting – der flächendeckende Alarm über Mobiltelefone – sei in vielen Nachbarländern schon lange etabliert. „Dass wir es jetzt auch in Deutschland haben, ist ein überfälliger Schritt“, lobt Feister. Die Frau aus Opladen allerdings steht noch ganz anders zum Sirenen-Alarm.

Ich glaube, wenn in der Nacht in Opladen Sirenen angegangen wären, dann wäre Panik ausgebrochen. Dann hätte es Verletzte und Tote gegeben.

Auch die Schuldfrage lässt vielen Betroffenen keine Ruhe. „Ich habe mich einem Anwalt angeschlossen, der herausfinden wollte, ob der Wupperverband unkontrolliert Wasser aus der Dhünntalsperre abgelassen hat“, berichtet eine Frau. Ohne Erfolg. „Es gibt ein offizielles Gutachten, das bestätigt, dass dort nicht unkontrolliert abgelassen wurde“, bestätigt Feister. Doch die Gruppe hat Zweifel, auch daran, ob der Wupperverband seiner Aufgabe nachkommt, Totholz aus den Flussläufen zu entfernen. „Vielleicht laden wir mal jemanden vom Wupperverband ein, der das erklären kann“, schlägt Feister vor. Denn auch wenn an diesem Nachmittag vor allem zurückgeblickt wird, umtreiben viele auch die Sorgen vor der nächsten Katastrophe.

Ich wünsche mir, dass wir uns gemeinschaftlich zum Hochwasserschutz zusammentun. Von Stadt und Land haben wir da nicht mehr viel zu erwarten. Den Bau des Dhünndeiches sehe ich zwiegespalten. Erst hieß es: Der hätte ohnehin nicht gereicht. Dann kam ein Gutachten, dass er doch gereicht hätte. Ich bin nicht sicher, was der beim nächsten Hochwasser bewirkt, wo das Wasser dann hingeleitet wird.

Auch persönliche Vorsorge soll ein Thema in einem der nächsten Treffen sein. Da könne jemand vom Katastrophenschutz kommen und berichten, was man für den Notfall zu Hause haben sollte. „Aber auch Sie können mit Ihren Erfahrungen anderen helfen: Was würden Sie heute anders machen?“, fragt Hinrichs. „Eines meiner besten Weihnachtsgeschenke war ein batteriebetriebenes Radio“, sagt eine Frau. Fotoalben und Tagebücher würden nie wieder in die unteren Regalbretter kommen, eine andere. Und elektrische Rollläden bleiben oben.

Ich saß zwei Tage lang im Dunkeln. Strom hatten wir ja ohnehin nicht, aber ich hatte auch noch die elektrischen Rollläden heruntergefahren. In der Annahme, die könnten das Wasser abhalten. Lächerlich, ich weiß. Aber ohne Strom gingen die nicht mehr hoch und es war auch tagsüber dunkel. Nach zwei Tagen sagten meine Kinder: Dein Schaden hier ist so groß, da machen ein paar Rollläden auch nichts mehr aus. Und dann haben wir sie zertrümmert.

Die Gerüche, die in Erinnerung bleiben, sind allesamt übel. „Diese braune Grütze, die bekommt man nicht mehr aus der Nase raus.“ Die Bilder aber sind nicht alle schlecht.

Ich stand mit meinen drei Schwiegersöhnen, alles starke Männer, vor einer Schrankwand. Die bekommen wir da nicht raus, haben sie gesagt. Plötzlich standen fünf Handballerinnen vom TuS Opladen vor der Tür. Und die haben sie einfach abgerissen und weggetragen. Da haben die Jungs nicht schlecht gestaunt.

Die Geschichten von der großen Hilfsbereitschaft, von Fremden, die Pumpen anschleppen und Brötchen schmieren oder vom Freund des Sohnes, der nach Wochen die Daten der triefend nassen Festplatte gerettet hat – sie sind es, die die Gruppe mit einem Lächeln im Gesicht auseinander gehen lassen. „Wir sollten so ein Treffen für unsere Leute auch noch einmal machen“, stellen Feister und Hinrichs nach Ende des ersten „Café Leuchtturm“ fest. Denn auch wenn mit der Explosion bei Currenta nur zwei Wochen nach der Flut und dem Krieg in der Ukraine und der damit verbundenen Flüchtlingshilfe viele neue Aufgaben die Helfer fortwährend in Anspruch genommen haben: Das Wasser sitzt noch tief in den Seelen.


Das nächste "Café Leuchtturm" findet am 25. Januar ab 15 Uhr in den Räumen der Malteser, Dechant-Fein-Straße 11, statt. Erneut soll ein offener Austausch stattfinden, ab Februar sind zusätzliche Programmpunkte mit geladenen Gästen zu speziellen Themen vorgesehen. Eingeladen sind alle von der Flut Betroffenen, auch wenn nicht das eigene Haus unter Wasser stand. Auch Helfer oder Menschen, die durch die Flut Austauschmöglichkeiten, etwa durch die Treffs im alten Bürgermeisteramt verloren haben, sind willkommen, Informationen bei Fluthilfebüroleiterin Bettina Heuschkel unter fluthilfe.leverkusen@malteser.org oder Telefon: 0214 20649224 

KStA abonnieren