Identifikationsfiguren im Porträt

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Die Ausstellung ist noch bis Ende des Monats im Baykomm zu sehen.

Die Ausstellung ist noch bis Ende des Monats im Baykomm zu sehen.

Für Homosexuelle und Bisexuelle, Transgender und andere Menschen, deren Geschlecht oder Sexualität nicht heteronormativ einzuordnen ist, gibt es verschiedene Abkürzungen. Zumeist wird die Community durch die Buchstaben LGBTQ* bezeichnet. In Deutschland verwendet man LSBTTIQ* (Lesbisch, Schwul, Bisexuell, Trans, Transsexuell, Intersexuell, Queer, und das Sternchen für Menschen, die ihre Identität nicht festlegen möchten). Anfang Juli wurde der „Pride-Monat“ gefeiert, mit der Christopher-Street-Day-Parade als Höhepunkt. Die LSBTTIQ* zeigen sich, feiern gemeinsam und protestieren für mehr Akzeptanz auf der ganzen Welt.

Die Begriffe „schwul“, „lesbisch“ und „bisexuell“ wurden erst Ende des 19. Jahrhunderts geschaffen. Dennoch gab es in der Geschichte schon immer unterschiedliche sexuelle Ausrichtungen und uneindeutige Geschlechter. Die globale Gemeinschaft „BLEND“, im Bayer-Konzern entstanden, macht mit dem Projekt „100 Prozent Mensch“ und der Wechselausstellung „We Are Part Of Culture“ auf die Diversität aufmerksam. Die Ausstellung zeigt Identifikationsfiguren, will sensibilisieren und die „stillschweigende Heterosexualisierung der Geschichte“ aufbrechen.

Vor zwei Jahren waren die Kunstwerke für zehn Tage an großen Bahnhöfen für ein immens großes Publikum zu sehen. Das Baykomm hat acht Bilder der Ausstellung nun bis Ende August nach Leverkusen geholt. Große Porträts bekannter Persönlichkeiten der letzten 2000 Jahre, die sich in LSBTTIQ* einordnen lassen, wurden bei den verschiedensten Künstlern in Auftrag gegeben. Dabei stützten sich die Organisatoren auch auf Kommentare, Tagebucheinträge und Legenden. Ralf König, der bekannte Kölner Cartoonist, zeichnete zum Beispiel zwei Figuren der Antike: Alexander der Große und Sappho.

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Die insgesamt mehr als dreißig Porträts sind in den Farben Rot, Weiß, Schwarz und Grau gehalten; durch das farbliche Stilmittel wird den Kunstwerken eine gemeinsame Klammer gegeben. In den deutlich unterschiedlichen Umsetzungen kann man auch die persönlichen Geschichten lesen, die die Künstler mit den Dargestellten teilen. Jeder spielt trotz Rahmengebung mit dem eigenen Stil.

Das Porträt von Käthe Kollwitz, geschaffen von Jens Emde, besteht bei näherem Betrachten aus kleinen abstrusen Tierchen. Die surrealen Monster bilden ein Schattenwurf-Bild der selbstbewusst blickenden Künstlerin. Kollwitz selbst soll gesagt haben, Bisexualität sei für künstlerisches Tun fast notwendige Grundlage. Es ist faszinierend, welche Geschichten hinter den Porträts der bekannten Persönlichkeiten stehen, und wie diese selbst unsere heutige Gesellschaft beeinflusst haben.

Alan Turing, der im zweiten Weltkrieg den Enigma-Code geknackt hat, wird von Chris Fleming in einer Street-Art-Technik vor Zahlencodes abgebildet. Der britische Informatiker war homosexuell in einer Zeit, in der die gleichgeschlechtliche Sexualität in Großbritannien verboten war. Er wurde dazu gezwungen, sich chemisch kastrieren zu lassen. Seine Identität wurde dadurch gebrochen.

Auch der berühmten Feministin Simone de Beauvoir ist ein Porträt gewidmet; sowie Thomas Mann und drei seiner Kinder, Erika, Golo und Klaus Mann. Man merkt: Die Sexualität setzt auch kreative Kräfte frei. Thomas Mann beispielsweise hat viele homoerotische Fantasien in seiner Literatur ausgelebt, nicht aber im realen Leben. Es scheint sogar notwendig, vor allem unterdrückte Sexualität „in der Kunst auszudrücken, um nicht verrückt zu werden“, wie es Tanja Gromotka-Nepute vom Baykomm formuliert. Und auch für die Rezipierenden wird die entstehende Kunst wieder zur Lebenshilfe, denn: „Literatur kann uns Mut machen.“ Das lässt sich auch auf andere Kunstformen übertragen.

Die Ausstellung wird stetig erweitert und ist noch bis zum 30. August im Baykomm zu sehen, für Bayer-Mitarbeiter werden Führungen organisiert. Alle Bilder, Künstler und dahinterstehende Biografien kann man auch im Internet betrachten und nachlesen. wearepartofculture.de

AM ANFANG STAND EIN ROSA WIMPEL IM KASINO

Homosexuelle haben sich bei Bayer schon vor langer Zeit offen bekannt. Siegfried Rath, Betriebsrat und Mitarbeiter der Immobilientochter Real Estate, erinnert sich an einen Tisch im Kasino, auf dem ein rosa Wimpel stand. „Die Initiative ging übrigens von den Arbeitern aus – die Angestellten waren da noch lange nicht so weit“, berichtet Rath. Im Vorstand von Bayer steht das Thema weit oben auf der Tagesordnung. Arbeitsdirektor Hartmut Klusik betont, „dass wir unser Bekenntnis zu Vielfalt und Inklusion sehr ernst nehmen.“ Die heutige Organisation BLEND, in der sich Mitarbeiter mit queerem Hintergrund engagieren, hat mehrere Vorläufer. Bei Schering in Berlin hatte sich vor zwei Jahrzehnten die „Regenbogengruppe“ formiert, an Bayers US-Standorten Angle-B. Bei Bayers Neuerwerbung Monsanto habe Diversität und Inklusion übrigens große Bedeutung, ergänzt Klusik. Klar sei: „Wir machen das nicht, weil es so schön bunt ist wie die Regenbogenfahne, sondern weil es letztlich auch gut fürs Geschäft ist.“ (tk)

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