„Lauschangriff“ mit Jörg van den BergLeverkusener Museumschef: „Techno geht immer“

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Gibt Einblicke in seine heimische Musiksammlung: Morsbroichs Museumsdirektor Jörg van den Berg.

Leverkusen – Wer das Haus im Duisburger Stadtteil Buchholz betritt, sieht sofort: Hier lebt ein Mensch, der es mit der Kunst hat. Der Flur ist klein und eng und es ist, ohne auch nur einen Seitenblick zuzulassen, die Treppe rauf ins nächste Geschoss, die sofort in ihren Bann schlägt. Die Wände, an denen sie sich entlangwindet, hängen voller Bilder: Fotografien, Zeichnungen, Gemälde – all das, was kunstaffine Menschen eben so mögen und sammeln. Und Jörg van den Berg hatte in seinem bisherigen Leben ja schon zig Gelegenheiten, Kunst zu sammeln. Als Kunstwissenschaftler. Als Direktor der Großen Kunstschau Worpswede. Und seit 2021 als Chef des Museums Morsbroich.

Und doch widmet sich der Mann neben dem Kuratieren von Ausstellungen und dem Erdenken neuer Museumskonzepte wie derzeit in Leverkusen auch noch anderen Sparten der Kunst: Der Lyrik etwa – Bücher füllen bei ihm Regalmeter, „die Belletristik schraubt sich langsam nach oben“, und sogar ein separates Lyrikzimmer mit 1200 Bänden gibt es, wie er mit einem Tonfall zwischen Stolz und Selbstbelächeln sagt. Und dann ist da noch: die Musik.

Schlüsselerlebnis mit Westbam

Vor allem Musik sogar, denn die hat seiner Meinung nach einen entscheidenden Vorteil gegenüber der bildenden Kunst oder der Literatur: „Sie verschafft kollektive Erlebnisse.“ Anhand seiner musikalischen Sozialisation kann man genau das sehr schön sehen: Jörg van den Berg, Jahrgang 1965, wuchs in den 80ern und 90ern nämlich vor allem mit Techno und Electro auf. Soll heißen: Besuche bei den großen Raves wie der „Mayday“ in Dortmund waren Pflicht.

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Hier hört er Musik: Jörg van den Berg vor der Stereo-Anlage im Musik- und Wohnzimmer seiner Duisburger Wohnung.

Und sie bescherten ihm einen jener Momente inmitten der Menge, die wohl nur Menschen kennen und zu schätzen wissen, die Musik wirklich mit Haut und Haaren goutieren, als lebenswichtig erachten und mit Vorliebe aus Fan-, Wissenschafts- und Philosophensicht – alles gleichzeitig – über sie sprechen: „Es war bei einer ,Mayday' in der Westfallenhalle. Zuerst hatte Paul van Dyk aufgelegt“, eher routiniert und unemotional, wie Jörg van den Berg sagt. Also: Beat, Break, Drop, Beat – und wieder von vorne.

„Aber dann kam Westbam und schaffte in seinem Set plötzlich einen gewaltigen Dreh: Er jagte einen Bass aus den Boxen, der voll traf. Ich schaute danach als erstes an mir herunter, weil ich wirklich physisch zu spüren glaubte, ein Loch im Bauch zu haben.“ Die Gewaltigkeit der Musik eben. Sie beeindruckt ihn bis heute. „Techno“, sagt er, „geht immer.“

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Ein Produzent als Pre-Selector

Indes: Techno geht nicht mehr exklusiv immer. Denn was noch geht für Jörg van den Berg, das ist einerseits die Klassik: CDs mit Schuberts gesamtem Werk, mit den Kompositionen modernerer Meister wie Leonard Bernstein oder Benjamin Britten, mit den weltberühmten Goldberg-Variationen Glenn Goulds stehen im CD-Regal mittlerweile über der Electro-Abteilung.

Und das sind andererseits durch die Bank weg Tonträger des Labels ECM für zeitgenössischen Jazz und zeitgenössische Klassik. An dem hat Jörg van den Berg einen Narren gefressen. „Eigentlich kaufe ich sogar nur noch CDs und Platten aus diesem Hause.“ Warum? Weil er ECM-Gründer und Musikproduzent Manfred Eicher als Kurator und „Pre-Selector“ seiner Sammlung „blind“ vertraue. „Ich mag seine Vision von Musik.“

„Eicher bringt Dinge zusammen, die erstmal nicht zusammenzugehören scheinen.“ Etwa den Pianisten von Weltrang Keith Jarret und den Violinisten Gidon Kremer. Oder den Jazz-Saxofonisten Jan Garbarek und das englische Hillard Vokalensemble für alte Musik. Motto: „Ich setze euch mal zusammen in eine Kirche und wir schauen, was dabei herauskommt.“ Zudem sei Manfred Eicher ein akribisches Ton-Genie: „Er verschiebt bei Aufnahmen das Mikrofon um wenige Zentimeter, weil er Dinge hört, die nicht mal die Musizierenden hören – und bewirkt damit Großes.“ Genau so, sagt Jörg van den Berg, verstehe er auch seine Ausstellungsarbeit: Zusammenbringen, Neues schaffen, Experimentieren, Nuancen als wichtig erachten. 

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„Nicht einer hat gehustet“: Die Musik von Björn Meyer auf dem Electro-Six-String-Bass bescherte Jörg van den Berg und anderen bereits einizgartige Konzerterlebnisse.

Six-String-Bass und Cello-Duos

Entsprechend sind es auch CDs aus dem Hause ECM, die Jörg van den Berg zuletzt prägten und die er in seinem heimischen, langgezogenen Wohn- und Musikzimmer mit älterer Stereoanlage und neuem Plattenspieler auflegte. Etwa die Einspielung von Werken des ukrainischen Komponisten Valentin Silvestrov auf zwei Cellos. Oder „Provenance“ des Musikers Björn Meyer, der seinem elektronischen Six-String-Bass mitunter seltsame, faszinierende, zarte und doch maximal eindrückliche Töne zu entlocken vermag.

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Valentin Silvestrovs "Hieroglyphen der Nacht“ gespielt von einem Cellistinnen-Duo ist für Jörg van den Berg reizvoll, da ihm die Aufnahme stille Momente der Musik beschert.

Bei einem Konzert Meyers habe er einmal erlebt, wie fesselnd dessen Musik sei: „Ich dachte zuerst: Das wird nicht gutgehen. Aber dann hat eineinhalb Stunden lang nicht ein Mensch gehustet vor Konzentration und Ergriffenheit.“ Oder die Cello-Einspielungen der Bach-Suiten von Thomas Demenga: „Die zu hören, war für mich sogar die bislang letzte schockartige Wirkung, die Musik bei mir ausgelöst hat.“

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Eberhard Blums „Japan Flute“ brachte den Morsbroicher Museumschef dazu, sich eine Querflöte zu kaufen.

Das erste eigene Instrument

Und nach dem Hören der CD „Japan Flute“ von Eberhard Blum „musste“ sich Jörg van den Berg sogar eine Querflöte kaufen. „Mein erstes Instrument überhaupt. Als vollkommen unmusikalischer Mensch“, sagt er. „Aber es ging nicht anders.“

All diese Tonträger jedenfalls bewiesen dem Morsbroicher Museumschef: „Die Stille in der Musik existiert. Solche Künstlerinnen und Künstler geben mir Hoffnung, dass Menschen auch Ruhe suchen und Zeit einfordern in einer Welt, die immer schneller getaktet ist.“ Deshalb liebe er gerade das Daheimsitzen alleine für sich. „Dann bin ich mein eigener DJ, habe den Stecker nach draußen gezogen, bleibe sitzen und lasse alle anderen rennen.“ Kurzum: Zeit und Futter für die Seele. Der Musik sei Dank.

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