ProzessSo kommt der Staat auf 2,2 Millionen Euro Schaden durch Oplader Trockenbauer

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Der Eingangsbereich des Kölner Landgerichts

Der Prozess gegen einen Opladener Trockenbauer, der 2,2 Millionen Euro Steuern und Abgaben hinterzogen haben soll, geht vor dem Kölner Landgericht auf die Zielgerade.

Bilden die Stundenzettel die Wirklichkeit ab? Oder ist der von den Behörden berechnete Steuer- und Abgabenbetrug in Wahrheit viel geringer? Die Richter müssen sich in Details verbeißen. 

Es kann nur noch um Schadensbegrenzung gehen. Denn dass er nur für wenige seiner Leute Steuern und Sozialabgaben abgeführt, manche sogar zum Schein bei einer Firma am Mittelrhein angestellt hatte, hat der Chef einer Opladener Trockenbaufirma ja schon in der Untersuchungshaft zugegeben. Umso mehr Zeit nimmt sich nun die 12. Große Strafkammer am Kölner Landgericht, die Berechnung des Schadens für das Finanzamt, die Renten-, Arbeitslosen- und Krankenversicherungen nachzuvollziehen. Nicht zu vergessen die Sozialkasse für das Baugewerbe. Dort war der Opladener mit nordmazedonischen Wurzeln zwar ordnungsgemäß angemeldet. Aber auch dort gingen natürlich zu geringe Beiträge ein.

Das System der Sozialversicherung ist mit rund 1,3 Millionen Euro sogar noch mehr geschädigt worden als das Finanzamt, dem rund 955.000 Euro Steuern entgangen sind. Sofern denn die Annahmen der Behörden stimmen. 

Die Stundenzettel bleiben Dreh- und Angelpunkt

Genau das streitet der Beschuldigte ab. Denn alle Berechnungen stützen sich auf Stundenlisten, die der Unternehmer zwar geführt, deren Relevanz er aber vom ersten Verhandlungstag an sehr relativiert hat: „Nur so, pro forma“ – das waren die Vokabeln, mit denen die umfänglichen Aufstellungen vor Gericht bisher klassifiziert wurden. Und zwar nicht nur vom Beschuldigten, sondern auch von allen Beschäftigten, die als Zeugen geladen waren. Gezahlt wurde – das ist bei Trockenbauern üblich – nach Quadratmetern.

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Allerdings hat der Zoll bei seiner Razzia am 4. November 2020 darüber keine detaillierten Unterlagen in der Firma gefunden. Es gibt nur einige „Abdeck-Rechnungen“, die von den Auftraggebern beglichen wurden. Daraus aber Rückschlüsse auf die tatsächlichen Löhne der Angestellten zu ziehen, das sei nicht möglich, wird von den Behörden argumentiert.

Am Freitag leitet Michael Blank vor Gericht her, wie die Deutsche Rentenversicherung den Schaden berechnet hat. Auch sie hat sich auf die Stundenlisten gestützt, deren Bedeutung der Unternehmer so herunterspielt. Die Aussage des Zeugen aus Berlin gerät unter der wieder sehr verbindlichen Leitung des Vorsitzenden Richters Hans-Wilhelm Oymann nebenbei zu einem kleinen Seminar über das komplexe deutsche Steuer- und Abgabenrecht.

Die unerfreuliche Steuerklasse VI

Blank erklärt, warum bei der Berechnung der entgangenen Abgaben die ungünstigste, nämlich die Steuerklasse VI, zugrunde gelegt wird: Man müsse davon ausgehen, dass die Tätigkeit beim Opladener Trockenbauer ein Zweit-Job ist, „wenn wir keine Angaben haben“. Das bedeutet: Es gibt keinen Freibetrag und auch sonst keine Entlastungen; Steuern und Sozialabgaben werden vom ersten Euro an fällig. Und das wiederum treibt im vorliegenden Fall von Hinterziehung in 256 Fällen den Schaden weiter in die Höhe. 

Die bei Arbeitnehmern verhasste Steuerklasse VI haben Blank und die Prüfer des Finanzamts auch bei den Aushilfen zugrunde gelegt, sobald sie laut der Stundenlisten mehr als 450 Euro im Monat bekommen haben. Das war in den Jahren zwischen 2016 und 2020 die Obergrenze für Mini-Jobs. Auch das hat den Schaden für das Sozialsystem weiter erhöht. Die Prüfung der Stundenlisten habe „locker zwei Wochen gedauert“, sagt Blank mit Blick nur auf seine Tätigkeit in dem Fall.

Trotzdem scheint die Auflistung nicht komplett fehlerfrei zu sein. Dem Verteidiger des Unternehmers, Markus Bündgens, sind jedenfalls ein paar Ungereimtheiten aufgefallen. Also bekommt Blank eine Liste mit den Daten des Zolls ausgehändigt, auf deren Grundlage gerechnet wurde. Das Papier ist mit mikroskopisch kleinen Angaben bedruckt. Blank kennt das und zückt eine Lupe, während Bündgens auf seinem iPad die Finger spreizt.

Tatsächlich scheinen Details nicht ganz richtig zu sein. An der Richtigkeit des Systems ändert das aus Sicht des Zeugen von der Rentenversicherung aber genauso wenig wie die eigenen Steuer- und Abgaben-Berechnungen des Verteidigers und seiner Assistentin. Sie kommen auf niedrigere Beträge, was angesichts der 256 Fälle den Schaden womöglich nicht unbeträchtlich verringern würde. Blank versichert, das Programm, mit dem er arbeite, werde jedes Jahr aufs Neue geprüft und an die sich stetig ändernden Regeln des Steuerrechts angepasst. Schließlich ist die Rede von den unterschiedlichen Beitragsbemessungsgrenzen für die Kranken-, Renten und Arbeitslosenversicherung. Das macht es noch schwieriger, die Berechnungen nachzuvollziehen – wobei Blank gerne helfen will.

Ob es dazu kommt, bleibt am Freitag vor dem Kölner Landgericht offen. Am Montag geht es weiter in dem komplizierten Fall.  

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