AboAbonnieren

Prozess um Sozialbetrug in Leverkusen„Der Steuerzahler fühlt sich verarscht“

Lesezeit 3 Minuten
Porsche, Rolls-Royce, Mercedes der Leverkusener Großfamilie in einer Halle des Abschleppunternehmens Schwientek

Porsche, Rolls-Royce, Mercedes: Teure Autos gehörten dazu für die Leverkusener Großfamilie. Im März 2018 stellte die Polizei einige davon sicher und beim Abschleppunternehmen Schwientek unter.

Der Deal mit dem Gericht hat die Aufarbeitung des jahrelangen Betrugs durch die Großfamilie beschleunigt. Gefängnis droht nur dem Mann.

Selbst der Anwalt räumte ein: „Der Steuerzahler fühlt sich verarscht“, sagt am Mittwoch Jonas Bau im Kölner Landgericht. Er verteidigt die Frau, deren Unterschrift unter den meisten der 14 Anträge auf Hilfe zum Lebensunterhalt steht, die zwischen 2014 und 2019 beim Leverkusener Jobcenter gestellt wurden.

Dem Ehepaar aus der Großfamilie und seinen vier Kindern wurden in dieser Zeit knapp 170.000 Euro überwiesen. Dabei erzielte der Familienvater auch in dieser Zeit erhebliche Einnahmen – wenn auch nicht mit ehrlicher Arbeit, sondern durch Betrügereien, für die er später ins Gefängnis musste. Rund 45.000 Euro Bargeld sind geflossen; das hat sich in anderen Prozessen herausgestellt.

Deal mit Vorsitzenden: Wiesdorfer Paar sollte Geständnisse ablegen

Weil sich die Aufarbeitung dieses systematischen Sozialbetrugs seit vielen Jahren hinzieht, hatte sich die Vorsitzende der 16. Großen Strafkammer, Sabine Grobecker, schon kurz nach Beginn des Prozesses Mitte März auf einen Deal eingelassen. Ein Teil der in der Anklageschrift erfassten 14 Fälle wurde ausgeklammert, die Verfahren somit eingestellt. Unter der Bedingung, dass von dem Wiesdorfer Paar Geständnisse kommen.

Alles zum Thema Amts- und Landgericht Köln

Das war ein bewusstes Ausnutzen des Sozialstaats.
Staatsanwältin

Die kamen dann tatsächlich, und so mussten in den Plädoyers gar nicht mehr viele Worte gemacht werden. Es ging „nur noch“ um rund 30.000 Euro Sozialhilfe, die zu Unrecht geflossen waren. Für die Staatsanwältin ist aber auch das „gewerbsmäßiger Betrug“. Die Masche des Ehepaars bezeichnet sie als „bewusstes Ausnutzen des Sozialstaats“. Dabei sei „ein erheblicher Schaden für die Allgemeinheit entstanden“, unterstreicht sie.

In ihren Strafanträgen zeigt sich deutlich, dass der Mann schon häufiger wegen großer Betrügereien bestraft wurde. Das jüngste Urteil stammt aus der Schweiz und ist noch kein Jahr alt. Der 45-Jährige steht noch unter Bewährung; die wiederum stammt aus einem Kölner Urteil von Ende November 2018. Damals wurde außer ihm das Oberhaupt der Großfamilie zu einer langen Haftstrafe verurteilt.

Es ging um den vom Clan perfektionierten Teppich-Trick. Mit Blick auf dieses Strafregister fordert die Staatsanwältin vier Jahre und drei Monate Gefängnis für den Mann. Seine Frau profitiert an diesem Mittwoch davon, dass sie noch nie aufgefallen ist. 13 Monate können und sollen zur Bewährung ausgesetzt werden.

Angeblich kein Job-Angebot für den verurteilten Leverkusener Betrüger

Verteidiger Bernd Kretschmann betrachtete den Fall aus der Perspektive eines unter Bewährung stehenden Familienvaters ohne Ausbildung. Im Leverkusener Jobcenter sei ihm gesagt worden: „Für jemanden wie Dich haben wir nichts.“ Jahre später wird eine solche Aussage vom Jobcenter bestritten oder zumindest als „äußerst unwahrscheinlich“ dargestellt. Gleichzeitig sei der Familie das Geld gestrichen worden, so der Anwalt. Also habe er sich in die Schweiz aufgemacht, um Geld zu verdienen. Dass auch dies nicht mit legalen Mitteln ablief – mit Blick auf die Biographie und das Umfeld des 45-Jährigen erscheint das geradezu zwangsläufig.

Dennoch findet Kretschmann den Strafantrag der Staatsanwältin zu hoch. Sein Mandant sollte „keineswegs über vier Jahre“ bekommen. Auch sein Kollege Bau möchte ein bisschen was für die vierfache Mutter herausholen. Er stellt die 49-Jährige, die seit Jahren unter depressiven Verstimmungen leidet, auch als Opfer der Verhältnisse dar. Sie habe sich „in einem gewissen Abhängigkeitsverhältnis“ zu ihrem Mann befunden. Sie habe „mitgemacht“. Für die Urteilsfindung nimmt sich die Kammer gut eine Woche Zeit.