Ukraine gegen Italien in LeverkusenEin Fußballspiel bewegt die Menschen

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Die Ukrainerinnen (v.l.) Bilozin Liubov, Viktoriia Zhevlova und Nadiia Shepel stehen mit Ukraine-Flaggen vor der Bay-Arena, wo am kommenden Montag, 20. November,das Qualifikationsspiel zur Fußball-Europameisterschaft 2024 zwischen der Ukraine und Italien stattfindet.

Die Ukrainerinnen (v.l.) Bilozin Liubov, Viktoriia Zhevlova und Nadiia Shepel stehen mit Ukraine-Flaggen vor der Bay-Arena und freuen sich aufs Spiel am Montag.

Am Montag spielen die Nationalteams der Ukraine und Italiens um die Qualifikation zur Fußball-EM. Mit dabei sein werden als Fans auch viele vor dem Krieg geflüchtete Menschen.

Die fünf Frauen, die hier gerade im zweiten Stock des Opladener Künstlerbunkers sitzen, haben mehrere Dinge gemeinsam: Zum Beispiel malen sie gerne und sind Mitglieder in einem Kunstkurs, den die in Leverkusen lebende Künstlerin Elena Büchel leitet. Was aber noch wichtiger ist: Die fünf kommen aus der Ukraine und sind voriges Jahr wegen des Krieges aus ihrer Heimat geflüchtet – nach Leverkusen, wo sie das Schicksal zusammengebracht hat. Dann ist da noch dieser, wenn man so will, Außer-der-Reihe-Feiertag am kommenden Montag für Viktoriia Zhevlova, Bilozir Liubov, Olha Bocharova, Larysa Abushaieva und Nadiia Shepel. Wenn die Fußballnationalmannschaft ihres Landes in der Bay-Arena gegen Italien um die Qualifikation zur Europameisterschaft nächstes Jahr in Deutschland spielt. Und alle fünf gehen hin.   

Ein Spiel als Thema überall

Neben zig anderen Gleichgesinnten. Denn dieses Spiel elektrisiert Menschen aus der Ukraine in allen Teilen des Landes. Sogar in Europa. Olha Bocharova weiß: „Das ist ein Thema überall in unserem Bekannten- und Freundeskreis.“ Sie und Larysa nehmen auch ihre Söhne mit zum Spiel. Die sind besonders fußballverrückt. Olhas Sohn Vladyslav war früher in Kiew schon einige Male Einlaufkind und begleitete Fußballer des erfolgreichsten ukrainischen Clubs Dynamo Kiew aufs Feld. Weil die Ehemänner und Partner dieser Frauen im Land blieben, als Putins Bomben fielen, haben sie von den zurückgebliebenen Lieben den Auftrag bekommen, alles zu dokumentieren, was sich am Montag rund ums Stadion fern der Heimat in Leverkusen ereignen wird. „Wir werden Bilder ohne Ende machen und Videos aufnehmen und alles rüberschicken. Minütlich!“, verspricht Olha  und lacht. Sie selbst habe zwar gar nicht so viel mit Fußball am Hut. Aber: Hier gehe es um so viel mehr. Um ein Stück Heimat fernab derselbigen. Um ein paar Stunden der Freude in Zeiten, die nicht leicht sind. Ganz unabhängig davon, wie das Spiel am Ende ausgeht. Gegen Italien, den amtierenden Europameister, wird es ja nicht so leicht. Oder, wie Larysa Abushaieva sagt: „Italien? Uiuiuiui!“

Die Ukrainerinnen (v.l.) Bilozin Liubov, Nadiia Shepel, Viktoriia Zhevlova, Olha Bocharova und Laryssa Abushaieva sind nach ihrer Flucht vor dem Krieg in der Ukraine in Leverkusen gelandet, sind Teil einer Malgruppe der ebenfalls aus der Ukraine stammenden Künstlerin Elena Büchel im Opladener Künstlerbunker und gehen am kommenden Montag, 20. November, zum nach Leverkusen in die Bay-Arena verlegten Qualifikationsspiel zur Fußball-Europameisterschaft 2024 zwischen der Ukraine und Italien.

Mitglieder des Malkurses im Künstlerbunker und Stadiongängerinnen (v.l.): Bilozir Liubov, Nadiia Shepel, Viktoriia Zhevlova, Olha Bocharova und Laryssa Abushaieva.

Treffen fürs Fan-Foto vorm Stadion 

Für ein Foto vor der Bay-Arena wenige Tage vor dem Spiel sind die weiblichen Ukraine-Fans aus Elena Büchels Kunstkurs auch zu haben. Zumindest drei von ihnen: Viktoriia, Olha und Nadiia. Sie bringen Nationalflaggen der Ukraine mit, in die sie sich hüllen. Zwei Autofahrer auf der Bismarckstraße, sehen das, hupen und winken. Nadiia hat sogar einen Ausweis dabei, der sie als Mitarbeiterin im Nationalstadion von Kiew ausweist: „Ich habe dort bis zu meiner Flucht regelmäßig bei Veranstaltungen geholfen und kenne mich aus“, sagt sie lachend unter der Ukraine-Cap auf dem Kopf. Vielleicht können sie ja auch Steward bei der EM in Deutschland werden. „Das wäre großartig!“ Bei der Fußball-Europameisterschaft 2012 in Polen und der Ukraine war sie schon im Team aus Helferinnen und Helfern im Stadion. Wer also wäre besser geeignet als sie, Nadiia? 

Arbeitsausweis von Nadiia Shepel für das Nationalstadion in Kiew.

Nadiia Shepels Arbeitsausweis für das Nationalstadion in Kiew

An der spür-, hör- und sichtbaren Vorfreude dieser fünf ukrainischen Frauen ist zu sehen, welche Begeisterung das hierher nach Leverkusen vergebene Länderspiel weckt und welch weiten Kreise diese Begeisterung zieht: Denn natürlich darf auf keinen Fall vergessen werden, dass auch viele italienische Fans anreisen und ihrer Mannschaft die Daumen drücken werden. Der italienische Verband verkaufte ebenfalls Tickets. Spielt die Squadra Azzura, muss man auf deren Tifosi nicht lange warten.

Bayer 04 war an Planungen beteiligt

Übrigens: Obwohl die UEFA den Wettbewerb ausrichtet und obwohl der Ukraine die Rolle des Gastgebers zukommt, waren auch die Verantwortlichen des Stadionbesitzers Bayer 04 in die Vorbereitungen einbezogen. Zum Beispiel in Person von Stephan Rehm als Veranstaltungsleiter der Bay-Arena. Der sagt zwar, dass viele Prozesse rund um das Spiel nichts Neues gewesen und wie bei internationalen Partien der Werkself in der Europa oder Champions League abgelaufen seien, die auch im Namen der UEFA stattfinden. Doch es habe auch Herausforderungen und Unterschiede gegeben.

Etwa die Kurzfristigkeit: „Wenn der DFB wegen eines Länderspieles anfragt, dann geschieht das in der Regel ein Jahr im Voraus.“ Mit der Delegation der Ukraine hingegen habe man erst im September gesprochen. Geschuldet sei das der Lage im Land sowie der Tatsache, dass sowohl das Nationalteam als auch die im Europapokal antretenden Vereinsmannschaften seit dem Ausbruch des Krieges ihre Heimspiele an verschiedenen Orten außerhalb der Ukraine in ganz Europa austrügen. Der Gedanke dabei: Es sollen möglichst viele geflüchtete Ukrainerinnen und Ukrainern die Möglichkeit bekommen, ihr Team zu sehen.

Der OB heißt Fans und Teams willkommen

Ferner seien die Zusammenkünfte mit der ukrainischen Delegation anders abgelaufen als sonst: „Die Offiziellen können ja nicht mal eben in den Flieger steigen und herkommen“, sagt Rehm. Die Ausreise gestalte sich aufgrund der gesperrten Flughäfen im Land kompliziert. Zudem mussten der Partie in der Bay-Arena auch die Stadt und sogar der Deutsche Fußballbund (DFB) zustimmen, denn: „Auf dessen Grund findet dieses offizielle Länderspiel ja statt.“ Gleichwohl hätten beide Seiten sofort gerne und bereitwillig ihre Einwilligung gegeben. Leverkusens OB Uwe Richrath betont: „Das ist ein Zeichen der Solidarität mit der Ukraine, der die Stadt Leverkusen durch die Städtepartnerstadt mit Nikopol eng verbunden ist. In Leverkusen und der Region leben viele Fans beider Mannschaften.“ Die Stadt heiße die Fans beider Lager jedenfalls „herzlich willkommen“.  

Und doch geht es neben allen Vorbereitungen im Zeichen eines Krieges, der dieses Spiel an diesem Ort erst notwendig machte, am Ende vor allem um den Sport. Um etwas, das die Menschen verbindet, egal,was hinter den Kulissen geschieht. Die Ausgangssituation in der Qualifikationsgruppe ist ja spannend: Sowohl die Ukraine als auch Italien haben beste Chancen, sich für die EM 2024 zu qualifizieren. Italien liegt auf dem zweiten, die Ukraine auf dem dritten Platz der Qualifikationsgruppe. Beide sind nach sieben Spielen punktgleich (13 Punkte). Die Tabellenzweiten einer jeden Gruppe sind am Ende – und nach dem nun noch ausstehenden letzten Spiel – direkt qualifiziert. Drei der dann feststehenden Gruppendritten können sich später noch über eine Play-Off-Runde für die EM qualifizieren.

Einige Eintrittskarten sind noch über die Internetseite von Bayer 04 (www.bayer04.de) zu bekommen.

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