Arbeitsmarkt in Oberberg„Keiner macht mehr Scherze“

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Sorgen statt Prominenz: Landesminister Andreas Pinkwart (2.v.l.) gehörte 2017 zu den Ehrengästen bei der Einweihung einer neuen Lackierstraße im Morsbacher Montaplast-Hauptwerk.

Sorgen statt Prominenz: Landesminister Andreas Pinkwart (2.v.l.) gehörte 2017 zu den Ehrengästen bei der Einweihung einer neuen Lackierstraße im Morsbacher Montaplast-Hauptwerk.

  • Der Coronavirus wirkt sich negativ auf einen Großteil der Wirtschaft aus.
  • Auch im Oberbergischen Kreis sind die Auswirkungen der Krise schon jetzt spürbar.
  • Ein detaillierter Blick auf den Arbeitsmarkt im Kreis.

Oberberg – Wie schnell es das Corona-Virus aus dem Fernen Osten geschafft, hier im Oberbergischen das Alltagsleben jedes einzelnen Wirtschaftsbetriebes zu prägen, hat auch Sven Gebhard überrascht. Dabei wusste der Geschäftsführer der Waldbröler Firma GC-heat, der selbst in China eine Dependance für Vertrieb, Lager und Endkonfektionierung betreibt, schon früh, dass der Virus Auswirkungen auf das Wirtschaftsleben haben kann: Seine China-Reisen stornierte Gebhard schon im Februar auf unbestimmte Zeit.

„Alle Industrieunternehmen betroffen“

Trotzdem sagt Gebhard, seit Januar Vizepräsident der Industrie- und Handelskammer (IHK) zu Köln und Vorstandsmitglied des Arbeitgeberverbandes Oberberg, jetzt: „Es ist alles sehr schnell gegangen. Und viele haben es auch lange unterschätzt. Vor einem Monat haben manche noch Scherze darüber gemacht. Jetzt macht die keiner mehr.“

Die Corona-Krise hat die oberbergische Wirtschaft erreicht. Und zwar gerade den industriellen Bereich, der mit mehr als 40 Prozent der sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplätze den Standort weiterhin besonders prägt. „Am Ende“, sagen Sven Gebhard und der Geschäftsführer des Arbeitgeberverbandes, Ulrich Koch, „werden fast alle Industrieunternehmen betroffen sein“.

Hoffen auf die KfW

Besonders wichtig für Oberbergs Mittelstand, so Gebhard, sei jetzt die sofortige Sicherstellung der Liquidität – zum Beispiel über die KfW-Darlehen: „Hier stehen die ausführenden Hausbanken vor einer Mammut-Aufgabe.“ Deshalb müsse die Zusammenarbeit mit der KfW so bürokratiearm wie möglich sein.

Es betrifft viele Branchen. So hat Edelstahlspezialist S+C in Lindlar jetzt seine Betriebsferien aus dem Sommer vorgezogen – seit Montag und für mindestens zwei Wochen. Vor allem aber sind die Automobilzulieferer im Oberbergischen betroffen. Firmen wie etwa Montaplast in Morsbach: Viele Bereiche des weltweit aktiven Automobilzulieferers befinden sich seit Montag in Kurzarbeit. Frank Schlieber von der Geschäftsleitung geht aber davon aus, dass sein Unternehmen nach dem Stichtag 20. April den Betrieb wieder hochfahren kann: „Wenn auch vielleicht noch nicht auf 100 Prozent.“ Für wie viele Beschäftigte die Kurzarbeit gilt, lässt Schlieber auf Nachfrage offen: Es sei eine große Personalstärke an Bord –vor allem in der Wartung, Instandhaltung und Technik. „Wir nutzen die Zeit, um Reparaturen und Erneuerungen vorzunehmen, damit wir nach der Krise besser dastehen als zuvor.“ Zudem gehe er davon aus, dass die Firma nicht in Schieflage gerät. „Dauert die Krise aber bis Ende des Jahres, wird es problematisch“, sagt Schlieber.

Auch am Arbeitsmarkt ist die Krise angekommen – wenn auch noch nicht in der jetzt veröffentlichten Statistik für März. Die Arbeitslosenquote lag laut der Arbeitsagentur Bergisch Gladbach in Oberberg mit 5,2 Prozent hauchdünn unter dem Vormonat. 7883 Menschen waren arbeitslos gemeldet, 182 weniger als im Februar, aber 1004 mehr als im März 2019. Nicole Jordy, Vorsitzende der Geschäftsführung der Agentur für Arbeit Bergisch Gladbach: „Die vorliegenden Arbeitslosenzahlen für den März spiegeln nicht die aktuellen Entwicklungen wider.“

Die Zahl der Ratsuchenden, die aufgrund von Covid-19 eine Kündigung befürchteten oder erhalten haben, sei stark gestiegen. Schon jetzt sei klar, dass sich die positive März-Entwicklung im April nicht fortsetzen werde. Bis letzten Freitag hatte sich die Zahl der „Anzeigen zum Arbeitsausfall“ – Grundlage für die Abrechnung von Kurzarbeitergeld – für die Gladbacher Arbeitsagentur auf ca. 5000 erhöht (die genaue Zahl lag noch nicht vor). Vergleich: Im März 2009, Höhepunkt der Wirtschaftskrise, waren es 241, im ganzen Jahr 2009 insgesamt 1181.

Alle ziehen an einem Strang

Ob Arbeitnehmer oder Arbeitgeber – im Augenblick ziehen alle an einem Strang. Die Krise führt aber auch zu einer neuen Einigkeit: Plötzlich funktioniert mehr als erwartet, auch in Sachen Homeoffice – die Chemie stimmt. „Die Betriebsräte sehen, dass wir schnelle und unbürokratische Entscheidungen brauchen, um in dieser Krise noch handeln zu können“, lobt AGV-Geschäftsführer Ulrich Koch. Und IG-Metall-Chef Werner Kusel berichtet: „Nach einer aktuellen Umfrage unter Betriebsräten beurteilen mehr als 70 Prozent die Zusammenarbeit in den Firmen als sehr gut.“ Umso wichtiger, so Koch, sei, dass die Politik das unterstütze – nicht nur mit Zuschüssen und Krediten. Ein Ende des Shutdowns will er nicht beschwören, aber: „Es wäre schon wichtig, dass möglichst bald die Kinderbetreuung in Schulen und Kindergärten wieder funktioniert.“

Beratung

Die Arbeitsagentur ist für Fragen von Arbeitnehmern telefonisch erreichbar unter

(0 22 02) 9 333 900.

Die IHK bietet den Firmen eine Hotline zu Finanzierung und Soforthilfen, (02 21) 1640-4444, und eine zum Thema Kurzarbeit (02 21) 1640-3333. Dort sind auch Mitarbeiter zum Beispiel aus der aus der Geschäftsstellen Gummersbach involviert. (r)

Auch Gewerkschafter Kusel hat Forderung an die Politik: Der Gesetzgeber solle das Kurzarbeitergeld aufstocken, schreibt er in einem offenen Brief an den Bundestagsabgeordneten Dr. Carsten Brodesser. Stattdessen werde aktuell den Arbeitgebern auch der Sozialversicherungsanteil der Arbeitnehmer erstattet: „Das ist bisher nicht gerecht.“

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Wie es weitergeht? Da ist Sven Gebhard wieder früh dran. „Aus China bekommen wir jetzt schon das Mitleid unserer Kollegen zu hören, weil dort die Wirtschaft bereits wieder hochfährt.“ Ähnliches weiß Frank Schlieber von Montaplast zu berichten: „Unsere Werke in China laufen wieder auf 100 Prozent.“ Ob diese Entwicklung sich ähnlich schnell verbreitet wie das Virus – darauf will sich in Oberberg aber noch niemand verlassen.

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