Eckenhagen – Die bleierne Müdigkeit ist typisch. Eine Erschöpfung ohne erkennbaren Grund, ähnlich dem „Fatigue-Syndrom“. Laut Dr. Jürgen Bonnert trete dieses Symptom bei 80 Prozent der Patienten auf, die unter den Langzeitfolgen einer Covid-Erkrankung leiden, und das seien wiederum rund zehn Prozent aller Infizierten. Der Chefarzt der Neurologie der Mediclin-Klinik Reichshof hat aber auch eine gute Nachricht: In 80 Prozent der Fälle von Long Covid gibt es messbare Therapieerfolge.
Long Covid
Zu den längerfristigen gesundheitlichen Schäden einer Covid-19-Erkrankung gehören laut Robert-Koch-Institut vor allem chronische Erschöpfung. Weitere Symptome sind Kopfschmerzen, Atembeschwerden, Geruchs- und Geschmacksstörungen, kognitive Beeinträchtigungen (sogenannte „Gehirnnebel“), depressive Verstimmungen, Schlaf- und Angststörungen. Berichtet wird auch von Herzklopfen, Brustschmerzen und Haarausfall. (tie)
Die pneumologische Abteilung der Eckenhagener Klinik kümmert sich ebenfalls um Covid-Erkrankte, sofern diese eine chronische Lungenerkrankung davongetragen haben. Und mit der neuen Psychosomatik gibt es nun eine dritte Abteilung, die schon erste Long-Covid-Patienten hatte. Bei diesen wirkt ein seelisches Leiden auf den Körper und umgekehrt.
Geleitet wird der Fachbereich Psychosomatik von Dr. Sezer Melisande Lammers. Die 50-jährige Neurologin und Psychiaterin aus Freudenberg kommt vom Kreisklinikum Siegen und hat vor einem Jahr damit begonnen, die Abteilung in Eckenhagen aufzubauen. 100 der 226 Betten stehen nun zur Verfügung, 30 waren seit dem Start im Mai bereits belegt. Die Klinik mit ihren rund 270 Beschäftigten nutzt dafür Kapazitäten, die bis vor zwei Jahren Krebsnachsorgepatienten dienten, und folgt damit dem Wunsch ihres wichtigsten Kostenträgers: Die Deutsche Rentenversicherung hat einen steigenden Bedarf für psychosomatische Rehabilitation erkannt – und das nicht erst seit Corona.
Die Mediziner sollen Licht us Dunkel um Long Covid bringen
Alle drei Chefärzte gehören zu der zehnköpfigen Long-Covid-Arbeitsgruppe der bundesweit 35 Mediclin-Kliniken. Durch den interdisziplinären Austausch wollen sie eine optimale Therapie des diffusen und noch ungenügend erforschten Krankheitsbilds gewährleisten. Long Covid sei schwer zu fassen, sagte Mediclin-Vorstand Dr. York Dhein, der zur Eröffnung der Psychosomatik aus Offenburg angereist war. „Bei uns wird darum jeder Fall von mehreren Fachmedizinern individuell geprüft.“ Die Covid-Folgen werden ein Dauerthema bleiben, ist Dhein überzeugt. Der Internist rechnet mit wieder steigenden Infektionszahlen noch im Oktober und fordert: „Es gilt: Impfen, impfen, impfen.“
Aber auch wenn Corona irgendwann überwunden sein sollte, wird die psychosomatische Abteilung gut ausgelastet sein, glaubt der Mediclin-Vorstand. Nicht ohne Grund habe die Gruppe 400 000 Euro in die Ausstattung der Abteilung investiert. In einer veränderten Arbeitswelt haben auch Rückenprobleme häufig nicht mit körperlicher Überlastung, sondern mit seelischem Druck zu tun, der eine ganzheitliche Therapie erfordert. Wie Chefärztin Sezer Lammers erläutert, sei Gesprächstherapie die wichtigste Säule der fünf- bis sechswöchigen Rehabilitation. Dazu kommen Kreativtherapien, Entspannungskurse und nicht zuletzt Bewegungsangebote. „Eine Wanderung durch die schöne Natur hier ist das beste Antidepressivum und hat keine schädliche Nebenwirkungen.“
Eine positive Nebenwirkung erhofft sich Bürgermeister Rüdiger Gennies, wie er bei der Eröffnung anmerkte: „Die neue Abteilung kann den Gesundheitstourismus im Reichshof nach vorne bringen.“ Wer hier von Long Covid geheilt wurde, kommt vielleicht noch mal wieder für einen kleinen Kururlaub vom stressigen Alltag.