Zu wenig Termine vergeben?Rhein-Berg hätte laut Kreis mehr Impfstoff zugestanden

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Blick ins  Gladbacher Impfzentrum (Archivbild): Die Corona-Impfung läuft nicht rund.

Blick ins  Gladbacher Impfzentrum (Archivbild): Die Corona-Impfung läuft nicht rund.

Rhein-Berg – Nicht nur wegen der Spritzen-Blockade durch das NRW-Gesundheitsministerium gehen im Bergisch Gladbacher Impfzentrum täglich 65 Impfdosen verloren, auch durch zu wenig vergebene Impftermine an Über-80-Jährige sind offenbar mehr als 1000 Impfdosen, die dem Kreis eigentlich zugestanden hätten, nicht abgerufen worden.

Nach Informationen dieser Zeitung soll die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Nordrhein, die für die Impfterminvergabe an die Über-80-Jährigen zuständig ist, über Wochen weniger Impftermine in ihrem via Internet oder Hotline (0800-116 117 01) erreichbaren Terminmodul freigeschaltet haben, als Impfstoff laut landesweitem Verteilschlüssel hätte in Düsseldorf geordert werden können.

Und das, obwohl sie von Verantwortlichen vor Ort mehrfach darauf hingewiesen worden war. Erst als diese Zeitung nach einem Hinweis auf einen Tag, an dem statt möglicher 400 Impftermine nur 338 Impflinge ins Impfzentrum geladen waren, vergangene Woche berichtet hatte, schnellte die Zahl der vergebenen Termine binnen 24 Stunden nach oben.

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Kassenärztliche Vereinigung bestreitet Vorwurf des Kreises

Internen Unterlagen zufolge, die der Redaktion zwischenzeitlich vorliegen, war der Tag mit 338 Impflingen allerdings kein Einzelfall. Bereits mehrere Wochen zuvor hatten Verantwortliche aus dem Impfzentrum vor Ort die KV Nordrhein darauf aufmerksam gemacht. Das kann auch Kreissprecherin Birgit Bär, die sich zunächst nicht zur Sache äußern wollte, angesichts der Unterlagen nicht bestreiten. „Tatsächlich haben wir die KV am 20. Februar zum ersten Mal schriftlich auf die Diskrepanz hingewiesen“, sagte sie am Mittwoch auf erneute Anfrage. Verändert habe sich die Zahl der für das Gladbacher Impfzentrum zugewiesenen Impftermine allerdings erst am 10. März – einen Tag nach der Berichterstattung in dieser Zeitung.

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Dass die KV Nordrhein am 20. Februar darauf hingewiesen worden sei und nicht reagiert habe, weist ein Sprecher der Kassenärztlichen Vereinigung am Abend entschieden zurück. „Wir sind in ständigem Austausch mit den Verantwortlichen vor Ort“, so Sven Ludwig, Pressesprecher der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein. Tatsächlich, so Ludwig, sei über die drei in Frage stehenden Wochen mehr Impfstoff im Bergisch Gladbacher Impfzentrum verimpft worden, als dem Kreis zugestanden hätte. Genaue Zahlen würden noch nachgereicht. Kreissprecherin Birgit Bär sagte hingegen: „Uns liegen da eindeutig andere Zahlen vor.“

Am Mittwochmittag hatte die KV Nordrhein nach Anfrage der Redaktion darauf verwiesen, dass sie sich erst nach Rücksprache mit Verantwortlichen vor Ort zu dem Thema äußern könne. Nach Informationen dieser Zeitung allerdings hat auch Landrat Stephan Santelmann bereits vor Tagen bei der KV Nordrhein zu dem Thema nachgefragt, weil man sich im Kreishaus gewundert hatte, dass die Impftermine im Terminvereinbarungsmodul der KV Nordrhein erst aufgestockt worden waren, nachdem ein erster Tag mit der zu geringen Terminauslastung durch den Zeitungsbericht in der vergangenen Woche öffentlich gemacht worden war.

„Nach den uns vorliegenden Erkenntnissen müssen wir derzeit davon ausgehen, dass über mehrere Wochen pro Tag bis zu 80 Personen der Zielgruppe Ü 80 nicht geimpft wurden, obwohl in Düsseldorf für uns ausreichend Impfstoff zur Verfügung gestanden hätte.“ (Landrat Stephan Santelmann)

„Nach den uns vorliegenden Erkenntnissen müssen wir derzeit davon ausgehen, dass über mehrere Wochen pro Tag bis zu 80 Personen der Zielgruppe Ü 80 nicht geimpft wurden, obwohl in Düsseldorf für uns ausreichend Impfstoff zur Verfügung gestanden hätte“, bestätigt Landrat Stephan Santelmann am Mittwoch auf Nachfrage. „Es wurden nach unseren Erkenntnissen definitiv deutlich zu wenige Impftermine vergeben.“

Dabei sei die Zusammenarbeit mit den KV-Mitarbeitern vor Ort in Gladbach hervorragend, so Santelmann. „Aber dann höre ich da den Vorsitzenden der Kassenärztlichen Bundesvereinigung, Dr. Andreas Gassen, im Fernsehen immer wieder sagen: Wir können das mit dem Impfen schneller und besser als alle Impfzentren zusammen“, so der Landrat. „Da stelle ich mir doch die Frage als Landrat, soll die Organisation der Impfterminvergabe etwa den Druck auf Bund und Land erhöhen, dass die Hausärzte schneller impfen dürfen?“

Senior erbost

Nach Berechnungen von Insidern hätten allein in den drei Wochen, in denen die KV Nordrhein laut Kreis nicht auf die Hinweise reagierte, mehr als 1500 Impftermine für Über-80-Jährige mehr vergeben werden können. Für den 90-jährigen Hardi Wittrock aus Bergisch Gladbach klingt das wie Hohn. Er hatte sich mit einem Hilferuf nicht nur an NRW-Gesundheitsminister Karl-Josef Laumann, sondern auch an die Redaktion gewendet, da er auch fast zwei Monate nach dem Start der Terminvergabe für Über-80-Jährige durch die KV Nordrhein, noch keinen Impftermin für sich und seine pflegebedürftige Frau erhalten konnte. „Ich habe x-mal angerufen, aber jedes Mal, hat man mir gesagt, dass keine Termine für das Impfzentrum Bergisch Gladbach frei seien“, sagt der Senior. „Ich bin in höchstem Maße erbost. Wenn es eine Klage gibt, werde ich mich dieser anschließen.“

Für Landrat Santelmann kein Einzelfall: „Mittlerweile entsteht in der Bevölkerung der Eindruck, dass das Impfzentrum in Bergisch Gladbach unzulänglich arbeitet.“ Zu Unrecht gerieten dabei bisweilen die Impfzentrumsmitarbeiter vor Ort oder die Verwaltung des Kreises in die Kritik. Noch schwerer aber wiege der Umstand, dass bei ausreichender Terminvergabe durch die KV, „bald an die 2000 der Über-80-Jährigen im Rheinisch-Bergischen Kreis schon über einen Impfschutz verfügen könnten, wenn die KV Nordrhein entsprechend dem vorhandenen Impfstoff geimpft hätte“.

Zwischenzeitlich sei er bereits angesprochen worden, ob es sich um ein „Organisationsverschulden“ seitens der KV Nordrhein handeln könnte oder ob sogar der „Tatbestand der fahrlässigen Körperverletzung durch Unterlassen“ gegeben sei, so Santelmann: „Es muss daher auch die Frage gestellt werden, wie viele dieser Über-80-Jährigen zwischenzeitlich an Covid-19 erkrankt oder gar verstorben sind?“ Der Landrat hat bereits vor einigen Tagen „lückenlose Aufklärung“ von der KV Nordrhein gefordert. Eine Antwort auf seine Fragen hat er bis Mittwochnachmittag noch nicht erhalten.  

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