Stadtwerke HürthFernwärme aus der Rußfabrik – Ausstieg aus der Braunkohle

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Die Abwärme aus der Rußfabrik auf der Stadtgrenze zwischen Köl und Hürth-Kalscheuren wird künftig genutzt.

Die Abwärme aus der Rußfabrik auf der Stadtgrenze zwischen Köl und Hürth-Kalscheuren wird künftig genutzt.

Hürth – Die Hürther Stadtwerke bereiten den Ausstieg aus der Braunkohle vor: Künftig soll der Löwenanteil der Energie für das Fernwärmenetz nicht mehr aus dem Goldenberg-Kraftwerk in Knapsack geliefert werden.

Stattdessen wird Abwärme der Rußfabrik in Kalscheuren genutzt. Vertreter des Betreibers Orion Engineered Carbons (OEC) und der Stadtwerke unterschrieben am Freitag einen entsprechenden Vertrag. Mit der Umstellung sind Investitionen von mehr als 40 Millionen Euro verbunden.

Den Vertrag unterzeichnen Christian Eggert (Orion, l.) und Stadtwerkevorstand Dirk Holger Ahrens-Salzsieder unter den prüfenden Blicken von (v.l.) Enzo Pezzolla, Michael Sojka (beide Orion), Bürgermeister Dirk Breuer und Jürgen Schiffmann (Stadtwerke).

Den Vertrag unterzeichnen Christian Eggert (Orion, l.) und Stadtwerkevorstand Dirk Holger Ahrens-Salzsieder unter den prüfenden Blicken von (v.l.) Enzo Pezzolla, Michael Sojka (beide Orion), Bürgermeister Dirk Breuer und Jürgen Schiffmann (Stadtwerke).

Fast 90 Prozent der Fernwärme stammen aktuell noch aus dem Braunkohlekraftwerk auf dem Knapsacker Hügel. Doch die Zukunft des Kraftwerks sei unsicher, der Betreiber RWE Power habe sich zuletzt auch nur noch auf Verträge mit einer Laufzeit von jeweils drei Jahren eingelassen und deutlich höhere Preise verlangt, so Stadtwerkevorstand Dr. Dirk Holger Ahrens-Salzsieder. Die Fernwärmeversorgung langfristig zu sichern und die Preise konkurrenzfähig zu halten sei deshalb Ziel gewesen bei der Suche nach Energielieferanten.

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Rußfabrik

wird in Kalscheuren Industrieruß produziert. Die Fabrik wurde 1895 von August Wegelin gegründet. 1932 ging das Werk an Degussa, 2007 wurde daraus Evonik.

Zur Orion Engineered Carbons gehört das Werk seit 2011. Mit 400 Mitarbeitern werden dort jährlich 130 000 Tonnen Ruß aus Erdgas, Wasserstoff und Rußöl für den Einsatz in Autoreifen, Scheibenwischern und Lacken produziert. Weltweit hat OEC 13 Produktionsstätten und 1460 Mitarbeiter. (aen)

Die Abwärme der „Schwätz“, so nennt der Volksmund die Rußfabrik auf der Stadtgrenze zwischen Köln und Hürth, wird bereits in geringem Umfang genutzt, der größte Teil entweicht aber über die Kühltürme. Benachbarte Spargelbauern beheizen damit ihre Felder, seit 2003 steuert das Unternehmen schon einen kleinen Teil zur Fernwärme bei. Durch die jetzt besiegelte Kooperation soll der Anteil auf 75 Prozent hochgefahren werden. Dazu muss die Anlage mit Technik zur Kraft-Wärme-Kopplung ausgestattet werden .

Die Stadtwerke werden innerhalb von zwei Jahren 30 Millionen Euro in den Bau von zwei modernen Turbinen an der Rußfabrik investieren. Orion wird die Anlagen pachten und betreiben. Bislang nutzt der Rußproduzent brennbares Gas, das bei der Produktion entsteht, zur Stromerzeugung für die eigenen Anlagen. Künftig soll die Abwärme genutzt werden, um das Fernwärmenetz aufzuheizen.

Das sei nicht nur günstig, sondern auch umweltfreundlich, weil keine zusätzlichen Brennstoffe eingesetzt werden müssen, sagt der Technische Leiter der Stadtwerke, Jürgen Schiffmann. 58 000 Tonnen Kohlendioxid könnten vermieden werden.

Fernwärme

Aus Umweltschutzgründen wurde in Hürth vor einem halben Jahrhundert mit dem Aufbau eines Fernwärmenetzes begonnen, um Abwärme vom Knapsacker Hügel nutzbar zu machen und die Kohleöfen aus den Häusern zu verbannen. Zeitweise bestand Anschlusszwang. Heute sind 6680 Häuser ans 141 Kilometer lange Netz der Stadtwerke angeschlossen; 60 Prozent der Hürther heizen mit Fernwärme, die aktuell zu 90 Prozent aus dem Goldenberg-Kraftwerk stammt. (aen)

Die Kooperationspartner schlossen nach dreieinhalbjähriger Vorbereitung einen langfristigen Vertrag über einen Zeitraum von mindestens 20 Jahren. Zum Nutzen für alle, wie Enzo Pezzolla, Vice President am Standort, betont. Er sieht in der Vereinbarung einen Beitrag zur Standortsicherung. „Kalscheuren ist unser bedeutendster Standort, der jetzt noch bedeutender wird“, so Pezzolla. „Durch die Einspeisung der Abwärme in das Fernwärmenetz können wir die Energieeffizienz unserer Anlagen weiter verbessern“, sagt Dr. Michael Sojka, Projektleiter bei OEC. Stadtwerkechef Ahrens-Salzsieder nannte es außergewöhnlich, dass eine Vereinbarung über einen so langen Zeitraum geschlossen werden könne und es eine „solide Preisbasis“ für die nächsten 20 Jahre gebe. „Das ist beruhigend“, so Ahrens-Salzsieder. Bürgermeister Dirk Breuer betont: „Der Abschluss sichert die Fernwärmeversorgung über viele Jahre.“

Zur Erschließung der neuen Energiequelle müssen die Stadtwerke weitere Millionen in die Hand nehmen. Fünf Millionen Euro kostet der Bau einer vier Kilometer langen Leitungstrasse von Kalscheuren zum alten Klärwerk nach Hermülheim, wo – zentral im Netz – für weitere sieben Millionen Euro ein Wärmespeicher errichtet wird. Die Baumaßnahmen sollen im Frühjahr beginnen und Mitte 2018 abgeschlossen sein.

Woher künftig das restliche Viertel der Fernwärme kommen wird, ist indes noch unklar. Noch bis 2021 läuft der Liefervertrag mit RWE Power. Derzeit prüfen die Stadtwerke und der Energiekonzern den Bau eines Wärmekraftwerks auf dem Knapsacker Hügel. Auch mit dem Investor eines Kraftwerks für die Papierfabrik sei man im Gespräch, so der Stadtwerkechef. Zerschlagen hätten sich dagegen Pläne mit Rheinenergie über Wärmelieferungen aus Köln.

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