Der 25-Jährige opferte sein Leben, um einige Grundschüler zu retten. Sein selbstloses Handeln sei wohl seine Bestimmung gewesen, sagt sein Vater.
Unfalldrama in HürthEltern des Schulbegleiters Luis sprechen über ihren getöteten Sohn

„Unser Sohn konnte Menschen begeistern“, erzählt die Mutter des mit nur 25 Jahren getöteten Luis Paulo.
Copyright: Privat
Er begleitete Kinder auf ihren Wegen durch die Grundschule — an der Carl-Orff-Schule in Hürth: Schülerinnen und Schüler mit besonderen Bedürfnissen. Er half ihnen, am Unterricht teilzunehmen, förderte ihre Selbstständigkeit und soziale Integration und arbeitete eng mit Lehrern, Eltern und Therapeuten zusammen.
Luis Paulo (25) war auch an der Seite einer vierten Klasse auf ihrem Weg von der Schule zum nahe gelegenen Sportplatz – als ein Mann, fünf Jahre jünger als er, sein Leben jäh beendete: Es war der 4. Juni um die Mittagszeit. Zeugen zufolge soll der 20-jährige Autofahrer an der Frechener Straße bei Rot über die Ampel gefahren und in die Gruppe geraten sein. Luis Paulo und die zehnjährige Schülerin Avin blieben schwer verletzt am Boden liegen, mussten vor Ort reanimiert werden. Sie starb zwei Tage später, der 25-Jährige neun Tage nach dem tragischen Unfall.
Wochen später. Marcus und Lilian Maia Jochim haben die Kraft, uns die Geschichte ihres Sohnes zu erzählen. Die Geschichte eines unfassbar schmerzhaften Verlust ihres Kindes. Der Vater erinnert sich an jenen verhängnisvollen Tag: „Zuerst haben wir alle noch gehofft“, sagt er. Von der Freundin ihres Sohnes haben er und seine Frau von dem Unfall in Hürth erfahren. Luis Paulo sei schwer verletzt worden, sagte sie.
Alles zum Thema Feuerwehr Köln
- Exklusiver Einblick Streitthema Tierversuche – Wie Mäuse und Nacktmulle an der Uni Köln leben
- Trockenheit In NRW rückte die Feuerwehr in diesem Jahr schon zu 31 Waldbränden aus
- „Klimawandel ist in Köln angekommen“ Wie sich die Feuerwehr gegen die zunehmende Waldbrandgefahr rüstet
- Warn-App löste aus Feuerwehr gibt Entwarnung nach „Schadensereignis“ im Chempark Dormagen
- Prozess in Bonn Kurier schluckte 1,5 Kilogramm Drogen und schwebte in akuter Lebensgefahr
- Verletzung von Urheberrecht Verlag will gegen Conni-Memes vorgehen – Kölner Fall sorgte für Aufsehen
- Jugendcliquen stören Anwohner „Viele Ältere trauen sich abends nicht mehr aus dem Haus“
Hürth: Luis Paulo drängte einige Kinder beschützend von der Straße auf den Gehweg zurück
Wie schlimm es wirklich um ihn stand, erfuhren sie, als sie ihn auf der Intensivstation der Klinik in Köln-Merheim sahen. Es handele sich um ein „Polytrauma“, erklärte ihnen der behandelnde Arzt. Von einer solchen Diagnose sprechen die Mediziner, wenn ein Patient mehrere sehr schwere Verletzungen hat, von denen mindestens eine lebensbedrohlich ist. Luis Paulo starb am 13. Juni.
Warum muss ein so toller, lieber und herzensguter Mensch gehen?
„Es tut so weh zu wissen, dass er alles richtig gemacht hat und jetzt trotzdem nicht mehr da ist“, sagen seine Eltern. Wie richtig Luis Paulo alles gemacht hat, erfuhren sie von einigen Viertklässlern der Hürther Grundschule bei deren Abschlussfeier. So habe ihr Sohn beschützend einige Kinder von der Straße auf den Gehweg zurückgedrängt, darunter auch Avin, bevor das Fahrzeug ihn und das Mädchen doch erfasste. Mehrere andere Kinder wurden dadurch nur leicht verletzt.

Luis Paulo steht auf dem Armband, dass jetzt seine Geschwister und die Eltern tragen. Und auch Luis bekam das Armband, bevor er begraben wurde.
Copyright: privat
„Warum muss ein so toller, lieber und herzensguter Mensch gehen?“, fragen sich die Eltern. „Gerade in den heutigen Zeiten, in denen menschenverachtende Despoten die Welt regieren und Menschlichkeit und Nächstenliebe mit Füßen getreten werden, ist das umso schmerzlicher.“
Mehr als 500 Menschen kamen zu der Beerdigung von Luis Paulo in Königswinter
Trost gibt ihnen der Gedanke, dass es wohl Luis Paulos Bestimmung gewesen sein muss. „Denn nur einem Menschen mit solchen inneren Werten und Fähigkeiten wie er sie hatte, ist es doch möglich, in einer solchen Situation so selbstlos zu handeln“, sagt sein Vater. In Bruchteilen von Sekunden habe sich sein Sohn dazu entscheiden, die Kinder zu beschützen, sich vor sie zu stellen, ohne Rücksicht auf sein eigenes Leben.
Luis Paulo hat so viele Spuren hinterlassen
Stolz erfüllen ihn und seine Frau, wenn sie auf das Leben ihres Erstgeborenen schauen: „Luis Paulo hat so viele Spuren hinterlassen.“ Mehr als 500 Menschen waren zu seiner Beerdigung gekommen. Luis Paulo ist in Königswinter aufgewachsen. Dort ging er in den Kindergarten, die Grundschule und anschließend auf das Gymnasium des Jugenddorfs Christophorusschule Königswinter. Im gleichen Jahr trat er der Handballspielgemeinschaft Siebengebirge (HSG) bei.
Von Anfang war es Marcus und Lilian Maia Jochim sehr wichtig, ihren Beitrag zu einer besseren Welt zu leisten, indem sie Kinder erziehen, die gute Menschen werden. Und Luis Paulo war ein guter Mensch.

Luis' Eltern trösteten sich beim Schweigemarsch in Hürth gegenseitig mit der Familie der ebenfalls beim Unfall umgekommenen Avin.
Copyright: Margret Klose
Um die Heimat seiner Mutter besser kennen zu lernen, sei er im Alter von gerade einmal 15 Jahren für drei Monate in Brasilien gewesen. Dort hat er unter anderem auch das Hilfsprojekt „Hand 7“ kennengelernt. Kinder aus den Slums werden aufgefangen, lernen Sportarten, auch Handball, vor allen Dingen aber einen strukturierten Tagesablauf kennen und erhalten täglich ein warmes Essen.
Zurück in Königswinter habe Luis das Projekt nicht nur weiterhin unterstützt, er habe auch weitere Mitstreiter dafür gesucht und gefunden. „Unser Sohn konnte Menschen begeistern“, sagt seine Mutter.
Mit vielen Koffern mit Sachspenden nach Brasilien gereist
Unvergessen bleiben ihr auch die Familienreisen, etwa zum Weihnachtsfest nach Brasilien, bei denen sie jedes Jahr stets einige Koffer mehr als nötig mitführten – gefüllt mit Sachspenden, die Luis Paulo und seine Geschwister für die armen Altersgenossen in Brasilien gesammelt hatten.
Nach dem Abitur 2018 absolvierte Luis Paulo bei seinem Sportverein ein Freiwilliges Soziales Jahr – wurde so Trainer und Betreuer. Zum Studium zog der junge Mann dann allerdings vor knapp fünf Jahren aus dem Siebengebirge nach Köln. „Er hat uns und seine Geschwister aber sehr oft zu Hause besucht“, sagt seine Mutter. Luis sei ein richtiger Familienmensch gewesen. „Und er war ein wunderbarer beschützender großer Bruder“, ergänzt ihr Mann.
Vor etwa einem Jahr wechselte ihr Sohn von der HSG Siebengebirge zum Handballverein der Fortuna nach Köln. Die Ultras der Kölner Fortuna haben ihm nun an die Handballhalle des Vereins in Köln in großen Schriftzügen die Botschaft geschrieben: „Ruhe in Frieden, Luis“.

Die Ultras der Fortuna in Köln haben für Luis einen letzten Gruß an die Handballhalle geschrieben.
Copyright: Privat
„Er war in seinem neuen Leben angekommen“, sagt Marcus Jochim und ergänzt: „Luis war gerade sehr glücklich.“ Er habe seine Liebe, seinen Sport, sein Handballteam und seine Berufung gefunden. 13 Monate hatte Luis Paulo an der Carl-Orff-Grundschule als Schulbegleiter gearbeitet, um während seines Studiums Geld zu verdienen.
Schon kurz nachdem er einen genaueren Blick ins Unterrichtsgeschehen an Grundschulen bekommen hatte, erklärte er seinen Eltern, er wolle sein ursprüngliches Berufsziel, Gymnasiallehrer für Sport und Spanisch zu werden, nicht weiter verfolgen . „Durch seine Tätigkeit in der Grundschule hatte er seine wahre Berufung gefunden“, erklärt sein Vater. So stolz seien sie gewesen, als er ihnen mitteilte, Grundschullehrer werden zu wollen, da könne er einfach noch mehr verändern.
Es sollte ihm nicht vergönnt sein.
Luis Paulo hat die Welt über seinen Tod hinaus bereichert und besser gemacht. Trotz seiner erst 25 Jahre hatte er bereits einen Organspendeausweis. Ihm wurden Organe entnommen.
Ganz im Sinne ihres Sohnes haben die Eltern auch entschieden, auf Blumen und Kränze bei der Trauerfeier zu verzichten und stattdessen Geld für soziale Zwecke zu sammeln. Ein Teil soll dem Projekt „Hand 7“ in Brasilien zugutekommen. Mit dem anderen Teil wollen die Eltern ein Verkehrssicherheitsprojekt in Deutschland finanziell unterstützen. (mkl)