Mutmaßlicher Corona-BetrugBeschlagnahmter Ferrari war in der Motorworld in Köln ausgestellt

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Mehrere Fahrzeuge, darunter auch ein roter Ferrari, wurden von der Polizei beschlagnahmt.

Mehrere Fahrzeuge, darunter auch ein roter Ferrari, wurden am Dienstag von der Polizei beschlagnahmt.

Im Rhein-Erft-Kreis lief wohl Coronatest-Betrug im großen Stil. Wie aber war es möglich, sich auf Kosten der KV so einfach zu bereichern?

Orhan B. (Name geändert) steuerte seinen Porsche Cayenne durch Kerpen, als Fahrzeuge der Polizei die Straße blockierten. Kaum ausgestiegen, signalisierten die Beamten dem Geschäftsmann, seinen SUV zu verlassen.

Nervös verriegelte der 38-jährige Deutsch-Türke seine Autotüren. Hektisch tippte er auf seinem Handy, um seinen Anwalt zu erreichen. Von draußen hörte er nur laute Rufe: „Polizei, steigen Sie aus!“ B. zögerte immer noch. Erst als die Kriminalbeamten drohten, die Türen der aufzubrechen, gab er nach. Aus Sicherheitskreisen hat der „Kölner Stadt-Anzeiger“ Details zum Hergang der Verhaftung erhalten. Umgehend präsentierten die Ermittler dem Tatverdächtigen demnach einen Haftbefehl.

Corona-Betrug in Rhein-Erft: Es geht um mindestens vier Millionen Euro

Orhan B. wird Abrechnungsbetrug mit Corona-Tests vorgeworfen. Dabei geht es um mindestens vier Millionen Euro, die seine ehemalige Firma Implura Medical über 14 Corona-Testzentren zwischen 2021 und Ende 2022 von der Kassenärztlichen Vereinigung Nordrhein illegal erhalten haben soll.

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Zudem soll der inzwischen ausgeschiedene Geschäftsführer laut Staatsanwaltschaft Köln 1,4 Millionen Euro Firmenvermögen veruntreut haben. Die Strafverfolger ermitteln in dem Komplex gegen sechs Beschuldigte. Orhan B. sitzt wegen gewerbsmäßigen Betruges in Untersuchungshaft.

Testergebnis für Tochter erhalten, aber: Sie hatte nie einen Test gemacht

Seit September 2022 hatte eine Ermittlungsgruppe der Kripo den Firmenlenker auf dem Schirm. Eine harmlose Nachricht löste demnach die Nachforschungen aus. Ein Mann hatte sich bei der Polizei im Rhein-Erft-Kreis gemeldet, weil er ein Testergebnis für seine Tochter erhalten hatte, obwohl das Mädchen sich nie in einem der Coronatestzentren der Implura auf eine Infektion hatte untersuchen lassen.

Im Laufe der Ermittlungen setzte sich das Bild aus zahlreichen Mosaiksteinen zusammen. Orhan B. steuerte ein umfangreiches Firmengeflecht. Der Geschäftsmann betreibt wohl Unternehmen im Bereich Zahnmedizin, Zahnimplantaten, aber auch in der Friseurbranche und im Facility-Management.

Als der Markt mit den Corona-Testzentren boomte, soll er 14 Corona-Test-Stationen in Kerpen-Sindorf, Erftstadt, Bedburg, Hürth, Euskirchen, Köln und Rommerskirchen eingerichtet haben. Das Geschäft florierte, wohl unabhängig davon, ob die Tests tatsächlich stattfanden oder nicht. Die Kassenärztliche Vereinigung (KV) Nordrhein zahlte offenbar, ohne groß Fragen zu stellen.

Ferrari und Lamborghini: Ermittler beschlagnahmten Luxuskarossen

Bei einer Razzia am Dienstag beschlagnahmten die Ermittler mehrere Luxuskarossen: Einen Ferrari F8, dessen Basispreis derzeit bei rund 230.000 Euro liegt, konfiszierten die Beamten in einer Glas-Box in der Motorworld am Butzweilerhof in Köln. Dort stellte B. das Auto aus. Auch einen Lamborghini Ursus, 225.000 Euro Basispreis, stellten die Beamten sicher.

Wie aber war es möglich, sich auf Kosten der KV so einfach zu bereichern? Nach Recherchen dieser Zeitung versagten die Kontrollmechanismen. Zum konkreten Fall wollte sich Christopher Schneider, Sprecher der KV, wegen laufender Ermittlungen nicht äußern, ließ aber wissen: „Auf Grundlage der bis Anfang 2023 geltenden Corona-Testverordnung des Bundes hat die KV die seinerzeitigen Test-Abrechnungen aus Nordrhein regelhaft überprüft und dabei Stichproben- und Auffälligkeitsprüfungen durchgeführt. Hinzu kamen Fälle, die der KV von Dritten gemeldet wurden. Implausibilitäten wurden zur Anzeige gebracht oder Gelder von den Betreibern zurückgefordert.“

Sofern in den Prüfprozessen Anzeichen auf vorsätzlichen Abrechnungsbetrug erkennbar gewesen seien, so Schneider, stehe die KV in regem Austausch mit den jeweiligen Ermittlungsbehörden und habe die weiteren Schritte im Rahmen der Möglichkeiten – hier vor allem durch das zur Verfügung stellen von Abrechnungsdaten – vollumfänglich unterstützt. „Etwaiger finanzieller Schaden aufgrund fälschlicher Test-Abrechnungen ging dabei zu Lasten des Bundesamtes für Soziale Sicherung beziehungsweise des Gesundheitsfonds, aus dessen Mitteln die Corona-Testungen bundesweit getragen wurden.“

Auch in einem Fall in Köln geht es um Millionen-Betrug 

Der Eindruck entsteht, dass die Prüfungen der KV bei den Corona-Testzentren äußerst lax ausgefallen sind. So auch in einem äußerst pikanten Fall in Köln. Mitte Dezember 2022 hob die Polizei einen Betrüger-Ring aus. Der Kopf der Bande operierte von Sizilien aus, die Täter nutzten die Corona-Pandemie aus. Insbesondere die Sonderregelung, durch die Testzentren schnell und unbürokratisch für die Viren-Abstriche bezahlt wurden.

Mehrere Männer sollen zunächst aus Sizilien nach Köln geflogen sein, um hier für einen geringes Honorar Briefkästen anzumelden. Diese Scheinadressen dienten dazu, bei der KV abzurechnen. Zwischen Juni 2021 und Mai 2022 unterhielten die Beschuldigten dann insgesamt zehn fiktive Testzentren im Kölner Raum. Um den Schwindel zu verschleiern, fälschten die Betrüger Schreiben der Stadt Köln, versahen sie mit einer Nummer eines registrierten Testzentrums und schickte alles an die KV. Niemand überprüfte, ob diese Corona-Points auch real existierten.

Betrug in Köln: 4,6 Corona-Tests pro Minute? KV schöpft keinen Verdacht

Zwischen Juni 2021 und Mai 2022 versuchten die Betrüger insgesamt 1,9 Millionen Tests abzurechnen. „Angaben darüber, wer wann und wo getestet wurde, gab es nicht“, erläuterte Oberstaatsanwalt Ulrich Bremer nach der Razzia gegen die Bande. Allein an einer Teststelle wurden demnach 6600 Tests an einem Tag durchgeführt. „Das hieße, dass dort – wenn das Zentrum 24 Stunden geöffnet gewesen wäre – im Schnitt 4,6 Tests pro Minute durchgeführt worden wären“, rechnete Kripo-Chef Michael Esser vor.

Doch niemand bei der Kassenärztlichen Vereinigung scheint Verdacht geschöpft zu haben. Vertrauensselig zahlte man insgesamt 16 Millionen Euro an die Corona-Hochstapler aus. Erst als die Täter die Millionensummen unter anderem an eine Baufirma in kleineren Tranchen überwiesen hatten, flog der Betrug auf. Jüngst hat die Staatsanwaltschaft nach Informationen dieser Zeitung die Drahtzieher vor dem Landgericht angeklagt. Immer noch ist unklar, was aus den zehn Millionen Euro geworden ist, die bei Razzia im Dezember 2022 nicht aufzufinden waren.

Zur generellen Ermittlungslage in Sachen Corona-Betrug teilt die Staatsanwaltschaft Köln auf Anfrage mit, dass dort derzeit knapp 80 Verfahren gegen mehr als 100 Beschuldigte im Zusammenhang mit Abrechnungsbetrug mit Corona-Testzentren anhängig seien. Ein Gesamtschaden lässt sich allerdings demnach nicht beziffern, da die Ermittlung des konkreten Schadens Cim Einzelfall sehr komplex ist". Denn weder die bei der kassenärztlichen Vereinigung beantragten Gelder, noch die Auszahlungssumme gäben Aufschluss über die tatsächliche Schadenshöhe. „In der Regel waren nicht die kompletten Abrechnungen falsch“, so die Staatsanwaltschaft. 

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