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Interview mit GerontopsychiaterDarum ist Einsamkeit gefährlich für Senioren in Rhein-Erft

6 min
Das Foto zeigt zwei ältere Personen, die einander an den Händen halten.

Ältere Menschen brauchen soziale Kontakte und Freizeitbeschäftigung, um fit zu bleiben.

Einsamkeit im Alter und fehlende kognitive Stimulation können eine Demenzerkrankung begünstigen. Daher sind Hobbys und Kontakte so wichtig.

Prof. Dr. Peter Häussermann, 53 Jahre, seit 2010 Chefarzt der Abteilung für Gerontopsychiatrie und Psychotherapie an der LVR Klinik Köln, spricht im Interview mit Elena Pintus über Demenzvorsorge und Gesundheit im Alter. Er ist Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie, Facharzt für Neurologie, Zusatzbezeichnung Geriatrie. Zudem ist er spezialisiert im Bereich gerontopsychiatrischer und neurogeriatrischer Erkrankungen.

Was ist besonders wichtig, damit Menschen im Alter kognitiv als auch körperlich fit bleiben?

Peter Häussermann: Es gibt hier im Wesentlichen drei Faktoren, die aus meiner Sicht die größte Bedeutung haben. Zum einen die richtige Ernährung. Studien zeigen, dass gesunde Ernährung das Herzinfarkt-, Schlaganfall- und Krebsrisiko ebenso senkt wie das Risiko, an einer Demenz zu erkranken oder einen Bluthochdruck zu entwickeln. Stichwort ist hier die mediterrane Kost.

Gesunde Ernährung hat auch Effekte, selbst wenn sie erst in der zweiten Lebenshälfte umgesetzt wird. Wer sich ab dem 60. Lebensjahr gut und gesund ernährt, kann bis zu acht zusätzliche, in Gesundheit verbrachte Lebensjahre gewinnen. Aber auch, wenn man erst jenseits des 80. Lebensjahres seine Ernährung umstellt, kann man noch profitieren. Die größte positive Wirkung auf unsere Lebenserwartung haben Hülsenfrüchte sowie Nüsse und Vollkorngetreide.

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Rhein-Erft: Weniger Wurst und Fleisch und Verzicht auf Alkohol

Dazu gilt es, den Fleisch- und Wurstkonsum insgesamt zu reduzieren und möglichst auf süße Getränke und Weißmehlgetreideprodukte weitgehend zu verzichten. Auch ein geringer Alkoholkonsum ist alterspräventiv wirksam. Obst und Gemüse sind auf alle Fälle Teil einer mediterranen Kost. Regelmäßiges Fasten entschleunigt Alterungsprozesse und kann zu einem guten und gesunden Altern mit beitragen.

Ein zweiter wichtiger Faktor ist das Ausmaß unserer sozialen Aktivität. Viele ältere Menschen leiden unter Einsamkeit, wobei die zugrunde liegenden Ursachen sehr variabel sind. Eine verringerte Mobilität kann hier ebenso beitragen wie auch der Verlust von Menschen aus dem persönlichen Umfeld. Soziale Kontakte helfen zum einen emotional und kognitiv gesund zu altern und haben zusätzlich eine aktivierende körperliche Komponente.

Soziale Stimulation reduziert Stressreaktionen im Körper

Durch soziale Stimulation kommt es zu einer Reduktion von Stressreaktionen im Körper. Dadurch werden Entzündungen reduziert und protektive, hormonelle wie auch epigenetische Faktoren aktiviert. Soziale Kontakte bewirken also über nachweisbare biologische Mechanismen eine positive Beeinflussung von Alterungsprozessen in unserem Körper. Eine verminderte Stressbelastung bessert auch hirneigene Regenerationsprozesse.

Ein dritter wesentlicher Faktor ist unsere körperliche Aktivität. Damit ist gemeint, dass wir Komponenten von Ausdauertraining, Krafttraining und koordinativem Training einsetzen, um unsere körperliche Leistungsfähigkeit im Alter zu verbessern. Alle drei Trainingsarten verbessern Stimmung und Gedächtnisleistung. Daneben erreichen wir so auch eine verbesserte kardiovaskuläre Belastbarkeit.

Viele, auch ältere Menschen beobachten ihr eigenes Mobilitätsverhalten über sogenannte Wearables, das sind spezialisierte Sensoren beispielsweise in Handys oder Uhren. Die Aufzeichnung unserer körperlichen Aktivität ist hilfreich, um unsere eigene körperliche Belastung zu messen und gegebenenfalls weiter zu steigern. Am besten findet körperliche Aktivität in Gemeinschaft statt.

In Köln gibt es eine Reihe guter Angebote in den einzelnen Stadtteilen, so beispielsweise das „Fit für 100 Programm“, welches ursprünglich an der Sporthochschule Köln entwickelt wurde. Unsere Muskulatur ist ein endokrin und biologisch aktives Organ. Das Steigern der muskulären Leistungsfähigkeit führt über sogenannte Myokine, das sind muskeleigene Botenstoffe, zu positiven Effekten auf Muskel-, Hirn und Herz-Kreislaufebene. Diese positiven Effekte sind umso größer, je höher die Trainingsintensität ist. Ganz allgemein kann gesagt werden, dass man auch im höheren Lebensalter einmal täglich ans Schwitzen oder außer Atem kommen sollte.

Einsamkeit ist ähnlich gefährlich wie Rauchen

Wie wichtig sind Hobbys und Freundschaften im Alter? Wie können Menschen ihr soziales Leben bereichern?

Wichtig ist es, soziale Aktivität auch im höheren Lebensalter als bedeutenden Faktor wahrzunehmen und dementsprechend seine eigenen Sozialkontakte zu pflegen. Einsamkeit geht isoliert betrachtet mit einem ähnlich erhöhten Sterblichkeitsrisiko wie das Rauchen einher. Aus meiner Sicht ist das Problem bei sozialen Aktivitäten im höheren Lebensalter, dass einerseits die körperliche Mobilität abnimmt und andererseits auch der Kreis an An- und Zugehörigen immer kleiner wird.

Wichtig ist daher die grundsätzliche Bereitschaft, sich in jeder Lebensphase auf neue Menschen einzulassen. So ist es beispielsweise bei einem Umzug ins Seniorenheim wichtig, offen für neue Kontakte und Aktivitäten zu sein. In allen Kölner Stadtteilen existieren Angebote für Senioren, zum Beispiel in Sportvereinen oder auch Kirchengemeinden. Viele Fitnessstudios bieten spezialisierte Programme für ältere Menschen an. Gerade die Kombination von körperlicher Aktivität im Gruppenkontext hat besonders ausgeprägte alterspräventive Effekte.

Das Foto zeigt den Chefarzt Prof. Dr. Peter Häussermann.

Prof. Dr. Peter Häussermann ist Chefarzt der Abteilung für Gerontopsychiatrie und Psychotherapie an der LVR Klinik Köln.

Die Kernfamilie, Lebenspartner, Kinder und Enkelkinder spielen im höheren Alter eine immer wichtigere Rolle. Auch hier kann schon in früheren Jahren die Beziehungsgestaltung positiv beeinflusst werden. Gleiches gilt für die zunehmende Bedeutung nachbarschaftlicher Beziehungen im höheren Lebensalter.

Warum ist Vereinsamung so gefährlich?

Vereinsamung bedeutet zu aller erst einmal den Wegfall von Anregungen im Bereich unserer Sinnessysteme. Das menschliche Gehirn ist auf Rückmeldungen aus unserer Umwelt angewiesen, um auf dem Boden vorbestehender Erfahrungen ein realistisches Bild unserer eigenen Lebenssituation zu erhalten. Kommt es jetzt einsamkeitsbedingt zu einer verminderten Rückmeldung aus dem Seh- oder Hörsystem, so entstehen häufiger im höheren Lebensalter auch Fehlwahrnehmungen. Geräusche werden überinterpretiert oder ein nachts am Fenster durch ein vorbeifahrendes Auto entstehender Lichteindruck wird als bedrohliche Person in der eigenen Wohnung fehlinterpretiert.

Immunsystem leidet unter Stressfaktoren

Soziale Einbindung reduziert Stressfaktoren, das körperliche und seelische Wohlbefinden steigt und die Lebensqualität verbessert sich. Stress führt wie beschrieben zu verstärkten Entzündungsreaktionen im Körper. Dies hat negative Effekte auf unser Gefäßsystem, unser Herz und unser Gehirn. Auch leidet unser Immunsystem unter einer länger anhaltenden, einsamkeitsbedingten Stressreaktion. Dadurch werden Alterungsprozesse auf Zell- und Organebene beschleunigt und verstärkt. Kardiovaskuläre Erkrankungen wie Bluthochdruck, Schlaganfall oder Herzinfarkt, aber auch Schlaf- oder Gedächtnisstörungen können das Resultat sein.

Kann eine Vereinsamung bei älteren Menschen auch zu einer Verschlechterung des körperlichen Zustandes führen?

Ja, auf alle Fälle. Soziale Stimulation verbessert einerseits Gedächtnis und emotionale Prozesse. Andererseits fördert soziale Aktivität auch unsere körperliche Mobilität. Verabredungen und Teilnahme an Spiel, Sport oder sonstiger Freizeitgestaltung hat einen positiven Einfluss auf Muskelfunktionen und unserer Herz-Kreislauf-Systeme. Zusätzlich verbessert sich Schlafqualität und Quantität und insgesamt die Lebensqualität, gerade älterer Menschen.

Was können Außenstehende tun, um der Vereinsamung älterer Menschen entgegenzuwirken?

Der entscheidende Punkt ist die Anregung zu sozialer Interaktion und auch körperlicher Aktivität. Das sich Einlassen auf ein Gespräch mit älteren Menschen, der Erfahrungsaustausch mit ihnen und ein Interesse an der Lebensrealität unserer älteren Mitmenschen sind gute Voraussetzungen der Vereinsamungstendenz entgegenzuwirken.

Was sind die wichtigsten Maßnahmen, um einer Demenz vorzubeugen?

Die wichtigsten evidenzbasierten Maßnahmen, um kognitiv gesund zu altern, sind inzwischen gut bekannt. Zum einen gilt es, kardiovaskuläre Risikofaktoren zu erkennen und entsprechend zu vermeiden. Hier geht es vor allem um Bluthochdruckerkrankungen, die Zuckerkrankheit sowie erhöhte Cholesterinwerte. Ausreichender und regelmäßiger Schlaf, eine gesunde Ernährung, der Ausgleich von Hör- und Sehdefiziten sind ebenfalls relativ gut umsetzbare demenzpräventive Maßnahmen. Ein weiterer protektiver Faktor ist das Erkennen und Behandeln von Depressionen, gerade auch im höheren Lebensalter.

Kontaktsportarten mit konsekutiven Kopfverletzungen gilt es in allen Lebensphasen möglichst zu vermeiden. Wie beschrieben, ist der wichtigste Faktor unsere soziale Teilhabe und Interaktion. Schädigungen durch hohen Alkoholkonsum oder Rauchen sollten vermieden werden. Eine gute Ausbildung im Jugend- und frühen Erwachsenenalter sowie intellektuelle Herausforderungen, auch im höheren Lebensalter, tragen dazu bei, länger kognitiv gesund und agil zu bleiben.