Selbstversuch in MuchWie ein einzigartiges Klangboot den Körper schwingen lassen soll

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Schreiner Elmar Vogt hat das einzigartige Instrument gebaut.

Much – Sich auf ein schwankendes Brett in die Horizontale zu begeben, das kostet Überwindung. Mein Rücken! Die Felle zwischen Holz und Haut sind dünn. Zumindest verhindern die eingesteckten Seitenwände, dass ich runterkippe.

Es erklingen die ersten Töne, die Kiste vibriert. Meine Muskeln entspannen in Minuten, der Körper sinkt tiefer. So müssen sich Babys in einer Wiege fühlen. Ich liege in einem Klangboot, einem einzigartigen Instrument, erfunden vom Klangtherapeuten Elmar Vogt aus Much.

Die Pappelholz-Kiste hängt an Seilen

Das „Boot“ dümpelt nicht in einem Teich, sondern hängt an Seilen und befindet sich einem Raum. Draußen prasselt der Regen an die Scheiben, drinnen bollert ein kleiner Kaminofen.

Das Holzgestell wirkt stabil, laut Vogt trägt es bis zu 130 Kilogramm. Er hat das Tischlerhandwerk gelernt, als junger Mann in Würzburg, die Heimat ist im rollenden R noch hörbar und im A, das wie ein O klingt.

Zum Instrumentenbau kam er durch seinen Gesangslehrer, einerseits; der drückte ihm ein Monochord in die Hand, dessen Einfachheit ihn beeindruckte: Alle Saiten haben denselben Durchmesser und die gleiche Länge und sind auf denselben Grundton gestimmt. Außerdem weckte sein Nachbar, ein Geigenbauer, seine Neugierde. Vogt begann, mit Holz und Saiten zu experimentieren.

Die Heilmethode

Die Klangtherapie ist heute vor allem in Asien verbreitet. Der griechische Philosoph Pythagoras (6. Jahrhundert v. Chr.) gilt als der erste, der Musik beziehungsweise Klang zu Heilzwecken für Körper und Emotionen einsetzte.

Die Musiktherapie wird in der mitteleuropäischen Kultur als ein Zweig der Psychotherapie gesehen und vor allem in der Arbeit mit schwerst behinderten Kindern und Jugendlichen sowie bei Demenzkranken eingesetzt. Sie gilt jedoch als Naturheilverfahren und ist keine Kassenleistung. (coh)

Das flache, locker mit Schafswolle gefüllte „Klangwunder“ hat er geschaffen. Das wird nicht nur mit der Hand gespielt. Er lässt eine dicke Murmel darauf rollen und erzeugt ein Sirren, anschwellend und abschwellend.

Weil es sich nicht für Kinder eignete („die nutzen es als Sitzbank, und dann ist es kaputt“), konstruierte er eine Röhre, bespielbar selbst für die Allerkleinsten. Die können darauf liegen, hineinkriechen oder klettern – und den Klang körperlich spüren. Das sollte sie beruhigen, so die Theorie.

Ein Versuch in einer Grundschulklasse schockte Vogt: „Sie haben laut geschrien, ich fühlte mich wie ein Versager.“ Doch die Lehrerin habe ihm später begeistert von dem Langzeiteffekt erzählt. Selbst die Wibbeligen konnten sich viel besser konzentrieren.

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Die Saiten unter dem Klangboot versetzen den Holzkörper in Vibrationen.

Es ist die Stille, die den Klangtherapeuten umtreibt, so paradox sich das anhört. Er übt sich regelmäßig in Meditation, gehört zum buddhistischen Zentrum in Waldbröl, strahlt Gelassenheit aus. Regt er sich nie auf? „Doch, fragen Sie meine Frau!“, sagt er schmunzelnd.

Sein Rezept: Er legt sich auf den Wollteppich, platziert eines seiner kleineren Instrumente auf dem Körper und streicht über die Saiten. „Die Stille allein kann beklemmend wirken. Die Töne sagen uns: Da ist noch etwas.“

Auch das Klangboot ist ein Monochord, wirkt beruhigend auf Herzschlag und Puls, das ist nachgewiesen. So mancher spürt noch mehr, geht bei der Fahrt auf eine Fantasiereise. Wie eine Frau vor einer Knie-OP, die sich Zwerge vorstellte, die aus Eimern eine Flüssigkeit ins Gelenk schütteten.

Und nach den 90 Minuten erheblich besser laufen konnte, erzählt Vogt. Die Operation konnte er ihr indes nicht ersparen. „Ich bin kein Wunderheiler.“

Gegen Verstopfung und Atemnot

Dass Klänge zu medizinischen Zwecken eingesetzt wurden, das habe schon Pythagoras erforscht. Er selbst hat die Wirksamkeit in der Arbeit mit schwerst mehrfach behinderten Kindern erlebt.

Die Pflegerinnen hätten kleine Patienten mit Verstopfung gebracht und mit Lungenkrankheiten. „Durch die Töne hat sich etwas gelöst und konnte abfließen.“

Im Klangboot kämen auch Erwachsene zur Ruhe, wie der umtriebige Mann, „der immerzu denkt“, erzählt der Therapeut. Leute, von Lebenskrisen geschüttelt, könnten zu sich finden, Ängste vor Krankheit, Tod, etwas von ihrem Schrecken verlieren, das Schwingen im Zusammenspiel mit den Vibrationen vieles wieder ins Lot bringen.

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Die Klangboot-Reise ist als Marke eingetragen, für sein Instrument hat er kein Patent beantragt, zu aufwendig, zu teuer, nicht lohnend. „Ein anderer müsste ja bloß ein Detail verändern. Das gibt nur Ärger.“

Der untere Rahmen ist aus Esche gemacht, der obere und der Boden aus Pappel, ein weiches, schwingendes Holz, „auch sehr schön für den Kontrabass“, bemerkt Vogt. Er streicht über die Saiten an der Unterseite und lässt die Klangwellen schwappen. Bläst zwischendurch in eine Pappröhre und erzeugt ein dumpfes Röhren, lässt seine Stimme leise sirren.

Und mein Rücken? Der meldet sich, als ich aus dem Boot steige. Aber längst nicht mehr so laut. Fühle mich entspannt und gut gelaunt. Liegt das wirklich an der „Reise“? Egal!

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