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Neues JahresheftWarum die Marke 4711 auch zur Troisdorfer Geschichte gehört

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Historische Schwarz-Weiß-Aufnahme einer mit Girlande geschmückten Straßenbahn.

Mit der Wiedereröffnung der Aggerbrücke wurde auch die Bahnverbindung nach Siegburg wiederhergestellt

Der Heimat- und Geschichtsverein hat Heft Nummer 55 der Schriftenreihe vorgelegt. Das neue Heft ist 124 Seiten stark.

Es ist ein kleiner schwarzer Taschenkalender, den im April 2023 Yvonne Andres-Péruche aus dem Nachlass ihres Bruders René erhält. Nie hat sie das Büchlein bei ihrem Bruder gesehen, nie hat er auch nur erwähnt, dass es in seinem Besitz ist. Der Inhalt aber fesselt die Troisdorferin: „Wie ein Krimi“ war die Lektüre, die „Chronik eines Klarsichtigen“.

Auszüge aus dem Inhalt teilt Andres-Péruche mit den Leserinnen und Lesern des jüngst erschienen Troisdorfer Jahreshefts. Es sind Aufzeichnungen, die Ludwig Péruche, der Onkel der Autorin, notiert hat. Als Kaplan der Erzdiözese ist der in den letzten Monaten des Zweiten Weltkriegs in der Region unterwegs, zu Fuß oder mit der Bahn.

Heimat- und Geschichtsverein Troisdorf, Jahreshefte, HGT,

Eng beschrieben sind die Seiten in dem Notizbuch, das Ludwig Péruche führte und das seine Nichte vorstellt.

Eng beschrieben sind die Seiten in dem Notizbuch, das Ludwig Péruche führte und das seine Nichte vorstellt.

Mit dem Eintrag „Reve passé“ – „aus der Traum“ – hat er am 1. Januar 1945 das Heft eröffnet.Dass der Traum längst zum Alptraum geworden war, sei, so Andres-Péruche, sei „vermutlich auch dem standfestesten Volksgenossen klar gewesen,“ schreibt sie. Ihr Onkel wird Chronist des Endes: Er schildert den Vormarsch der amerikanischen Truppen, immer wieder berichtet er von Beerdigungen – auch von Psychiatriepatienten, die offenbar ermordet wurden.  

Die Leute wollten schließlich die Wahrheit nicht mehr sehen und hören
Ludwig Péruche über das Jahr 1945

Ludwig Péruche weiß – und schreibt – von Todesmärschen nach Bergen-Belsen und beklagt am 30. April: Die Mitmenschen lebten „in tiefster Unkenntnis dessen, was wirklich vorgeht“. Sie wichen dem Tatsächlichen sogar mit Vorsatz aus, stellt er fest. „Die Leute wollten schließlich die Wahrheit nicht mehr sehen und hören.“ Der fleißige Chronist beschreibt die Wege der zerstreuten eigenen Familie und jubelt am 25. Dezember: „Erste vom Nazi-Joch befreite Weihnachten!“

„Aufbruch in Troisdorf“ nannte bei der Vorstellung des neuen, mittlerweile 55. Jahreshefts, Claus Chrispeels, der Vorsitzende des herausgebenden Heimat- und Geschichtsvereins Troisdorf (HGT) als verbindendes Element etlicher Texte in der 124 Seiten starken Publikation. So auch in dem Aufsatz von Dr. Kordula Kühlem, zum ersten Mal Autorin für das Heft. „Ich baue weiter“ hat sie ihren Beitrag über den Wiederaufbau in Spich nach dem Zweiten Weltkrieg überschrieben.

200 Jahre Firmengeschichte prägen Troisdorf bis heute

Einen mutigen Aufbruch wagte vor nunmehr 200 Jahren Johann Wilhelm Windgassen, eigentlich Landvermesser, der an der Sieg eine Eisenhütte gründete, die Keimzelle für die heutige Mannstaedt GmbH. Dr. Petra Dahlmann, Autorin einer umfangreichen Publikation zur Firmengeschichte, gibt im Jahresheft einen kurzen Abriss.

Noch früher brach Wilhelm Mülhens auf, der Gründer des Unternehmens 4711: Wie Dr. Ansgar Klein erzählt, wurde er 1762 in Troisdorf geboren; wann er nach Köln umzog, ist nicht bekannt. Wie überhaupt, so bedauert Ansgar Klein wie auch andere Forschende, die Quellenlage zur Familiengeschichte wie zu der des Unternehmens nicht gut. In Troisdorf erinnert der Wilhelm-Mülhens-Platz an den prominenten Spross der Stadt; das Wohnhaus der Familie – Kölner Straße 1 – gibt es nicht mehr.

Eine historische Aufnahme eines Schwimmbaggers auf einem See.

Schwimmbagger und Transportbänder hatte die Firma Karl Thebes an der Nordseite des Rotter Sees im Betrieb.

Industriegeschichte in Troisdorf hat sich Joachim W. Bohn vorgenommen, einer der neuen Autoren im Kreis. Er schreibt unter der Überschrift „Von Lehmträtschern, Tongruben und dem Rotter See“ über den Abbau von Kies, Ton und Sand rund um Kriegsdorf. 

Den Aufbruch in eine neue kommunalpolitische Ära vor 50 Jahren schildert einer, der sie selbst als Beteiligter erlebte: Uwe Göllner, damals Stellvertreter von Hans Jaax, dem ersten sozialdemokratischen Bürgermeister nach der kommunalen Neuordnung, und ab 1993 dessen Nachfolger im Amt. Dabei würdigt Göllner die Verdienste Jaax' ebenso wie er die großen Themen der damaligen kommunalpolitischen Debatte in Erinnerung ruft: Sondermüll gehörte dazu, Schulen und Schulformen, das erste Altenheim und die Hochhaussiedlung der „Neuen Heimat“.

Von der Zwangsarbeit in Troisdorf nach Hollywood

Troisdorf als Ausgangspunkt einer Weltkarriere nennt Autorin und Produzentin Friederike Felbeck in ihrem Beitrag Tonino Guerra in Troisdorf: Der später vielfach preisgekrönte Drehbuchautor verfasste hier, als Zwangsarbeiter 1944 aus Italien verschleppt, seine ersten Gedichte. 1987 kam er, inzwischen 77 Jahre alt, noch einmal nach Troisdorf zurück. Das außergewöhnliche Theaterprojekt „Scheuer Vogel Traum“, das Kunsthausleiter Frank Baquet rekapituliert, brachte zumindest Guerras Poesie noch einmal in die Stadt.

Nicht zu trennen von der Troisdorfer Stadtgeschichte ist die lange Präsenz belgischer Militäreinheiten hier. „Über ein Miteinander mit widerstrebenden Interessen 1960 – 1964“ hat Dr. Ulrich Burger umfang- und kenntnisreich geschrieben; über eine Phase, in der „die Beziehungen im Alltag enger“ wurden. Auch wenn deutsch-belgische Ehen, wie Dr. Burger beim Archivstudium erfuhr, „eher die Ausnahme blieben.“

Die Stadtbibliothek Sieglar ist gleich zweimal vertreten

Seiner Leidenschaft für den Sport frönt einmal mehr Autor Wolfgang Rehmer, der Alwin Herrmann und seine Bedeutung für die Troisdorfer Leichtathletik vorstellt. „Die Anfänge und Entwicklung der amtlich organisierten Erwachsenenbildung“ beschreibt Johannes Ehrengruber. Seinem Beitrag für die Zeit von 1946 bis 1969 wird ein zweiter Abschnitt (bis 1975) folgen.

Ein Flachbau; über der Tür steht "Stadt-Bibliothek"

Vor 50 Jahren wurde die Stadtbibliothek in Sieglar im Schulzentrum eröffnet.

Gleich zwei Beiträge sind in diesem Jahr der Stadtbibliothek Sieglar gewidmet: Angesichts von deren 50. Geburtstag in diesem Jahr sei es „Zeit, eine Bilanz zur Bibliotheksgeschichte Troisdorfs zu ziehen“, findet Autorin Sybille Mohnhoff. An die Gründung des Fördervereins Pro Bibi vor 30 Jahren erinnert Hedwig Bäte, die damals die Initiative zur Rettung der Sieglarer Bibiliothek im Schulzentrum angestoßen und als Mitgründerin den Verein aus der Taufe gehoben hatte.

Auf ein halbes Jahrhundert blickt der Arbeitskreis Kunst Troisdorf zurück. „Nicht Rückschau, sondern Ermutigung“ solle das Jubiläum sein, schreibt die Vorsitzende Birgit Friese, die den Weg „von der alternativen Künstlergruppe zum kreativen Begegnungsort“ selbst erlebt hat und heute beschreibt. 

Das Troisdorfer Jahresheft kostet zehn Euro. Es ist an den üblichen Verkaufsstellen in der Innenstadt und einigen Stadtteilen erhältlich.