Rücktritt von Kardinal MarxIn Marx' Rücktritt schwingt Kritik an Woelki mit

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Kardinal Marx hat seinen Rücktritt angekündigt.

München/Köln – Von Köln ist keine Rede, als Kardinal Reinhard Marx in München vor die Kameras tritt und seinen Rücktritt ankündigt. Er mache anderen „keine Vorschriften“, sagt der Erzbischof. In der Tat, das kann er nicht. Aber das muss er auch nicht. Allein sein Schritt und dessen Begründung sind eine überdeutliche Ansage an den Mitbruder am Rhein – jenseits einer höchstpersönlichen Entscheidung.

Marx wirkt angespannt, aber zugleich gefasst und entschlossen, als er seinen Rücktritt verkündet. Aus den Lippen ist die Farbe gewichen. Von seinem gewohnten Lachen – mal schelmisch-süffisant, meist herzhaft, gelegentlich auch grimmig – sind diesmal nur Spurenelemente sichtbar. Schon länger habe er sich mit dem Gedanken getragen, zu gehen, sagt Marx. Als Chronist in eigener Sache nennt er präzise die Daten und Abläufe: Brief an den Papst um Ostern herum. Telefonat mit Franziskus am 21. Mai. Nach der vom Papst erbetenen Zeit zum „Nachdenken und Beten“ dann eine Mail in der vorigen Woche und ein weiteres Telefonat, in dem es um die Veröffentlichung des Briefs an den Papst sowie einer ergänzenden persönlichen Erklärung ging.

Da fügt Marx den grundsätzlichen Erwägungen über die Mitverantwortung der Bischöfe und anderer führender Kirchenvertreter sowie über den Einfluss des „Systems Kirche“ auf die „Katastrophe“ noch einige sehr persönliche Episoden hinzu. Als er im Münchner Mariendom bekannt habe, „wir haben versagt“, habe er sich anschließend die Frage gestellt: „Wer ist wir? Gehöre ich nicht auch dazu?“

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Gutachten reichen Marx nicht

Was ihn am meisten umgetrieben habe, sagt Marx, sei das Entsetzen darüber, dass Menschen im Raum der Kirche Unheil erfahren hätten – buchstäblich eine Perversion des Anspruchs, „Raum der Heilung, der Hoffnung, der Zuversicht“ zu sein. Diese Kluft, das macht Marx in seinem kurzen Statement am Freitag deutlich, lasse sich allein mit juristischen Mitteln, mit Gutachten oder der Benennung „administrativer Versäumnisse“ weder ausloten noch überwinden. Spätestens an dieser Stelle ist eben doch überdeutlich von Köln die Rede – und vom Versuch des Kölner Kardinals Rainer Woelki, mit einem auf die „Rechtmäßigkeitsprüfung“ fokussierten und zugleich beschränkten Gutachten pflichtwidriges Verhalten von Amtstägern zu dokumentieren und zu sanktionieren.

Aber wer, fragt Marx, könne denn deutlich machen, dass die Kirche ihre Verantwortung übernimmt? Die Betroffenen erwarteten, dass dafür entsprechende Zeichen gesetzt würden. Und da habe er sich, so Marx, zuletzt immer stärker herausgefordert gesehen.

Als erste Konsequenz brachte der Kardinal, der bis 2020 an der Spitze der Deutschen Bischofskonferenz gestanden und in dieser Funktion die sogenannte MHG-Studie zur Aufarbeitung des Missbrauchsskandals auf gesamtdeutscher Ebene auf den Weg gebracht hatte, aus seinem Privatvermögen eine halbe Million Euro in eine von ihm gegründete Stiftung zugunsten Betroffener von sexuellem Missbrauch ein.

Kardinal Woelki als Weißer Elefant

Als er Ende April für sein Wirken in Kirche und Gesellschaft mit dem Bundesverdienstkreuz geehrt werden sollte, erhoben Missbrauchsopfer lautstark Einspruch. Sie verwiesen auf Marx’ bislang nicht vollends geklärte Rolle im Umgang mit Missbrauchsfällen aus seiner Zeit als Bischof von Trier. Kurz vor der Ordensverleihung bat Marx Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier, auf die Auszeichnung zu verzichten. „Die Kritik, die nun von Menschen geäußert wird, die von sexuellem Missbrauch im Raum der Kirche betroffen sind, nehme ich sehr ernst, unabhängig von der Richtigkeit der einzelnen Aussagen in Offenen Briefen und in der medialen Öffentlichkeit“, erklärte Marx damals. Nach eigener Darstellung war sein Rücktrittsgesuch an den Papst zu diesem Zeitpunkt schon verfasst. Es wäre somit der dritte, ultimative Schritt, der Point of no return.

„Es muss sein“, das sei ihm immer mehr klar geworden, sagt Marx dazu – als individuelle Entscheidung, aber auch als ein stellvertretender Schritt, als ein Stück – wenn man so will – Amtshaftung in moralischer Perspektive. Es steht eine ganze Theologie der Geschichte und des Bischofsamts in der katholischen Kirche dahinter, wenn Marx sagt: „Die institutionelle Verantwortung kann nur der Bischof übernehmen, auch für die Vergangenheit.“ Vollends existenziell wird es, wenn Marx das Jesus-Wort an seine Jünger zitiert, dass sein Leben verliert, wer es retten will. Das, so insinuiert es Marx, lässt sich auch auf (kirchliche) Ämter anwenden.

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Doch neben der hohen Theologie beherrscht der Kardinal auch das Orgelspiel auf einer zweiten Klaviatur. Register: Spanische Trompete. „Es kann ja nicht sein, dass ich damit zufrieden bin, dass mir persönlich juristisch nichts oder nur wenig nachgewiesen wird“. Und sogleich steht wieder „der weiße Elefant im Zimmer“ (Petra Morsbach): Alle sehen ihn, aber keiner sagt: Da ist er. Das Zimmer ist das Erzbistum Köln, und der weiße Elefant ist Kardinal Woelki mit seinem Missbrauchsgutachten. Nicht eine Pflichtverletzung legen die Gutachter dem amtierenden Erzbischof zur Last. Die Null auf der Liste sollte Entlastung bringen, zum Befreiungsschlag werden. Marx hat diese Strategie durchkreuzt – und auch die immer neuen Versuche, mit dem Finger von Köln weg auf andere Bistümer zu zeigen, wo der Missbrauch doch auch...

Auch Papst Benedikt XVI. im Fokus

Tatsächlich kommt hier das Erzbistum München in den Blick – und ein anderer weißer Elefant. Das von Marx angekündigte Gutachten, gegen das es dem Vernehmen nach juristische Widerstände von Verantwortlichen gibt, wird nicht nur Marx’ Agieren, sondern speziell das seines Vorvorgängers Joseph Ratzinger beleuchten, des späteren Papstes Benedikt XVI. Mit den Ergebnissen muss Marx sich nicht mehr herumschlagen. Und seine Konsequenz – nun, die hat er schon vor dem Testat der Juristen gezogen. Er geht gewissermaßen, ohne gegangen zu werden.

Der frühere Co-Sprecher des Kölner Betroffenenbeirats, Patrick Bauer, jedenfalls sieht damit den Druck auf Woelki und andere Bischöfe deutlich erhöht. „Ich hoffe, der Rücktritt von Kardinal Marx führt zu der Einsicht, dass nicht erst Gutachten geschrieben und Visitatoren entsandt werden müssen, um Fehler einzugestehen und persönliche Konsequenzen zu ziehen“, sagt Bauer dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Der Präsident des Laiendachverbands ZdK, Thomas Sternberg, bringt es auf die Formel: „Da geht der Falsche.“

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