„Anne Will“ zu ThüringenSöder inszeniert sich als erster Kämpfer gegen die AfD

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Söder dpa neu

Gäste bei Anne Will: Annalena Baerbock, Parteivorsitzende Bündnis 90/Die Grünen und CSU-Chef Markus Söder (r.).

Berlin – „Politik im Krisenmodus – wer hält das Land noch zusammen?“ So lautet das Thema, unter das die Redaktion von Anne Will die Sendung an diesem Sonntagabend gestellt hat. Das ist einerseits passend nach dem Tabubruch bei der Ministerpräsidentenwahl von Thüringen und der Rückzugsankündigung der CDU-Vorsitzenden Annegret Kramp-Karrenbauer. Andererseits klingt es auch ein bisschen nach dem Titel eines Besinnungsaufsatzes, in dem alles und nichts stehen kann. Spannend wird die Sendung trotzdem - in diesen Zeiten geht es kaum anders. Die Analyse zum Abend.

Der fehlende Partygast

Die Gästeliste ist hochkarätig. Gleich drei Parteichefs diskutieren: Saskia Esken (SPD), Annalena Baerbock (Grüne) und Markus Söder (CSU). Weitere Gäste sind der frühere Innenminister und FDP-Dauerquerdenker Gerhart Baum sowie Zeit-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo. Nicht eingeladen ist ein Vertreter der CDU, also der Partei, über die im Land und in der Sendung besonders viel geredet wird. Man könnte jetzt natürlich sagen, die CDU wird bei „Anne Will“ von CSU-Chef Söder mitvertreten. Doch für Söder wie für alle anderen gilt die alte Partyregel: Am leichtesten spricht es sich immer über Abwesende. Hier also über die CDU.

Die klarste Ansage

„In Thüringen gibt’s jetzt gar keinen anderen Weg: Es muss dieser Ramelow gewählt werden“, sagt das FDP-Mitglied Gerhart Baum. „Es muss Schluss sein, dass die AfD sich noch mal einmischt.“ Der 87-Jährige verweist auch Kraft der Autorität seines Lebensalters darauf, dass es ihm Angst macht, wie groß Erfolg und Einfluss des Rechtsextremismus in unserer Republik geworden seien. Der frühere Bundesinnenminister macht keinen Hehl daraus, dass er in der Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich mit AfD-Stimmen zum Ministerpräsidenten in Thüringen einen gigantischen Fehler sieht. Er verweist aber auch darauf, dass die FDP sich entschuldigt habe.

Der gewagte Vergleich

„Wir können doch nicht 25 Prozent der Wähler in den neuen Bundesländern wie nach so einer Corona-Erkrankung auf dem Kreuzfahrtschiff erst mal unter Quarantäne stellen“, sagt Giovanni di Lorenzo, Chefredakteur der Zeit. Anders ausgedrückt: Abgrenzung von Björn Höcke und der AfD? Unbedingt! Kampf um die Wähler, die den etablierten Parteien verloren gegangen sind? Ebenso unbedingt! Das ist von der Analyse her richtig. Den Osten der Republik mit einem Kreuzfahrtschiff zu vergleichen, dürften einige gewagt finden. Jedenfalls regt das Bild zum Nachdenken an.

Die klügste Antwort

„Die Zivilgesellschaft.“ Mit diesen Worten antwortet Grünen-Chefin Annalena Baerbock auf die Ausgangsfrage, wer das Land noch zusammenhält. Die Antwort ist erstens richtig, da tatsächlich auch der große öffentliche Protest dazu geführt hat, dass Thomas Kemmerich als Ministerpräsident zurückgetreten ist. Zweitens klingt die Antwort so optimistisch wie ermutigend. Drittens kommt sie in der Wählerschaft Baerbocks und der Grünen garantiert gut an.

Der Versprecher des Abends

„Helmut Laschet.“ So nennt Giovanni di Lorenzo aus Versehen den nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet, der neben Friedrich Merz und Jens Spahn als aussichtsreicher Kandidat für den CDU-Vorsitz gilt. Das ist deshalb ganz passend, weil Laschet – wie einst Helmut Kohl – nicht der größte Charismatiker ist, ihm aber zugetraut wird, Wähler der Mitte zu gewinnen.

Es war vermutlich lange nicht mehr so einfach, als SPD-Chefin oder SPD-Chef in eine Talkshow zu gehen. Denn wo es bis vor Kurzem vor allem immer um die Probleme der Sozialdemokraten ging, wird jetzt über die Führungslosigkeit der CDU geredet. Die SPD-Vorsitzende Saskia Esken macht zwar einen richtigen Punkt, als sie sagt, die CDU müsse sich auch „ein Stück weit“ mit sich selbst beschäftigen und klären: „Wofür steht sie eigentlich?“ Doch davon abgesehen gelingt es Esken kaum, sich und die SPD an diesem Abend in die Offensive zu bringen. Vielleicht auch deshalb, weil sie – die der großen Koalition stets skeptisch gegenüber stand – sich jetzt schwer tut, von den Christdemokraten stabiles Regierungshandeln einzufordern.

Der Gewinner

And the winner is… Markus Söder. Der bayerische Ministerpräsident und CSU-Chef setzt einen selbstbewussten Punkt, als er klar macht: Wer auch immer CDU-Chef wird, muss im Zweifel auch damit leben können, gar nicht Kanzlerkandidat zu werden. Denn die erste Personalie will Söder rasch, die zweite lieber später entschieden wissen. Davon abgesehen ist es faszinierend, wie cool und überzeugend sich Söder, der früher mit Begriffen wie „Asyltourismus“ zur Spaltung im Land beitrug, jetzt als erster Kämpfer gegen die AfD inszeniert. Irgendwie gelingt es ihm auch noch, als der große Talkshow-Versöhner aufzutreten.

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Grünen-Chefin Annalena Baerbock irritiert Söder dabei auf eine ganz besondere Art und Weise. Der Kabarettist Florian Schroeder drückt es in einem Tweet zur Sendung so aus: „Der Coach, der Söder diesen ‘ich hör Euch allen zu und hab Euch alle lieb‘-Stuhlkreis-Habeck-Sound eingetrichtert hat, hat einen Orden verdient.“

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