Klares Signal an die UkraineHabeck reist mit Wirtschaftsdelegation nach Kiew

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Wolodymyr Selenskyj (rechts), Präsident der Ukraine, und Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen), Bundesminister für Wirtschaft und Klimaschutz, geben sich die Hand bei einem Besuch in Jahidne.

Selenskyj und Habeck treffen im ukrainische Dorf Jahidne zehn Überlebende einer russischen Belagerung.

Der Wirtschaftsminister besucht Kiew - mit einer Delegation von Industriekapitänen und Firmenchefs. Was steckt dahinter?

Wenn der Bundeswirtschaftsminister ins Kriegsgebiet fährt, erwartet niemand, dass er über Außenwirtschaftsförderung und die Vermittlung von Investitionen spricht wie in jedem anderen Land - auch dann nicht, wenn er eine hochrangige Delegation aus Industriekapitänen, Verbandschefs und Firmenlenkern mitbringt. Und doch wird Robert Habeck bei seinem Besuch in der Ukraine an diesem Montag nicht nur der Ausnahmezustand des Landes vor Augen geführt, sondern auch das menschliche Leiden und die Brutalität des Krieges.

Am frühen Morgen hatte das nächtliche Kiew den Sonderzug mit den Deutschen noch mit Schneeregen begrüßt, das Tagesprogramm war noch geheim, aus Sicherheitsgründen. Er komme nicht mit leeren Händen, sagt Habeck am Bahnhof. Er ist seit Kriegsbeginn der Besucher aus Deutschland, wahrscheinlich sogar der erste überhaupt, der eine Wirtschaftsdelegation dabei hat. Es gehe um ein klares Signal an die Ukraine, dass man trotz allem auf das Land und den Markt setze: „Wir können wieder“ – das sei die Botschaft der deutschen Wirtschaft.

Habeck will deutsch-ukrainische Energiepartnerschaft neu aufsetzen

Die Ukraine solle das klare Zeichen bekommen, „dass wir daran glauben, dass sie siegreich sein wird“, so Habeck, „dass sie wiederaufgebaut wird, dass es ein Interesse von Europa gibt, nicht nur in der Not zu unterstützen, sondern dass die Ukraine auch ein wirtschaftlich starker Partner in der Zukunft sein wird“. Habeck trifft Regierungsvertreter, besucht ein Umspannwerk des Energiekonzerns Ukrenergo, das eines der am dichtesten besiedelten Gebiete der Ukraine versorgt, spricht über deutsch-ukrainische Energiepartnerschaft von 2020, die er neu aufsetzen will: „Der Wunsch und die strategischen Pläne – und das sind ja Sicherheitspläne der Ukrainer – sind tatsächlich, das Energiesystem breiter und dezentraler aufzustellen“, sagt er.

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Das sei auch eine „Einladung zur Dekarbonisierung“. „Insofern passen da zwei Sachen ganz gut zusammen: das Sicherheitsbedürfnis und ein zukunftsfähiges Energiesystem.“ Die Ukraine könne zum Energieexporteur für Europa werden. Doch als sich am frühen Nachmittag herausstellt, dass Habeck sogar auf Präsident Wolodymyr Selenskyj treffen wird, treten die Wirtschaftsfragen in den Hintergrund. Selenskyj hat den Deutschen dazugebeten, als er selbst das Dorf Jahidne besucht, zwei Autostunden vor Kiew.

Selenskyj und Habeck treffen zehn Überlebende aus Jahidne

Vor einem Jahr waren hier russische Truppen einmarschiert, pferchten 350 Einwohner im Keller der Schule über Wochen unter qualvollen Umständen zusammen. Der Platz reichte kaum, um sich zu setzen oder gar hinzulegen. Elf Ukrainer überlebten die Tortur nicht. Mehr als ein weiteres Dutzend sollen die Besatzer ermordet haben. Selenskyj und Habeck treffen nun zehn Überlebende, die von den Qualen berichten. Der Präsident dankt ihnen danach mit brüchiger Stimme, ehe er Habeck für die deutsche Unterstützung dankt. Es gibt eine Vorgeschichte zu Habecks Ukraine-Besuch.

Vor zwei Jahren war er schon einmal im Land: Als Co-Parteichef besuchte er die Front in der Ostukraine, wo bereits Krieg herrschte. Damals sprach der Grüne sich für die Lieferung von Verteidigungswaffen an die Ukraine aus, was ihm in Deutschland als großer Patzer ausgelegt wurde – auch in der eigenen Partei. Doch Selenskyj hat ihm das nicht vergessen. Habeck selbst sagt nach dem Treffen, die Ukrainer sehen, dass Deutschland inzwischen einen radikalen Sinneswandel hingelegt habe.

„Die Reise ist ein Signal an die Ukrainerinnen und Ukrainer, dass auch die deutsche Wirtschaft zu ihnen steht.“
Siegfried Russwurm, Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer

Der Wirtschaftsminister ist nun wieder seiner Zeit voraus: Er hat Industriepräsident Siegfried Russwurm (BDI) mitgebracht, den Hauptgeschäftsführer der Industrie- und Handelskammer, Martin Wansleben, den Vorstandschef des Übertragungsnetzbetreibers 50Hertz, Stefan Kapferer, außerdem Manager aus Agrar- und Baustoffindustrie. Über Wochen sei die Visite unter strengster Vertraulichkeit vorbereitet worden. „Die Reise ist ein Signal an die Ukrainerinnen und Ukrainer, dass auch die deutsche Wirtschaft zu ihnen steht“, sagt Russwurm.

Wansleben betont, dass „viele deutsche Unternehmen weiterhin in der Ukraine aktiv sind“, trotz des Krieges. „Das kann eine gute Basis darstellen, wenn es darum geht, den bereits begonnenen Wiederaufbau der Ukraine zu unterstützen“, zuerst in den Bereichen Bau, Transport, Infrastruktur und eben Energie. Allerdings folgt vieles, was die Deutschen versprechen, noch dem Prinzip Hoffnung. Die Realität sieht düsterer aus: Seit Kriegsausbruch ist das Handelsvolumen zwischen Deutschland und der Ukraine um gut sieben Prozent eingebrochen.

Deutschen Firmen in der Ukraine benötigen Hilfe beim Wiederaufbau

Mit rund 8 Milliarden Euro Gesamtumsatz ist es ohnehin überschaubar - vergleichbar mit Serbien, Kroatien, den Philippinen. Rund 2000 deutsche Firmen waren vor dem Krieg hier tätig, viele im Landwirtschaftsbereich. Für die meisten geht es nun darum, irgendwie durchzuhalten. Neben humanitären Überlegungen steckt dahinter die Frage, was am Ende teurer kommt: Jetzt Verluste in Kauf zu nehmen oder später neu in den Markt einsteigen zu müssen.

Viele Unternehmer entscheiden sich für die erste Strategie. Noch. Man kann das als wirtschaftlichen Überlebenskampf deuten. Oder es positiv wenden, wie der Industriepräsident: Man müsse den deutschen Firmen, die noch hier sind, helfen - und den Wiederaufbau in den Blick nehmen: „Und dieser Aufbau beginnt jetzt“, sagt Russwurm, „nicht erst nach einem Friedensschluss.“ (rnd)

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