Kommentar zu Ampel-DebattenGrüne wirken, als hätten sie aufgegeben

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Baerbock Habeck schwarz

Grünes Spitzenduo: Annalena Baerbock und Robert Habeck

Bei den Grünen scheint es mitunter, als hätten sie schon aufgegeben. So sagte die Vorsitzende Annalena Baerbock jetzt mit Blick auf die Koalitionsverhandlungen mit SPD und FDP, ihre Partei habe das Gefühl gehabt, für den Klimaschutz allein verantwortlich zu sein, und fügte dann hinzu: „Aber es gibt andere Bereiche, wo diese Farbkonstellation einen wirklichen Aufbruch schaffen wird.“ Das lässt sich im Umkehrschluss nur so deuten, als werde die Ampel ihn beim Klimaschutz eben nicht schaffen.

Damit zeichnet sich am Beginn der Woche der Ampel-Wahrheit das Bild der künftigen Regierung deutlich ab. Es scheint eine stabile Regierung zu werden; sonst wäre die kommunikative Disziplin der vergangenen Wochen ebenso wenig erklärbar wie der Umstand, dass die drei Parteien zum Auftakt ein hoch umstrittenes Infektionsschutzgesetz durch den Bundestag brachten. Und stabil – das ist schon viel. Der große Wurf, ja, die „Hoffnungszeit“, von der Grünen-Co-Parteichef Robert Habeck noch im Oktober sprach, ist bisher jedoch bestenfalls rhetorisch in Sicht.

Grüne und FDP: Nicht unfreundlich, aber ernüchtert

Zumal die Auftakt-Gespräche zwischen FDP und Grünen legten ja den Eindruck nahe, dass da etwas ganz Neues entstehe. Alte Gräben könnten zugeschüttet werden, so die Erwartung. Und im Koalitionsvertrag könnte Lösungen jenseits des kleinsten gemeinsamen Nenners gefunden werden. Diese Hoffnung scheint zu trügen.

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Darauf deutet hin, wie die Beteiligten im inoffiziellen Teil übereinander reden. Es klingt nicht unfreundlich, aber ernüchtert, gerade zwischen Liberalen und Grünen.

In einem gemeinsamen Instagram-Post zeigten sich Grüne und FDP noch ungewohnt einig.

Offenkundig sind es mittlerweile nicht mehr die beiden kleinen Partner, die gegen den Großen zusammenstehen; vielmehr hat eine sozial-liberale Annäherung stattgefunden. Denn am Klimaschutz haben SPD und FDP wenig Interesse. Ohnehin bewahrheitet sich die alte Weisheit, dass es vollständig ausbalancierte Dreierbeziehungen nicht gibt, sondern meistens zwei gegen einen stehen.

Dass in dem neuen Bündnis „um jeden Millimeter gekämpft wird“, wie eine prominente Grüne unlängst sagte, ergibt sich ferner aus der Strategie der FDP, der Merkel-artigen Zurückhaltung von Fast-Kanzler Olaf Scholz – und grüner Naivität. Denn die Liberalen haben bereits reichlich geerntet.

FDP hat viele ihrer Ziele durchgesetzt

Sie haben verhindert: Steuererhöhungen, neue Schulden und ein Tempolimit. Sie haben durchgesetzt: ein Infektionsschutzgesetz, das zumindest wie eine Liberalisierung der Corona-Politik wirkt. Auch ist dem FDP-Vorsitzenden Christian Lindner das Finanzministerium nicht mehr zu nehmen. Die FDP denkt in Einflusszonen.

Habeck hingegen sagte: „Scheitern ist keine Option“. Doch wenn Scheitern keine Option ist, dann muss man am Ende jeden Kompromiss schließen. Es ist deshalb auch kein Wunder, dass die Grünen zuletzt nervös wurden. Anders als das, was die FDP wollte, ist das, was sie wollen, nämlich viel mühsamer durchzusetzen: eine wirksame Klimaschutzpolitik.

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Nichts fürchten die Grünen mehr, als auf ein Klimaschutzministerium festgenagelt und an den jährlichen CO2-Emissionen gemessen zu werden.

Überhaupt fällt auf, dass sich das grüne Rebellentum von einst längst ins Gegenteil verkehrt hat. So wie sie bei den Sondierungen 2017 eilig bereit waren, eine Flüchtlingsobergrenze von 200.000 pro Jahr mitzutragen, so tragen sie heute das Infektionsschutzgesetz mit.

Ja, sie applaudieren dazu in der Freude darüber, bald endlich wieder Regierung zu sein. Dieses Parteisoldatische unter dem Label der „Verantwortung“ wirkt bisweilen befremdlich.

Das alles heißt nicht, dass die Ampel am Ende nicht doch noch eine gute Politik machen könnte. Aber auch die neue Regierung wird das Rad wohl nicht neu erfinden.

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