US-Sicherheitsberater über den Krieg„Putins Armee steht vor aller Welt blamiert da“

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John Bolton, Nationaler Sicherheitsberater der USA

John Bolton, Nationaler Sicherheitsberater im Weißen Haus bis 2019, spricht im Interview über Fehler des Westens und eine neue Gangart gegen Putin.

Herr Botschafter, die Nato-Staaten rücken enger denn je zusammen, Wladimir Putin ist als Feind erkannt, Deutschland steigert seine Rüstungsausgaben wie noch nie. Sind Sie, der Hardliner, der alles seit Langem gefordert hat, nun zufrieden?

Bolton: Natürlich ist es gut, dass es jetzt endlich eine Reihe von überfälligen Kurskorrekturen gibt. Aber ich finde es falsch, wenn jetzt die Nato-Staaten lauter Lobreden übereinander anstimmen. Angebracht wäre jetzt erstmal eine präzise Selbstkritik.

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In welchem Punkt?

Es gibt eine unangenehme, aber historisch zentrale Frage: Wie konnte es überhaupt zu diesem entsetzlichen Angriffskrieg Russlands auf die Ukraine kommen? Woher nahm Putin den Mut, das zu tun? Monatelang haben USA und Nato, Präsident Joe Biden vorneweg, immer wieder betont, es werde in der Ukraine auf keinen Fall ein wie auch immer geartetes Eingreifen westlicher Truppen geben.

So wurde aber die Einheit in der Nato erst möglich.

Ja, aber das war trotzdem ein großer Fehler. Die Nato wäre ernster genommen worden, wenn sie zwei Dinge kombiniert hätte: militärische Stärke und strategische Uneindeutigkeit. Man darf einen Gegner wie Putin nie in die eigenen Karten sehen lassen. Wenn Biden auf die Frage nach einem möglichen Einsatz westlicher Truppen gar nichts gesagt hätte in den vergangenen Monaten, wäre es besser gewesen: für die Sicherheit der Ukraine und für den Weltfrieden. Jetzt tobt in Europa die größte Schlacht seit 1945.

Was nun? Wie lässt sich das Desaster eindämmen?

Dass Wirtschaftssanktionen aktuell wenig helfen, sehen wir gerade. Sie hätten viel früher verhängt werden müssen, schon bei dem friedensgefährdenden Aufmarsch, nicht erst nach einer Invasion. Was uns jetzt bleibt, ist massive militärische Abschreckung für den Fall, dass es Putin einfallen sollte, seine Panzer auch noch ins Baltikum fahren zu lassen oder in andere Nato-Staaten.

Funktioniert denn die Politik der Abschreckung überhaupt noch?

Aber ja, insbesondere die nukleare Abschreckung funktioniert hervorragend – allerdings derzeit nur in einer Richtung: Putin droht uns mit Atomwaffen, und deshalb fügen wir uns in der Ukraine seinen Vorgaben und zögern zum Beispiel mit der Lieferung wirksamerer Waffen an die Ukrainer. Wenn es so weitergeht, regiert er unsere Gehirne. Dann kann er sich auch jedes weitere Ziel vornehmen.

Manche Militärexperten sagen, Putin habe in der Ukraine nur die erste Schlacht geplant, mit mittelmäßigem Gerät und mittelmäßigen Mannschaften – er wolle die bessere Ausrüstung erst später einsetzen, bei einer Invasion in Nato-Staaten.

Wenn Putin das wirklich so entschieden hat, hat er sich und seine Truppen völlig überschätzt. Der zweite Schritt ist unmöglich, wenn schon der erste nicht funktioniert. Vor aller Welt steht seine Armee derzeit blamiert da: militärisch, strategisch und auch im Informationskrieg. Das allerdings hat weniger mit der Nato zu tun als mit dem Wehrwillen der Ukrainer, die den verblüfften westlichen Gesellschaften gerade vorführen, wie es ist, wenn ein Volk eine widerrechtliche Invasion seines Territoriums einfach nicht akzeptiert. Erstaunt waren viele auch darüber, dass der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj in den ersten Kriegstagen das Angebot der USA ausschlug, ihn aus Kiew auszufliegen und in Sicherheit zu bringen.

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Das zeigt genau das Denken des Westens: eine Haltung der Schwäche, auf die Putin gesetzt hat. Es war eine historische Sternstunde, als Selenskyj den westlichen Diensten sagte: Ich will von euch keine Mitfahrgelegenheit, ich will Munition. Das hatte keiner auf dem Zettel, nicht im Westen, aber erst recht nicht in Moskau.

Hätten Sie auch jenseits militärischer Stärke eine Zukunftsperspektive zu bieten für den westlichen Umgang mit Russland?

Wir brauchen in dieser Auseinandersetzung auch so etwas wie eine intellektuelle Nachrüstung. Die Opposition in Russland hat dringend mehr Unterstützung verdient. Es reicht nicht, da allein auf 60er-Jahre-Technologien zu setzen mit Radiosendern wie Radio Free Europe. Putin manipuliert die Medien wie noch nie. Wir sollten daher alles tun, um insbesondere den jungen Leuten in Russland auf neue Art Zugang zu Informationen zu beschaffen.

Zu Russlands Internetzensur gehören aber auch technische Barrieren.

Für jede Barriere gibt es im Zeitalter der digitalen Kommunikation eine Methode, sie zu überwinden. Ich habe im Laufe der Jahrzehnte gelernt: Man darf vor solchen Dingen keinen Respekt haben.

Stichwort Respekt: In deutschen Talkshows saßen jahrelang immer wieder Leute, die gesagt haben, Putin wolle einfach nur mehr Respekt, dann werde alles gut.

Gewalttätige Diktatoren wie er haben alles andere als Respekt verdient. Denken Sie an Ronald Reagan: Der hat 1987 gefordert, die Berliner Mauer müsse weg, da haben viele Europäer sich gewundert. 1989 war sie tatsächlich weg. Wir brauchen jetzt eine Reagan-Strategie für Russland, selbstbewusst und zukunftsorientiert. Das heißt: Reichen wir den Russen die Hand, die in Freiheit und Frieden leben wollen. Aber sagen wir auch unseren eigenen etwas verwöhnten westlichen Gesellschaften: Es kann dauern, bis ein solcher Wandel zu etwas Besserem einsetzt. So etwas erreicht man nur durch Festigkeit, durch Geschlossenheit – und leider nicht über Nacht.

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