Virusexperte zur Zukunft mit CoronaWelche Varianten nach Omikron auf uns zukommen

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Proben werden auf das Coronavirus untersucht. (Symbolbild)

  • Die Evolution des Coronavirus ist noch nicht beendet, sagt Prof. Richard Neher.
  • Er erforscht in der Schweiz, wie sich Bakterien und Viren verändern.
  • Im Interview erklärt der Virusevolutionsexperte, wie variabel Sars-CoV-2 noch ist und wie das Coronavirus im Jahr 2025 aussehen könnte.

Herr Neher, Omikron hat mittlerweile in Teilen der Bevölkerung den Ruf als mildes Erkältungsvirus, das die Pandemie beenden könnte. Sehen Sie die Virusvariante auch als ein solches „Erlöservirus“ an? Prof. Richard Neher: Omikron ist eine Virusvariante mit deutlich veränderten Eigenschaften gegenüber den vorherigen Varianten. Der Hauptunterschied ist, dass Stellen am Spikeprotein, mit dem das Coronavirus in die menschlichen Zellen eindringt, so verändert sind, dass die Immunität von Geimpften und Genesenen zu einem gewissen Grad unterlaufen wird. Das führt jetzt zu einem sehr schnellen Anstieg der Infektionszahlen. Es ist tatsächlich so, dass ein großer Teil der Infektionen mild verläuft. Das heißt, das Risiko, schwer an Covid-19 zu erkranken, scheint um einiges geringer zu sein. Auch das Risiko für schwere Lungenerkrankungen ist geringer als bei den vorherigen Virusvarianten.

Das hört sich an, als ob Omikron recht ungefährlich ist.

Ich meine, es hätte deutlich schlimmer sein können. Aber die Tatsache, dass Omikron die Immunantwort umgehen kann, ist natürlich ein besorgniserregender Aspekt der Virusvariante. Menschen, die vorher geschützt waren, werden sich nun wieder infizieren. Und das ist natürlich keine gute Nachricht. Aber wenn sich Menschen, die noch keinen Schutz vor dem Coronavirus haben, mit Omikron anstecken, verläuft die Infektion seltener so dramatisch wie noch bei der Delta- oder Alpha-Variante.

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Ist die geringere Krankheitsschwere bei Omikron ein Zeichen dafür, dass das Coronavirus nun zwar ansteckender, aber weniger gefährlich wird?

Wir haben zweimal in der Evolution dieses Coronavirus beobachtet, dass Varianten zu schweren Krankheitsverläufen führen können – bei Alpha und bei Delta. Bei Omikron ist es sicherlich so, dass es seltener zu schweren Verläufen führt; aber das ist kein Naturgesetz. Es können auch wieder Virusvarianten entstehen, die schwerere Krankheitsverläufe verursachen.

In Ländern wie Dänemark und Großbritannien verbreitet sich derzeit ein Subtyp von Omikron: BA.2. Wie ist dieser zu bewerten?

Bei BA.2 handelt es sich um eine Schwestervariante von BA.1, dem Subtyp von Omikron, der die Delta-Variante verdrängt hat. Diese Schwestervariante sieht in vielen wichtigen Stellen des Erbguts BA.1 sehr ähnlich, weist aber auch viele Unterschiede auf. Es sieht so aus, als hätte sie einen Übertragungsvorteil gegenüber BA.1. Das heißt, sie kann sich noch schneller ausbreiten und wird tendenziell zu noch höheren Fallzahlen führen. Aber es gibt keine Hinweise darauf, dass sie sich in der klinischen Präsentation deutlich von BA.1 unterscheidet. So weit wir wissen, geht sie nicht mit schwereren Krankheitsverläufen einher.

Wenn Sie die Evolution von Viren wie BA.2 untersuchen, wie gehen Sie dabei vor?

Wir vergleichen in erster Linie Vollgenomsequenzen, die von Viren wie dem Coronavirus weltweit in großer Zahl produziert werden. Soll heißen: Wir schauen uns das Erbgut, den genetischen Code der Viren, genauer an. Aus diesen Sequenzen stellen wir Stammbäume zusammen, aus denen wir ablesen können, wie die verschiedenen Viren zusammenhängen, welche von welchen abstammen, wann sie sich in der Vergangenheit aufgespalten haben und wie sie sich über den Globus ausbreiten. So können wir die Entstehung von Virusvarianten nachvollziehen und analysieren, welche neuen Varianten sich noch entwickeln könnten. Aber da haben wir tatsächlich noch nicht ausgelernt.

Sie haben 2015 das Projekt „Nextstrain“ ins Leben gerufen, mit dem Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler fast in Echtzeit sehen können, wie sich das Coronavirus verändert. Wie funktioniert diese Plattform genau?

„Nextstrain“ habe ich zusammen mit meinem Kollegen Trevor Bedford vom Fred-Hutchinson-Krebsforschungszentrum entwickelt. In erster Linie ging es uns darum, die Evolution von Grippeviren zu verfolgen, um bessere Vorhersagen für die Zusammensetzung der Impfstoffe zu treffen. Denn die Vakzine müssen jedes Jahr an die zirkulierenden Influenzavarianten angepasst werden. Aber im Laufe der Jahre hat sich die Plattform auch für andere Viren wie Ebola oder Zika als sehr nützlich erwiesen. Und seit gut zwei Jahren nutzen wir „Nextstrain“ vor allem, um die Entwicklung von Sars-Cov-2 zu untersuchen. Wir verwenden Daten aus öffentlichen Datenbanken wie Gisaid oder Genbank, um Stammbäume des Erregers zu erstellen, mit denen wir dann die Evolution des Coronavirus nachvollziehen können. Mehr als sieben Millionen Sars-Genomsequenzen umfasst „Nextstrain“ mittlerweile. Wir sind also mit einer riesigen Datenmenge konfrontiert, die es in dieser Form noch nicht gegeben hat, und versuchen, den optimalen Nutzen daraus zu ziehen.

Wenn Sie sich die Evolution des Coronavirus anschauen, was hat Sie dabei am meisten überrascht?

Der überraschendste Aspekt ist für mich diese etwas sprunghafte Evolution, die wir zum Beispiel mit Omikron gesehen haben. Diese Vielzahl an Mutationen, die diese Virusvariante besitzt, konnte niemand voraussehen. Obwohl weltweit so viel sequenziert wird – nicht nur in Europa oder Nordamerika, sondern auch in Afrika und Südamerika – haben wir keine evolutionären Zwischenzustände des Coronavirus finden können. Das ist schon sehr überraschend und sicherlich der bemerkenswerteste Aspekt in der Evolution von Sars-CoV-2 gewesen.

Ist inzwischen mehr über den Ursprung von Omikron bekannt?

Es gibt viele Theorien zum Ursprung der Virusvariante, aber keine eindeutige Erklärung. Meiner Ansicht nach ist es am plausibelsten, dass Omikron in einem Menschen mit geschwächtem Immunsystem entstanden ist. Das Virus konnte sich im Körper mehr oder weniger symptomfrei für Wochen oder Monate im Körper vermehren, während das Immunsystem Antikörper produziert hat, die aber nicht in der Lage waren, den Erreger vollständig abzuwehren. Direkte Belege für diese Theorie gibt es bislang nicht. Aber schnelle Evolution während solcher chronischen Infektionen ist mittlerweile gut belegt.

Wie wandlungsfähig ist das Coronavirus eigentlich noch? Wie viele besorgniserregende Varianten müssen wir noch fürchten?

Das kann man nicht voraussagen. Wir haben sicherlich gelernt, dass das Coronavirus recht wandlungsfähig ist. Aber es gibt jetzt kein vorhersehbares Limit an Virusvarianten. Also wir können nicht sagen: „Nach 27 Varianten ist Schluss.“ Das ist jedoch nicht unbedingt besorgniserregend. Die Grippeviren entwickeln sich beispielsweise auch stetig weiter. Ich gehe schon davon aus, dass sich das Virus weiter verändern wird. Hoffentlich wird diese Sprunghaftigkeit irgendwann in einen regelmäßigen Veränderungsrhythmus übergehen; aber es gibt zurzeit keinen Grund anzunehmen, dass die Evolution des Coronavirus per se endet.

Wovon hängt es ab, wie sich das Coronavirus weiterentwickelt?

Die Evolution von RNA-Viren wie dem Coronavirus ist im Wesentlichen dadurch getrieben, was sie selektiert – je stärker und kontinuierlicher die Selektion, desto schneller die Veränderung. Die Mutationsrate selbst ist auch wichtig, aber von geringerer Bedeutung. Selektiert werden Eigenschaften, die dem Erreger einen Vorteil bieten. Das ist zum einen eine hohe Übertragbarkeit. Denn je leichter das Virus von einem Menschen auf den anderen übertragen werden kann, desto schneller kann sich der Krankheitserreger ausbreiten und vermehren. Zum anderen bietet die Eigenschaft einer Immunevasion in einer Bevölkerung mit einer bestehenden Immunität einen Selektionsvorteil. Das bedeutet, dass das Virus die Immunantworten von Geimpften und Genesenen umgehen kann. Wir erwarten eine sukzessive Evolution des Coronavirus in Richtung Immunevasion. Diese wird dann hoffentlich nicht mehr so sprunghaft vonstattengehen, sondern eher graduell – so, wie wir es von den saisonalen Coronaviren kennen. Aber wie genau sich Sars-CoV-2 weiterentwickeln wird, lässt sich eben nicht voraussagen. Da gibt es sicherlich auch noch Potenzial für Überraschungen.

Der Virologe Christian Drosten von der Berliner Charité hat vor einer Virusvariante gewarnt, die Eigenschaften von Delta und Omikron kombiniert. Für wie wahrscheinlich halten Sie eine solche Rekombination?

Das ist ein durchaus normaler, evolutionärer Prozess bei Coronaviren, der nur vonstattengeht, wenn sich eine Person mit zwei unterschiedlichen Virusvarianten infiziert. Insofern waren die vergangenen Wochen, wo sich Delta und Omikron zeitgleich ausgebreitet haben, ein Zeitpunkt, wo solche rekombinanten Viren sehr häufig hätten entstehen können. Und mit Sicherheit ist das auch passiert. Die Frage ist aber, ob diese Rekombinationen dann einen Übertragungsvorteil haben. Denn nicht immer muss beim genetischen Austausch zweier unterschiedlicher Viruslinien eine neue erfolgreiche Variante entstehen. Aber ich halte es durchaus für ein plausibles Szenario, dass ein rekombinantes Virus entstehen könnte, welches sich dann auch erfolgreich verbreitet.

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Wenn die Evolution von Sars-CoV-2 so schnell nicht abgeschlossen ist, was glauben Sie, wie wird dann das Coronavirus im Jahr 2025 aussehen?

Aller Voraussicht nach wird es auf jeden Fall ein Coronavirus sein, das mit dem jetzigen eng verwandt ist. Da wir zurzeit 20 bis 30 Mutationen pro Jahr beobachten, erwarten wir also in drei Jahren ein Virus mit 100 Mutationen. Eine solche Entwicklung ist völlig normal. Wie sich der Erreger dann klinisch präsentieren wird, also wie hoch die Krankheitsschwere sein wird, steht aber auf einem anderen Blatt. (rnd)

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