Nächster Gegner des 1. FC KölnVfB Stuttgart versinkt im Chaos

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Thomas Hitzlsperger (l.) und Claus Vogt haben sich in den vergangenen Monaten auseinandergelebt. 

Köln – Seinen Humor hat sich Claus Vogt bewahrt, das ist bemerkenswert angesichts der Kampagne, der sich der  Präsident des VfB Stuttgart in den vergangenen Wochen ausgesetzt sah. Ob sich denn schon jemand die Filmrechte am schwäbischen Stellungskrieg gesichert habe, fragte jemand auf Twitter. Und Vogt selbst antwortete: „Ja, ich.“

Rasante Karriere

Auslöser der tatsächlich filmreifen Entwicklung beim VfB waren Aussagen des ehemaligen Stuttgarter Kapitäns Thomas Hitzlsperger, der mittlerweile Vorstandsvorsitzender der seit dem Jahr 2017 in eine Kapitalgesellschaft ausgegliederten Profiabteilung ist.

Hitzlsperger hat eine atemberaubende Karriere hingelegt: Anfang 2019 wurde er zum Sportvorstand bestellt, fünf Monate später trat Präsident Wolfgang Dietrich zurück. Und noch bevor Vogt im Dezember dessen Nachfolger wurde, machte der Verein Hitzlsperger rasch zum Vorstandsvorsitzenden – wohl auch auf Betreiben des Daimler-Personalvorstands Wilfried Porth, der beim VfB im Aufsichtsrat sitzt und die Interessen der Daimler-AG vertritt, die 11,75 Prozent der Anteile am VfB hält.

Seitdem ist Hitzlsperger neben dem Sport auch für Unternehmensstrategie und Kommunikation zuständig – und dem Aufsichtsrat zu Dank verpflichtet: Höher kann man als Ex-Fußballspieler in der Bundesliga nicht aufsteigen, zumal mit 38 Jahren.

Hitzlspergers Angriff

Am Tag vor Silvester meldete sich Hitzlsperger mit einem Offenen Brief, in dem er Vogt (51) frontal attackierte. Es ist im Profifußball ein regelmäßiges Muster: Die operative Ebene greift den gewählten Vereinsvorstand an, Armin Veh hat das mal beim 1. FC Köln getan und damit sogar den Rücktritt des Präsidenten Werner Spinner ausgelöst. Doch Hitzlsperger wollte nicht nur poltern. Offenbar war er auch das Werkzeug von Kräften im Verein, die Vogt davon abhalten wollten, allzu viel Licht auf den womöglich größten Skandal der Vereinsgeschichte zu lenken.

Denn seit dem vergangenen September hat der VfB eine Datenaffäre. Bevor die rund 70 000 Vereinsmitglieder im Herbst 2017 über die Ausgliederung der Profiabteilung abstimmten, soll der Verein tausende Datensätze seiner Mitglieder an eine Agentur weitergegeben haben, um auf einer Social-Media-Plattform zielgerichtet die Meinung zu beeinflussen. „Guerrilla-Marketing“ hieß das in einer Präsentation des Vereins, die der „Kicker“ öffentlich machte. Ein handfester Skandal, verursacht von jenen, die sich vor allem deshalb um die Ausgliederung einer Profifußball-AG bemühten, weil sie den Weg für Investoren öffnen wollten, für Daimler.

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Nach der Veröffentlichung beauftragte der VfB die in derartigen Fragen etablierte Berliner Beraterfirma Esecon mit der Aufklärung, Vogt meinte es ernst. Das schreckte viele auf beim VfB. In einem Esecon-Zwischenbericht, aus dem die „Stuttgarter Zeitung“ zitierte, hieß es, Hitzlsperger und weitere Führungskräfte hätten die Ermittlungen behindert. Es brodelte, am Tag vor Silvester kam es zur Eruption: Um Vogt habe sich ein Kreis gebildet, „der seine Ziele in einer Art und Weise verfolgt, die unserem Klub massiv schadet“, teilte Hitzlsperger mit. Die Kosten der Aufklärung führten den Verein an seine Grenzen: „Der Profilierungswunsch eines Einzelnen bedroht so die Existenz des Vereins.“

Eine Woche zuvor hatten Vogt und Hitzlsperger noch eine Mediation versucht. Andreas Rettig, ehemaliger DFL-Geschäftsführer und von 2002 bis 2005 Chef des 1. FC Köln, sollte vermitteln. Rettig hat Vogt vor Jahren einmal bei der Gründung des Vereins „FC Play Fair!“ beraten, der sich für die Interessen der Fans im Profifußball einsetzt.

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Claus Vogt ist seit Dezember 2019 Präsident des VfB Stuttgart.

Es gab durchaus berechtigte Kritik an Vogt, dem nachgesagt wurde, zu wenig entscheidungsfreudig für das Fußballgeschäft zu sein, zu wenig Profi. Man erarbeitete Anpassungen in den Abläufen, fand Kompromisse für eine verbesserte Gremienarbeit. Doch das alles scheiterte im Aufsichtsrat.

Überraschende Kandidatur

Was folgte, nennen mit den Vorgängen Vertraute eine „inszenierte Schlammschlacht“. Hitzlsperger sprach Vogt in seinem Brief jede Eignung für das Präsidentenamt ab. Und präsentierte auch gleich den seiner Meinung nach perfekten Nachfolger: sich selbst. 

In Stuttgart ging daraufhin die Welt unter. Aus dem verehrten Meisterspieler wurde ein „Spalter“.  Der Druck auf Hitzlsperger wurde so groß, dass der seine Kandidatur vor zwei Wochen zurückzog – und in einer Videobotschaft  mitteilte, es tue ihm leid.

Sonnenkönig

Fans protestierten mit Plakaten in der Mercedes-Benz Arena gegen Thomas Hitzlsperger.

Was Vogts Sieg komplettierte, war eine Steilvorlage aus Köln: Die Kanzlei Seitz hatte auf Basis der Esecon-Recherchen ein Rechtsgutachten erstellt, dass die Datenaffäre einordnete – und Vogts Engagement für deren Aufklärung auf ganzer Linie rechtfertigte. In Vogts Umfeld spricht man von „brillanter Arbeit“ der Kölner.

Rücktritte und die Chance zum Neubeginn

Die Gegenseite reagiert seit der Veröffentlichung des Papiers überwiegend mit Flucht. Es hagelt Rücktritte.

Am Sonntag gab der Vereinsbeirat bekannt, dass es bei der nächsten Präsidentenwahl nun doch nur einen Kandidaten geben werde: Claus Vogt. Wann die Mitgliederversammlung stattfinden wird, ist seit Dienstag offen. Denn seit dem Rücktritt des Vizepräsidenten Rainer Mutschler am Montag kann Vogt mit Hilfe seines doppelten Stimmrechts im Präsidium Entscheidungen im Alleingang durchsetzen. Daher soll die für den 28. März angesetzte virtuelle Versammlung abgesagt werden, um im Sommer eine Präsenzveranstaltung durchzuführen. Das berichtet die „Stuttgarter Zeitung“.

Rettig sieht „großartiges Signal“

Zeit genug also auch für Vogt und Hitzlsperger, doch wieder zueinander zu finden.  Dass Vogt nun als Gewinner dasteht, empfindet Rettig als Sieg für den Fußball. „Der Ausgang bedeutet ein großartiges Signal, denn er zeigt, wie wichtig das Bestimmungsrecht der Mitglieder bleibt“, sagt Rettig. Die 50+1-Regel sei gestärkt, trotz des Drucks von Investorenseite. „Man kann Präsident Claus Vogt nur zu seiner Standhaftigkeit gratulieren.“

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