Paten-ProgrammKölner Kreidekreis vermittelt Heimkindern „Wegbegleiter“

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Anja Schmitz und ihr „Patenkind“ Amelie treffen sich jeden zweiten Samstag, um etwas zu unternehmen.

Anja Schmitz und ihr „Patenkind“ Amelie treffen sich jeden zweiten Samstag, um etwas zu unternehmen.

Bergisch Gladbach – Amelie hat sich den Kinofilm „Sing 2“ ausgesucht. Ihr hat schon der erste Teil gut gefallen und wenn sie sich mit Anja Schmitz trifft, darf sie oft entscheiden, was die beiden unternehmen. Diesmal fahren sie an ihrem gemeinsamen Samstagnachmittag vom Kinderdorf in Bergisch Gladbach in die Bensberger Innenstadt, um ins Kino zu gehen. Vorher essen sie noch Donuts und trinken Kakao. Beide lieben Schokolade, Amelie verfolgt mit großen Augen wie immer neue Zuckerbomben aus der Küche des Donut-Ladens gebracht werden.

Außerdem gehen die beiden gerne Reiten und sind sehr unternehmungslustig: Schwarzlicht-Minigolf steht noch auf ihrer To-Do-Liste und ein Besuch im Phantasialand. Amelie, 12 Jahre alt, und Anja Schmitz, 55, sind sich ähnlich – oder man könnte sagen: Ihre Steckbriefe haben gut zusammengepasst.

Viele Kinder haben keine erwachsene Bezugsperson außerhalb der Wohngruppe

Anja Schmitz ist seit einem halben Jahr die Patin der Fünftklässlerin Amelie, vermittelt wurden sie vom Kölner Kreidekreis. Wobei die Patinnen und Paten in dem Programm „Wegbegleiter“ heißen. Sie helfen nicht beim Lernen oder finanzieren ein Hobby. „Ich bin für Amelie jemand, der nur für sie da ist“, erklärt Schmitz die Beziehung. Und das nicht für einen vordefinierten Zeitraum, wie bei vielen Mentoring-Programmen, sondern idealerweise ein Leben lang.

Auf dem Weg zum Kino. Amelies Mutter möchte nicht, dass ihre Tochter auf den Bildern zu erkennen ist.

Auf dem Weg zum Kino. Amelies Mutter möchte nicht, dass ihre Tochter auf den Bildern zu erkennen ist.

Der Verein betreut gerade 45 Patenbeziehungen, in denen Kinder eine Bezugsperson außerhalb einer Wohngruppe oder eines Kinderheimes an die Seite gestellt bekommen. Die Person soll ihnen Halt geben. Eine Konstante im Leben sein, die viele Heimkinder nicht kennen. „Wird ein Kind aus einer Familie genommen, sind oft sehr viele Menschen involviert“, erklärt Thomas Preuß aus dem Vorstand des Kölner Kreidekreis: Eltern, Jugendamtsmitarbeiter, Vormund, rechtlicher Betreuer, Pflegeeltern, Verwandte, wechselndes Personal in den Heimen. Was den Kindern fehlt, ist jemand, der bleibt.

Ein Drittel der Eltern von Heimkindern waren überfordert

Auf etwa 2000 schätzt Preuß die Zahl der Kinder und Jugendlichen, die im Köln-Bonner-Raum dauerhaft in einem betreuten Wohnen leben. Viele Minderjährige sind dort nur vorübergehend, deshalb gibt es keine genauen Zahlen. Über ein Drittel der im Heim lebenden Kinder ist dort, weil die Eltern überfordert sind und sie nicht angemessen versorgen können. So ist es auch bei Amelie, die aber nach wie vor Kontakt zu ihrer Mutter hat. Einen wachsenden Anteil machen in der Statistik auch die minderjährigen unbegleiteten Geflüchteten aus.

So können Sie helfen

wir helfen: damit in der Krise kein Kind vergessen wird

Mit unserer Aktion „wir helfen: damit in der Krise kein Kind vergessen wird“ bitten wir um Spenden für Projekte, die Kinder und Jugendliche wieder in eine Gemeinschaft aufnehmen, in der ihre Sorgen ernst genommen werden.  

Bislang sind 1.328.993,90 Euro (Stand: 27.09.2022) eingegangen. Die Spendenkonten lauten: „wir helfen – Der Unterstützungsverein von M. DuMont Schauberg e. V.“ Kreissparkasse Köln, IBAN: DE03 3705 0299 0000 1621 55 Sparkasse Köln-Bonn, IBAN: DE21 3705 0198 0022 2522 25

Mehr Informationen und Möglichkeiten zum Spenden unter www.wirhelfen-koeln.de.

Gegründet hat den Kölner Kreidekreis 2006 Edeltraud Preuß, mit der Unterstützung ihrer großen Familie. Sie wurde selbst als Kind aus Ostpreußen vertrieben, erzählt Thomas Preuß über die Beweggründe seiner mittlerweile 81-jährigen Mutter, das Wohlergehen von Kindern hätte sie ihr Leben lang umgetrieben. „Uns ist es sehr wichtig, dass die Kinder aufgefangen werden und Wertschätzung erfahren.“ Viele würden während der Patenbetreuung aufblühen, seien offener und kommunikativer. „wir helfen“ unterstützt den Verein: Mit den Spenden und der Hilfe von „Aktion Mensch“ werden Mitarbeiterinnen bezahlt, die die Ehrenamtler und Ehrenamtlerinnen betreuen.

Paten brauchen Empathie und Durchhaltevermögen

Anja Schmitz wurde über eine Bekannte auf den Verein aufmerksam. Sie und ihr Mann haben keine eigenen Kinder, die Nichten und Neffen, die früher oft bei ihnen waren, sind nun selbst erwachsen. „Ich bin gerne mit Kindern zusammen“, sagt Anja Schmitz. Das sei natürlich die wichtigste Voraussetzung, außerdem: Zeit, Geduld, Durchhaltevermögen, Empathie und Frustrationstoleranz, sagt Preuss. Mögliche Anwärter werden vom Kreidekreis genau überprüft, es gibt einen Hausbesuch, Seminare und die ersten Treffen werden von Mitarbeiterinnen begleitet. Der Verein hat außerdem ein eigenes Konzept zum Schutz der Kinder vor Übergriffen und sexualisierter Gewalt.

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Perspektivisch kann Amelie auch mal bei Anja Schmitz und ihrem Mann übernachten. Aber es ist immer klar: Sie ist nicht ihre Mutter. Will sie auch nicht sein. Das Programm strebt keine dauerhafte Pflege oder Adoption an. Wie die beiden ihre Beziehung gestalten, liegt in ihren Händen. „Wir wachsen da zusammen rein“, sagt Schmitz. Bis jetzt scheint das gut gelungen, sie gehen vertraut und entspannt miteinander um, machen kleine Witze, die man als Fremde nicht direkt versteht. Amelie und sie sind jetzt erstmal Freundinnen. Und bleiben es ja vielleicht ihr Leben lang.

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