Dieselzüge unterwegsViele Bahnstrecken noch ohne Oberleitung

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Bahnverkehr

In NRW sind nur 59,3 Prozent des Streckennetzes elektrifiziert.

Düsseldorf – Das Schlüsselerlebnis hatte Johannes Remmel (55) am Bahnhof in Siegen. „Da stand ein Dieselzug der Hessischen Landesbahn mit laufenden Motoren und blies die ganzen Schadstoffe in die Luft, obwohl die Strecke längst elektrifiziert ist.“ Für den ehemaligen grünen Umweltminister von NRW war das Anlass genug, mit einer kleinen Anfrage bei der schwarz-gelben Landesregierung den Stand der Elektrifizierung der Bahnstrecken im bevölkerungsreichsten Bundesland abzufragen. „Wir reden dauernd über Elektromobilität und Feinstaub. Aber über die Bahn redet keiner.“

Das Ergebnis, das dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ exklusiv vorliegt, ist überraschend. Auf mehr als 40 Prozent der rund 5500 Streckenkilometer gibt es immer noch keine Fahrdrähte. Was den Grad der Elektrifizierung angeht, liegt NRW damit unter allen Bundesländer nur auf Rang sieben. An jedem Werktag sind in NRW laut Landesregierung mehr als 5800 Dieselzüge unterwegs. Sie fahren auch durch alle 31 Städte des Landes, in denen die Grenzwerte für Stickoxide zum Teil erheblich überschritten werden.

Ausbau ist Sache des Bundes

Die Landesregierung räumt in ihrer Stellungnahme ein, dass die Eisenbahn-Unternehmen Dieselfahrzeuge auch auf Strecken einsetzen, die längst elektrifiziert sind. Dies sei eine Folge des Wettbewerbs. Alle Bahn-Betreiber hätten „einen rechtlich einklagbaren Anspruch auf diskriminierungsfreien Zugang zur gesamten öffentlichen Eisenbahn-Infrastruktur“, heißt es in der Stellungnahme wörtlich. Im Klartext bedeutet das: Wenn ein Verkehrsverbund wie der Nahverkehr Rheinland eine Strecke ausschreibt, kann er nicht vorschreiben, welche Züge die Unternehmen dort einsetzen. „Das kann alles so nicht bleiben“, sagt Remmel. Die Grünen wollen die Landesregierung deshalb auffordern, mehr Druck auf den Bund und damit auf die Deutsche Bahn auszuüben, die Elektrifizierung des Streckennetzes weiter voranzutreiben.

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Für den Ausbau ist der Bund verantwortlich, jedoch hängt es auch an den Ländern, die entsprechende Projekte beantragen müssen, damit sie im Bundesverkehrswegeplan verankert. Und genau da hat auch die alte rot-grüne Landesregierung geschlafen. Während beispielsweise Bayern gleich elf Projekt bis 2030 angemeldet hat, steht für NRW kein einziges Projekt in der Liste. Es habe, sagt der ehemalige grüne Umweltminister, beim Thema Ökologisierung des Bahnverkehrs in der Koalition einen Dissens mit Ex-Verkehrsminister Michael Groschek (SPD) gegeben.

Die neue schwarz-rote Bundesregierung hat im Koalitionsvertrag festgeschrieben, dass bis 2025 rund 70 Prozent des Streckennetzes mit Oberleitungen ausgerüstet sein soll. Die „Allianz pro Schiene“ hält das für durchaus realistisch. Der Lobbyverband hat kürzlich eine Elektrifizierungs-Karte mit Trassen veröffentlicht, die sich schnell verwirklichen lassen.

Für NRW sind dort Strecken mit einer Gesamtlänge von 255 Kilometern enthalten, darunter so kurze Verbindungen wie zwischen den Güterbahnhöfen von Köln-Nippes und Köln-Ehrenfeld oder die Strecke von Hürth-Kalscheuren über Euskirchen und Kall weiter nach Rheinland-Pfalz über Jünkerath, Gerolstein und Bitburg-Erdorf bis nach Ehrang.

An vielen Stellen Lücken schließen

„Wir haben uns gefragt: Wo kann der Bund sofort anfangen? Welche Strecken gibt es, die nicht im Bundesverkehrswegeplan stehen und trotzdem verkehrspolitisch sinnvoll sind“, sagt Dirk Flege, Geschäftsführer der „Allianz pro Schiene“. „Wenn der Bund mit seiner Förderinitiative für die Finanzierung sorgt, gelingt uns an vielen Stellen der Lückenschluss. Es gibt Strecken, da fahren Dieselzüge zu 90 Prozent unter Stromleitungen entlang, aber es fehlt einfach ein Stück, deshalb kann keine E-Lok eingesetzt werden.“

Lücken im Rheinland

Nur 60 Prozent der Bahnstrecken in Deutschland sind elektrifiziert. Auch im Rheinland gibt es noch große Lücken im Netz, so zum Beispiel auf den Strecken Bonn – Euskirchen, Euskirchen – Bad Münstereifel, Euskirchen – Zülpich, Köln Frankfurter Straße – Overath, Köln-Hansaring – Lüdenscheid oder Horrem – Bedburg (Erft). Auf elektrifizierten Strecken könnten mehr Züge fahren, weil Elektroloks und Strom-Triebwagen deutlich schneller beschleunigen und so kürzere Abstände möglich sind. Der Umweltaspekt: Ein Güterzug mit einer E-Lok stößt pro Tonnen-Kilometer 20,2 Gramm CO2 aus, die Stromerzeugung ist dabei eingerechnet. Bei einem Dieselzug sind es laut Allianz pro Schiene 33,8 Gramm. (pb)

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