Eine Woche mit Sharing-Apps durch KölnViele Kölner Veedel profitieren überhaupt nicht

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Fuhrpark von Car2Go

  • Unser Autor Hendrik Geisler bewegt sich eine Woche lang nur mit Sharing-Angeboten durch Köln.
  • Er hat zwölf Sharing-Apps auf seinem Smartphone und testet Fahrräder, E-Scooter, Leihwagen und Lastenräder auf ihre Alltagstauglichkeit.
  • Dabei stellt er fest: Sehr viele Kölner Stadtteile, darunter auch große, werden von den Anbietern überhaupt nicht bedient. Warum? Und wann ändert sich das?
  • Ein Plädoyer.

Köln – Seit vier Tagen schreibe ich darüber, wie toll doch die ganzen Sharing-Angebote sind, mit denen ich mich problemlos durch Köln bewegen kann. Dabei vergesse ich leicht, wie privilegiert ich bin, weil ich mitten in Köln wohne.

Natürlich ist es für mich leicht, eine Woche mit Sharing-Apps durch die Stadt zu kommen. Irgendein Fahrrad oder E-Scooter oder Auto steht schon um die Ecke. Ganz anders sieht es in den Veedeln aus, die nicht in unmittelbarer Nähe der Innenstadt sind – längst nicht nur in den Kölner Randbezirken.

Als Reaktion auf den ersten Teil meiner Kolumne mit dem Titel „Kein Stadtbewohner braucht ein eigenes Auto", schrieb mir ein Leser: „Wir leben in Köln-Höhenhaus [...] außerhalb des Car2go-Gebietes, ebenso auch außerhalb des Drivenow-Geschäftsgebietes. Mögliche Cambio-Stationen sind 20 Minuten Fußweg entfernt und wir haben zwei kleine Kinder. Kommen Sie für uns zu demselben Schluss, dass alles mit Sharing-Angeboten ohne eigenes Auto und Fahrrad machbar ist, auch Einkäufe für die vierköpfige Familie?“

Alles zum Thema Kölner Verkehrs-Betriebe

Ich sitze gerade im Neven DuMont Haus an der Amsterdamer Straße in Niehl. Ich bin eben mit einem E-Scooter der Marke Tier zur Arbeit gefahren, der noch vor der Tür steht. Im Umkreis von fünf Gehminuten befinden sich außerdem eine Cambio-Station, ein Leihwagen des in Köln neuen Anbieters Miles, 16 (!) Leihräder von Ford, fünf Räder der Kölner Verkehrs-Betriebe, drei Autos von Drivenow und drei von Car2Go – insgesamt 30 Fahrzeuge. Im etwas erweiterten Umkreis vervielfacht sich die Zahl der Sharing-Angebote, die mir zur Verfügung stehen, weitere Lastenräder, Automobile, E-Scooter und Fahrräder könnte ich ganz simpel ausleihen und jegliche Aufgaben des Alltags bewältigen.

Besonders im Rechtsrheinischen gibt es Probleme

Unser Leser aber hat diese Möglichkeit nicht, weil er von den Sharing-Unternehmen mitsamt seinem Veedel marginalisiert wird. In seinem direkten Umkreis befindet sich kein einziges teilbares Auto oder Fahrrad, kein Lastenrad und schon gar kein E-Scooter. Das Problem zeigt sich in Dutzenden Veedeln, im Besonderen aber in rechtsrheinischen Bezirken: Poll, Ostheim und Neubrück, Merheim, weite Teile von Holweide und Kalk, ganz Höhenhaus und Stammheim sind von Carsharing-Angeboten weitgehend abgeschnitten. Sehr vereinzelt hat Cambio seine festen Stationen in diese Stadtteile gebracht. Das ist ein guter Anfang, aber zu wenig, um wirklich alle Stadtbewohner an der neuen Mobilität teilhaben zu lassen.

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Wenn denn wenigstens der städtische Versorger KVB sein Leihrad-Angebot entsprechend ausweiten würde, aber dessen Räder sind bislang nicht einmal in weiten Teilen von Rodenkirchen verfügbar. Aus diesem Grund bin ich kürzlich, als mein Rad in der Reparatur war, an einem warmen Sonntag lieber mit einem Drivenow-Cabrio an den Rhein im Kölner Süden gefahren, statt eines der vielen Leihräder zu nutzen. Das wäre sicher auch die umweltfreundlichere Variante gewesen. Auch Müngersdorf – mal abgesehen vom Rhein-Energie-Stadion –, fast ganz Lindenthal und Junkersdorf sind nicht im Geschäftsgebiet.

Ich muss meine Aussage ändern

Ich verstehe, dass die Sharing-Unternehmen keine Pflicht haben, die gesamte Bevölkerung zu versorgen, und dass die Auslastung der Fahrzeuge in der Innenstadt deutlich höher ist. Nichtsdestotrotz wächst das Verständnis für die eigentumslose Mobilität nicht, wenn davon wieder nur die städtische „Elite“ profitiert. Auch in den äußeren Veedeln würden Kölner gerne austesten, ob sie ohne eigenes Auto im Alltag zurecht kommen.

Meine Aussage aus der ersten Folge muss ich daher auch ändern. Richtig ist: „Kein Innenstadt-Bewohner braucht ein eigenes Auto."

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