Wissenschaftler über Zufälle als Erfolgsfaktor„Unser Umgang mit dem Unerwartetem ist entscheidend“

Lesezeit 7 Minuten
Der Wirtschaftswissenschaftler Christian Busch hat ein Buch über den „Erfolgsfaktor Zufall“ geschrieben

Der Wirtschaftswissenschaftler Christian Busch hat ein Buch über den „Erfolgsfaktor Zufall“ geschrieben

Der Wirtschaftswissenschaftler Christian Busch erklärt im Interview, wieso glückliche Zufälle in Erfolgsbiographien eine so große Rolle spielen – und wie wir lernen können, die sogenannte Serendipität zu nutzen. 

Herr Busch, erzählen Sie mir von einem Zufall, der Ihr Leben verändert hat.

Definitiv die Art, wie ich meine heutige Frau in der Pandemie wiedergetroffen habe. Wir kannten uns seit mehr als zwölf Jahren, sind dann aber zufällig wieder aufeinander getroffen und haben den gesamten Covid-Lockdown miteinander verbracht. Wir haben uns so gut verstanden, dass wir gesagt haben: Ok, lass uns doch eine Familie gründen. Wir waren offen dafür, den Zufall anzunehmen, weil wir beide in einer Phase waren, in der wir uns geöffnet und überlegt haben, was uns im Leben wichtig ist. Heute haben wir eine gemeinsame Tochter, die 18 Monate alt ist.

Sie haben ein Buch über den „Erfolgsfaktor Zufall“ geschrieben. Das klingt erstmal so, als könnten wir jetzt die Arbeit einstellen und einfach darauf warten, dass uns gute Dinge passieren. Aber ganz so einfach ist es nicht. Erklären Sie uns den Unterschied zwischen einem bloßen Zufall und Serendipität.

Wir betrachten Glück und positive Zufälle oftmals als etwas, was wir nicht beeinflussen können. Und in vielen Fällen stimmt das auch, zum Beispiel bei der Geburtslotterie. Da kannst du entweder Glück oder Pech haben. Das sind am Ende auch die Dinge, die oft für soziale Ungleichheit verantwortlich sind.

Auf der anderen Seite gibt es aber auch aktives Glück, die sogenannte Serendipität. Sie ergibt sich aus etwas Unerwartetem, wobei unser Umgang mit diesem unerwarteten Ereignis zu einem positiven Ergebnis führt. Unser Handeln ist also entscheidend – es geht darum, Zufälle richtig zu nutzen.

Ein Beispiel aus der Unternehmenswelt: Ein Hersteller von Haushaltsgeräten bekam immer wieder Anrufe von chinesischen Bauern, die sich beschwerten, dass die Waschmaschine kaputt ginge, wenn man Kartoffeln darin wasche. Jetzt könnte man natürlich erwidern: Wieso packen die Bauern auch Kartoffeln in eine Waschmaschine? Der Hersteller tat aber etwas anderes. Er entwickelte eine modifizierte Kartoffelwaschmaschine. Das Unternehmen nutzte also das Potenzial im Unerwarteten.

„Zentral ist die Frage, wie wir den Zufall in unsere Planung aufnehmen können“

Entscheidend ist also auch, im richtigen Moment von seinen eigentlichen Plänen abrücken zu können.

Ja, obwohl es nicht darum geht, einfach nur mit dem Flow zu gehen und sich zwischen Planung und Zufall zu entscheiden. Zentral ist die Frage, wie wir den Zufall besser in unsere Planung mit aufnehmen können – so paradox das auch klingen mag.

Zu Beginn Ihres Buches steht ein Zitat von Barack Obama: „Ich bin immer überrascht, wenn ich Leute sehe, die erfolgreich waren, denn sie denken immer, dass sie so schlau waren“. Unterschätzen wir in Erfolgsbiographien, wie viel die großen Geister unserer Zeit eigentlich dem Zufall zu verdanken haben?

Genau das ist der Punkt. Studien haben gezeigt, dass in der Wirtschaft und im Management ein großer Teil des Erfolgs auf das zurückzuführen ist, was Experten „unerklärliche Varianz“ nennen – also Faktoren, die in keinem Lehrbuch stehen.

Als außenstehende Person übersieht man das aber schnell. Zum einen, weil Menschen zum Phänomen der Post-Rationalisierung neigen: Sie interpretieren also Muster in ihre Vergangenheit hinein, die gar nicht da waren. Zufälle tauchen so oft nicht mehr auf. Zum anderen sehen wir in der Regel nicht den Ideen-Friedhof der vielen Menschen, die ganz ähnliche Dinge vorhatten wie beispielsweise ein Bill Gates, aber trotzdem gescheitert sind. Die Qualifikationen und Lebensläufe sind oftmals sehr ähnlich – nur dass diesen Menschen am Ende ein kleines Quäntchen fehlte, zum Beispiel die eine Begegnung mit einem Entscheider, die nötig ist, um einen Fuß in die Tür zu bekommen.

„Man schafft Gelegenheiten für glückliche Zufälle“

Wie können wir lernen, von Zufällen zu profitieren?

Hier gibt es zwei Ansatzpunkte. Einerseits können wir versuchen, die Wahrscheinlichkeit von positiven Zufällen zu erhöhen. Andererseits geht es darum zu lernen, wie wir am besten mit diesen Zufällen umgehen.

Da gibt es ganz unterschiedliche Strategien. Eine meiner liebsten, um die Wahrscheinlichkeit von Zufällen zu erhöhen, ist die Hakenstrategie. Dabei versucht man, Menschen in Gesprächen möglichst viele Anknüpfungspunkte, also Haken, anzubieten.

Wenn Sie beispielsweise den Londoner Unternehmer Oli Barrett fragen, was er beruflich macht, sagt er nicht bloß, dass er Unternehmer ist. Sondern dass er ein Unternehmen im Bildungssektor gegründet hat, sich für die Philosophie der Wissenschaft interessiert und gerne Klavier spielt. Dadurch schafft er viel mehr Gelegenheiten für glückliche Zufälle. Vielleicht sucht ein Gesprächspartner „zufällig“ nach einem Gastredner zum Thema Philosophie in der Wissenschaft oder kennt „zufälligerweise“ jemanden, der Klavierstunden anbietet.

Und wie gehen wir dann mit dem Zufall um, wenn er da ist?

Der Schlüssel ist, ihm gegenüber offen zu sein. In der Wissenschaft verdanken wir viele Entdeckungen – wie Penicillin oder Viagra – vermeintlichen „Unfällen“, bei denen die Beteiligten klug auf etwas Unerwartetes reagiert haben.

Das funktioniert aber nicht nur im Labor, sondern auch in ganz alltäglichen Situationen. Nehmen wir ein einfaches Beispiel: Sie verschütten im Café versehentlich Kaffee auf ihren Sitznachbarn oder ihre Sitznachbarin. Option 1 ist, dass Sie sich entschuldigen und gehen, auch wenn Sie vielleicht das Gefühl haben, dass mehr in der Luft liegt. Option 2 ist, dass Sie ein Gespräch beginnen. Wer weiß, später entpuppt sich die Person vielleicht als Ihre neue Mitgründerin oder die Liebe Ihres Lebens.

„Die Hauptsache ist, die entsprechenden Verknüpfungen herzustellen“

Die Hakenstrategie und das Café-Gespräch sind Situationen, für die es ein gewisses soziales Geschick braucht. Muss man ein extrovertierter Mensch sein, um Serendipität nutzen zu können?

Nicht unbedingt, denn man kann auch beim Lesen über Zufälle stolpern oder auf dem Weg zur Arbeit etwas Spannendes entdecken. Die Hauptsache ist, dass man die entscheidende Verknüpfung herstellt und entsprechend handelt. Wenn Sie zum Beispiel mal einen anderen Weg zur Arbeit nehmen und zufälligerweise im Schaufenster eines Ladens ein Produkt sehen, das Ihnen – „Eureka“ – ihre nächste Unternehmensidee oder einen Einfall für einen Artikel gibt. Als Erwachsene halten wir oft die Augen offen, wenn es um das negativ Unerwartete geht – zum Beispiel, wenn wir nach rechts und links schauen, wenn wir eine grüne Ampel überqueren – aber oftmals nicht für das potentiell positiv Unerwartete, was überall lauert aber von uns „gesehen“ werden muss.

Die Hakenstrategie kann aber übrigens auch für introvertierte Menschen hilfreich sein, die nicht gern netzwerken. Denn wenn man auf Veranstaltungen schon Gespräche mit Fremden führen muss, dann ist es doch super, sie ein bisschen bedeutungsvoller und spannender zu gestalten, anstatt bloß über das Wetter zu sprechen.

Welche Charaktereigenschaften sind denn grundsätzlich nützlich?

Offenheit und Neugierde sind natürlich riesige Faktoren, genau wie Aufmerksamkeit. Wenn man erst einmal anfängt, neugierige Fragen zu stellen, kommen die spannendsten Sachen dabei heraus.

Ansonsten ist die Fähigkeit, Verknüpfungen zu sehen, eine wirklich wichtige Sache, die man im Übrigen auch trainieren kann. Wenn man es sich zur Gewohnheit macht, darüber nachzudenken, wie man Menschen und Ideen vernetzen kann, lernt das Gehirn, Verknüpfungen zu sehen und herzustellen. Die Fähigkeit des Gehirns, sich anzupassen und zu verändern, nennt man Neuroplastizität.

Auf Anhieb klingt Serendipität wie etwas, für das man Zeit und Ruhe haben muss, um es zu kultivieren. Sie sagen aber, dass das Phänomen gerade in Krisensituationen bedeutend ist. Wieso?

In guten Zeiten versuchen wir, unser Leben noch schöner zu gestalten. In Krisensituationen entsteht Serendipität aus der Notwendigkeit heraus, zu überleben. Deshalb spielt sie gerade in Armutskontexten eine so große Rolle. Auch in der Corona-Pandemie konnte man das Phänomen gut beobachten: Als im Lockdown die Gastronomie geschlossen wurde, ging es für die Betriebe darum, ihr Geschäft zu retten. Viele Einnahmen waren weggebrochen. Wir haben in dieser Situation viele Unternehmen gesehen, die wahnsinnig kreative Verknüpfungen hergestellt und umgesattelt haben – zum Beispiel Brauereien, die Alkohol genutzt haben, um Desinfektionsmittel herzustellen.


Christian Busch, 39, geboren in Bergisch Gladbach, erforscht als Wirtschaftswissenschaftler das Phänomen der Serendipität – und wie Zufälle zum Erfolg verhelfen können.  Der Universitätsprofessor ist Direktor des CGA Global Economy Programs an der New York University und lehrt auch an der London School of Economics. Er ist Mitbegründer von Leaders on Purpose und dem Sandbox Network. Sein Buch „Erfolgsfaktor Zufall“ ist ein Bestseller. 

KStA abonnieren