Der fliegende Gerichtsstand

Lesezeit 4 Minuten
Nachdem Maja von Hohenzollern im Presserechtsverfahren in Dresden unterlag, sucht sie in Hamburg ein geeignetes Urteil.

Nachdem Maja von Hohenzollern im Presserechtsverfahren in Dresden unterlag, sucht sie in Hamburg ein geeignetes Urteil.

Andreas Buske ist eine barocke Erscheinung. Man könnte sich den fülligen Mann, dessen graues Haar bis zum Oberarm reicht, gut am Spieltisch der Arp-Schnitger-Orgel im Hamburger Michel vorstellen - als optischen Wiedergänger Johann Sebastian Bachs. Doch Buskes Arbeitsplatz ist nicht die Kirche. Er ist Richter am wenige Meter entfernten Landgericht. Im schmucklosen Saal 335 im Zivilgerichtsgebäude geht es oft um die Schönen, Reichen und Berühmten. Meistens haben sie ein ganz bestimmtes Begehr: Medienberichte über sie sollen verboten werden.

Derzeit verhandeln Buske und seine zwei Beisitzer den Fall Maja von Hohenzollern. Die gilt als Schöne und wurde als Gattin des notorisch peinlichen Ferfried von Hohenzollern von Fernsehsendern und Boulevardblättern hofiert. Damit hatte die angeheiratete Prinzessin auch kein Problem. Als sich aber die „Dresdner Morgenpost“ einer Strafanzeige Ferfrieds im Ehekrieg mit seiner Frau annahm, war deren Beziehung zu dem Boulevardblatt zerrüttet. Vor dem Dresdner Landgericht versuchte Maja von Hohenzollern die Berichterstattung zu einem wenig glamourösen Thema, nämlich dem Vorwurf der Urkundenfälschung, verbieten zu lassen - und scheiterte. Die Berufung vor dem Oberlandesgericht Dresden nahm sie zurück, nachdem die dortigen Richter ihr einstimmig bescheinigt hatten, dass „keine Aussicht auf Erfolg“ bestehe.

Nun ist sie beim rangniedrigeren Landgericht Hamburg in ein und derselben Angelegenheit vorstellig geworden. Prozessiert wird um einen auf Punkt und Komma identischen Text, den die Online-Ausgabe der „Dresdner Morgenpost“ veröffentlichte. Sie kann gesondert belangt werden. Die Hamburger winkten zunächst eine einstweilige Verfügung gegen den Artikel durch, der von der Website genommen werden musste. Im Hauptsacheverfahren geht es nun ans Eingemachte.

Der Medienanwalt Spyros Aroukatos, der den beklagten „Sächsischen Verlag“ vertritt, wies Richter Buske in der mündlichen Verhandlung immer wieder maliziös auf die Dresdner Entscheidungen hin. Doch Buske überging, was die OLG-Kollegen beschlossen hatten. So dürfte der Online-Text in Hamburg verboten werden. Die Urteilsverkündung soll am Freitag sein.

Gerichte sind unabhängig - Buske muss die Dresdner Rechtsprechung nicht berücksichtigen. Doch geht die Sache wie erwartet aus, würde „im Namen des Volkes“ der gleiche Sachverhalt unterschiedlich beurteilt. Das Urteil wäre ein weiteres Glied in eine Kette von Absurditäten. Beispiel: Gregor Gysi. Buske verbot dem ZDF-Magazin „Frontal 21“, Passagen aus einer Bundestagsdrucksache zu zitieren, die auf den Internetseiten des Parlaments bis heute abrufbar ist. Das Papier fasst die Ergebnisse des Immunitätsausschusses zu Gysis angeblicher Stasi-Verstrickung zusammen. Für den Fraktionschef der Linkspartei im Bundestag ist der Schluss höchst unangenehm, Gysi habe als „IM Notar“ für die Stasi gearbeitet.

Untersagte Berichte

Beispiel Peter Porsch: Der ehemalige PDS-Spitzenkandidat in Sachsen klagte gegen sächsische Tageszeitungen, die Stasi-Akten mit brisantem Inhalt thematisierten. Experten in der Birthler-Behörde gehen davon aus, dass Porsch seine Frau bespitzelt hat. Buske jedoch untersagte der „Sächsischen Zeitung“ zu berichten, als langjähriger IM seine damalige Freundin und jetzige Frau bespitzelt zu haben.

Das Problem mit Buske liegt nicht in mangelnder Kompetenz. Selbst Medienanwälte, die ihre Prozesse krachend verlieren, bescheinigen ihm hohes Niveau und konsistente Urteile. Doch lässt sich der Eindruck nicht von der Hand weisen, dass diese in der Abwägung zwischen Persönlichkeitsrecht und Pressefreiheit im Zweifel zulasten der Presse ausfallen.

Aroukatos will sich dem Urteil seiner Kollegen nicht anschließen und fährt scharfes Geschütz auf zur Wirkung der Hamburger Urteile: „Pressefeindliches Rechtsdiktat über ein zentrales Verfassungsgut.“ Gemeint ist eine aus seiner Sicht einseitige Einstellung zur Pressefreiheit: Das Hamburger Gericht gehe davon aus, dass Prominente in den Medien nur so dargestellt werden dürften, wie es ihnen genehm sei - und nicht so, wie ihr Verhalten durch eine freie Presse wahrgenommen werde. „Diese Urteile verändern unsere Arbeitsgrundlage“, sagt Ulrich Stoll, Autor des „Frontal 21“-Stücks über Gysi.

Verschärfend wirkt, dass sich die Kläger in Presseverfahren das Gericht aussuchen können, wenn die von ihnen monierten Berichte bundesweit zu lesen oder zu empfangen sind. Vom „fliegenden Gerichtsstand“ sprechen die Juristen. Aroukatos sieht einen Missbrauch dieses Instituts. Und weil die Medienanwälte die Spruchpraxis der jeweiligen Pressekammern einzuschätzen wüssten, würden sie ihre Klagen überproportional oft in Hamburg einreichen. Damit aber drohten die Urteile eines einzelnen Gerichts zum „Standard im Äußerungsrecht“ zu werden. Richter Buske und seine Kammer wirke hier quasi gesetzgeberisch. „Diese Rolle steht ihm aber nicht zu“, schimpft Aroukatos.

Hamburg schafft Fakten. Die Folgen sind schon heute spürbar. Das Urteil in Sachen „Gysi gegen »Frontal 21«“ bezeichnet der SPD-Innenpolitiker Dieter Wiefelspütz als ein „starkes Stück“ und rät Journalisten, dagegen vorzugehen.

KStA abonnieren