Die Kollision der Kulturen

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Partner Chirac, Merkel: Allen Freundschaftsbeteuerungen zum Trotz ist die Stimmung nicht gut.

Partner Chirac, Merkel: Allen Freundschaftsbeteuerungen zum Trotz ist die Stimmung nicht gut.

Aus dem jahrelangen Steigflug des europäischen Flugzeugherstellers könnte ein unkontrollierter Sinkflug werden.

Paris - Es ist ein Stoßseufzer, und er kommt aus vollem Herzen: „Nein, Sie werden Frankreich nicht ändern, und Sie werden auch Deutschland nicht ändern - sogar nicht wegen Airbus.“ Der französische Spitzendiplomat, der jetzt schon eine halbe Stunde lang versucht, angesichts der nachfragenden Journalisten die Gewitterwolken am deutsch-französischen Gipfelhimmel zur Seite zu schieben, gibt resigniert auf.

Wenn sich Jacques Chirac und Angela Merkel heute in Paris zur gemeinsamen Kabinettssitzung im Élysée treffen, wird offenbar werden, dass allen Freundschaftsbeschwörungen zum Trotz die Stimmung in dieser Beziehungskiste derzeit alles andere als gut ist. Und die Schuld am jüngsten Ärger tragen diesmal nicht die Politiker, die über den Rhein hinweg Ressentiments pflegen, weil es ihnen in einen heimischen Wahlkampf passt.

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Den Schwarzen Peter halten vielmehr Heerscharen höchstbezahlter Manager aus deutschen und französischen Landen in Händen, die es binnen weniger Jahre schafften, das Prunkstück der europäischen Technologie- und Luftfahrtindustrie kurz vor die Wand zu fahren. Der trudelnde Airbus, noch im Januar 2005 mit dem „Rollout“ des Riesenvogels A380 in Toulouse als „Sieg des alten Europa“ über die ehrgeizigen Vettern jenseits des Atlantiks gefeiert, bringt auch ein an allerlei Krisen gewöhntes Ehepaar wie das deutsch-französische ins Schleudern.

Denn natürlich ist es kein betriebswirtschaftliches Problem, auf das böswillige Medien und verkniffene Konkurrenten ein politisches draufsatteln, um die Überlegenheit der angelsächsischen Wirtschaftsmethode gegenüber der kontinentaleuropäischen Spielart zu beweisen. Sondern der Teufel steckt wie immer im Detail, und dies bei Airbus und seiner Mutter, der EADS, von Anfang an.

Der Konzern, geschaffen dank der ökonomischen Erkenntnis, dass sowohl die französische als auch die deutsche Rüstungs-, Luft- und Raumfahrtindustrie alleine zu klein sind, um im globalen Wettstreit bestehen zu können, hatte starke politische Geburtshelfer. Und die bügelten alle Bedenken weg, die aus den unterschiedlichen Wirtschaftskulturen in das einheitliche Unternehmen hinein ihre Wirkung zeigen könnten. Vor allem aber setzten sie sich großzügig über die Hürde hinweg, die aus der seltsamen Eigentümerstruktur - hier rein privat, dort halbstaatlich - strukturell bei EADS und in der Folge auch bei Airbus eingebaut war.

Denn wenn in Frankreich gilt, dass alles, was schießt und fliegt, erst einmal eine staatliche Angelegenheit ist, weshalb die heimische Rüstungsindustrie sich stets als Augapfel der Präsidenten fühlen durfte, halten die Deutschen es aus historischen Gründen mit dem Gegenteil. Rüstungskontrolle ja, heißt es in Berlin, denn man will ja seine internationalen Verpflichtungen erfüllen, aber bloß kein direkter staatlicher Einfluss in diesen „sensiblen“ Industrien.

Dieser Widerspruch begleitete das EADS-Abenteuer von der ersten Stunde an. Er störte aber dank der Fähigkeiten der Ingenieure und Blaumänner in den Werken des Airbus zu keinem Zeitpunkt. Denn auch für Airbus galt, dass nichts erfolgreicher als der Erfolg ist. Und so lehnten sich die Manager in ihren Sesseln zurück, zählten die Auftragseingänge und besorgten sich alle Jahre kräftige Gehaltszuschläge, anstatt sich in Toulouse und Hamburg den Kopf darüber zu zerbrechen, wie sie die Produktion effizienter und die Entwicklung neuer Flugzeugtypen schneller machen könnten.

Im vergangenen Jahr überrundete Airbus Boeing, die bis dato unbestrittene Nummer eins bei der Zahl der ausgelieferten Jets pro Jahr. Und der A380 verhieß eine strahlende Zukunft, hatte die Konkurrenz aus den USA doch auf die Entwicklung eines Gegenmodells verzichten und damit den Markt kampflos räumen müssen. Kein Wunder, dass Jacques Chirac, Tony Blair, José Luis Zapatéro und Gerhard Schröder vor Kraft kaum laufen konnten, als der Vorhang vor dem silberblauen A380 in Toulouse beiseite gezogen wurde.

Eineinhalb Jahre später hat die Firma ihren dritten Chef in drei Monaten, einen Einnahmeausfall von knapp fünf Milliarden Euro bis 2010, gleich drei wackelige Großprojekte - neben dem 380 den nur auf dem Papier vorhandenen A350 und der Militärtransporter M400 - und eine weltweit sichtbare Imagedelle. Louis Gallois, der als Ex-Aerospatiale-Chef und langjähriger Boss der französischen Staatsbahnen SNCF sowohl etwas von der Sache als auch vom Handel mit starken Gewerkschaften versteht, soll nun verhindern, dass aus dem jahrelangen Steigflug bei Airbus ein unkontrollierter Sinkflug wird.

Die Rosskur, die sein episodenhafter Vorgänger Christian Streiff dem Unternehmen verpassen wollte, will Gallois nun entschlossen umsetzen: Produktionsverlagerungen, Werksschließungen, Entlassungen und andere Grausamkeiten mehr gehören dazu. Streiff hatte die richtige Analyse geliefert, als er in einem Zeitungsinterview unterstrich, dass Airbus noch auf mindestens ein Jahrzehnt nicht an Boeing herankommen wird, was Produktions- und Kosteneffizienz sowie Entwicklungskapazität angeht.

Aber er hatte Gallois und den anderen EADS-Aufsehern auch gleich noch bescheinigt, über Jahre hinweg die falsche Unternehmensstrategie protegiert zu haben, indem sie auf die Integration von Airbus durch das Riesenprojekt A380 setzten. Diese „integrierte Produktion“, mit der auf das abgezirkelte Gleichgewicht bei jedem Flugzeug zwischen den französischen und deutschen Standorten verzichtet würde, hätte jedoch vor dem Start des 380 verwirklicht sein müssen, sagte Streiff, was seine Aufseher nicht gerne hörten.

Wenn der Mann nun zu Peugeot wechselt, weint ihm im Élysée-Palast niemand eine Träne nach, verlässt man sich dort doch jetzt auf Gallois, dem die Streiff noch verweigerte doppelte Machtfülle an der Spitze von EADS und Airbus zugestanden wurde. Aber man wünscht sich im Palast auch, dass sich Deutschland, und zwar nicht die deutsche Industrie, stärker an dem krisengeschüttelten Unternehmen beteiligt.

Angela Merkel wird Jacques Chirac erklären müssen, dass es nicht zum Amtsverständnis deutscher Bundeskanzler gehört, in Ungnade gefallene Spitzenmanager zu feuern; eine Übung, der sich Jacques Chirac zwar ungern, aber regelmäßig unterzieht. Und sie wird ihm - auch ohne nähere Erläuterung des deutschen Aktienrechts - nahe bringen müssen, dass ein tête-à-tête mit dem Vorstand von Daimler Chrysler zwar denkbar, aber nicht unbedingt zielführend sein werde. Denn wenn man ihr dort zuhöre, bedeute dies mitnichten, dass man anschließend auch wunschgemäß handeln werde.

Französische und deutsche Diplomaten waren denn auch in den vergangenen Tagen hektisch bemüht, die Kollision dieser unterschiedlichen politischen Kulturen beim heutigen Gipfel durch kluge Weichenstellungen und intelligente Wortschöpfungen auszuschließen. Wie Minensuchboote schwärmten sie aus, um die Fahrrinne vor der Flottille, dem anreisenden Bundeskabinett, von Gefahrenherden zu räumen. Aber wo immer sie bei ihrem Einsatz auf einen Kollegen aus dem „anderen“ Außenministerium trafen, mussten sie gegenseitiges Unverständnis bis in die Spitzen der Ämter konstatieren.

Da war es eine Wohltat, dass ein junger Diplomat eine kreative Lösung zumindest für eines der drei Airbus-Probleme vorschlug. Wenn Chirac und Merkel doch Putin den Gefallen tun und Russland einen größeren Kapitalanteil an EADS einräumen würden, könnte dieser die Arbeitspferde der russischen Luftfahrtindustrie, die Großtransporter von Antonow und Iljuschin, als Mitgift mitbringen. Die fliegen nämlich schon im Unterschied zum M 400, und zwar zuverlässig. Aber eine solche Lösung hat den Nachteil, dass sie zu einfach ist für die komplizierte deutsch-französische Wirklichkeit.

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