Frau Gryllus, Sie leben in Budapest und Berlin und haben mal gesagt: Ungarn sei Ihre Mutter, Deutschland Ihre Frau. Was mögen Sie denn an Ihrer Frau?
Ich mag, dass sie so ordentlich und stabil ist. Im Vergleich zu meiner Mutter, die bauchgesteuert und ein bisschen verrückt ist, gibt mir meine Frau Ruhe. Ich liebe mein Land, aber die Ungarn sind Chaoten, und ich bin jemand, der gerne plant. Das kann daran liegen, dass die väterliche Seite meiner Familie aus Deutschland stammt. Ich war viel bei meiner Urgroßmutter, als ich klein war. Sie hat immer gesagt: Deine Pflicht ist das Wichtigste! Als ich in Deutschland ankam, hatte ich das Gefühl, meine Urgroßmutter wiederzutreffen.
PrivatDorka Gryllus wurde 1972 in Budapest geboren. Sie lebt heute abwechselnd dort und in Berlin. Sie hat einen Sohn.
KarriereGryllus studierte Schauspiel an der Theater- und Filmakademie in Budapest. 2007 ist sie im Kinofilm „Irina Palm“ und 2009 in „Soul Kitchen“ zu sehen. 2011 spielt sie im ZDF-Zweiteiler „Schicksalsjahre“ mit Maria Furtwängler und 2013 im „Tatort – Schwindelfrei“.
AktuellAm 12. und 19. Februar (jeweils 20.15 Uhr, ARD) ist sie in „Der Metzger und der Tote im Haifischbecken“ und „Der Metzger muss nachsitzen“ zu sehen, Verfilmungen der Krimis des österreichischen Autors Thomas Raab.
Sie haben deutsche, österreichische, slawisch-ungarische und jüdische Wurzeln. Kann man sich da aussuchen, wo man sich zu Hause fühlt?
Nein, entweder stimmt die Chemie oder nicht. Ich bin mal gefragt worden, ob ich nach London ziehen könnte. Aber das hätte ich nicht gekonnt. Dort war ich zu fremd, ich hatte das Gefühl, mich nie anpassen zu können.
Sie sind gläubige Protestantin. Fühlen Sie sich überall zu Hause, sobald Sie in eine Kirche gehen?
Ja, schon. Aber in Ungarn sagt man: Man zählt und man betet in der Muttersprache. Auf Deutsch zu beten fühlt sich fremd an. Ich bete also auf Ungarisch.
Wo ist denn Ihre Heimat?
Eine Pfarrerin hat mal zu mir gesagt: Man kann an einem Ort zu Hause sein, in einer Zeit oder in der Kultur. Ich bin in der Kultur zu Hause. Die Band meines Vaters ist gerade 45 Jahre alt geworden ist. Es gab ein großes Konzert, ich saß in der ersten Reihe und dachte: Jetzt bin ich zu Hause. Das kann mir auch in Deutschland passieren, wenn ich in einem Konzert bin. Oder bei der Arbeit mit tollen Kollegen. Wenn wir uns beim Spielen plötzlich auf einer anderen Ebene verstehen, dann fühle ich mich sofort zu Hause.
Zuletzt stand die ungarische Regierung häufig in der Kritik. Stören Sie mehr Dinge als früher?
(seufzt) Das ist kompliziert. Ja, die Situation ist schwierig, aber das ist überall in Europa so. Ich bin mit den Antworten nicht zufrieden, die meine Regierung gibt – aber zu glauben, ohne Victor Orbán wäre alles wieder gut, ist zu simpel. Das wird oft so dargestellt, und ich habe dann das Gefühl, als ob ich mich für ihn rechtfertigen muss. Das ist so, als würde ich Sie fragen: Was macht denn Angela Merkel da, erklären Sie mir das mal! Es fühlt sich an, als würde die eigene Mutter Mist bauen, und man müsste das ständig irgendwie erklären.
Die meisten verbinden mit ihrer Mutter das Essen. Gibt es etwas, das Sie essen müssen, sobald Sie nach Budapest zurückkommen?
Ja, ich habe eindeutig so etwas wie kulinarisches Heimweh. In Ungarn schmeckt einfach alles anders, sogar Spaghetti, ich weiß gar nicht, woran das liegt. In Deutschland ist alles ein bisschen roher, weniger gewürzt. In Ungarn dagegen wird mit vielen Gewürzen gekocht, mit Sahne – es ist deutlich deftiger als hier. Wenn ich nach Ungarn fahre, esse ich sofort etwas Deftiges.
Das Gespräch führte Silke Offergeld