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Überbordende BürokratieVier Jahre nach der Flut an der Ahr – Ein Dorf muss sich zusammenraufen

7 min
09.07.2025
Rheinland Pfalz:
SCHULD (Rheinland-Pfalz)
Am 14. Juli jährt sich die Hochwasserkatastrophe des Jahres 2021 an der Ahr zum 4. Mal. Welche Wunden sind noch offen? Warum in Schuld an der Ahr, das heftig betroffen war, bisher kaum etwas passiert ist.
Rundgang und Gespräch mit Ortsbürgermeister Helmut Lussi
Foto: Martina Goyert
mgoyert@web.de

Helmut Lussi, Bürgermeister von Schuld, steht vor den Resten der Domhofbrücke, die bei der Flutkatastrophe vor vier Jahren völlig zerstört wurde. Der Wiederaufbau des Orts mit 650 Einwohnern kommt nur langsam voran. Foto: Martina Goyert mgoyert@web.de

Im völlig verwüsteten Ahr-Örtchen Schuld kommt der Wiederaufbau nur schleppend voran. Hindernisse seien überbordende Bürokratie und Selbstmitleid, so der Bürgermeister.

Genau an dieser Stelle hat Bürgermeister Helmut Lussi (69) vor vier Jahren beim Besuch der Kanzlerin mit den Tränen gekämpft. Am ersten Sonntag nach der Katastrophe. „Diese Flut wird für die Menschen in Schuld Narben hinterlassen. Narben, die man nie vergisst. Die nicht zu bewältigen sind. Denn unser Leben hat sich von einem auf den anderen Tag geändert. Entschuldigung, aber die Emotionen übergreifen mich.“

Die Flut trifft den Ort mit einer unglaublichen Wucht. Mitten im Dorf, an der Bahnhofstraße und der Domhofbrücke. Das Unheil bricht am Nachmittag herein. Und nicht mitten in der Nacht. Allein diesem Umstand ist es zu verdanken, dass es keine Toten gibt.

Bundeskanzlerin Angela Merkel (3.v.r.) und Malu Dreyer (r,SPD), Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, sprechen mit einem betroffenen Anwohner während ihres Besuchs in dem vom Hochwasser verwüsteten Dorf Schuld bei Bad Neuenahr-Ahrweiler. +++ dpa-Bildfunk +++

Drei Tage nach der Flut: Bürgermeister Helmut Lussi (Mitte) zeigt der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel und Malu Dreyer, damals Ministerpräsidentin von Rheinland-Pfalz, bei einem Rundgang durch den verwüsteten Ort das Ausmaß der Zerstörung.

Ein paar Bauarbeiter pflastern den Gehweg einer von fünf Dorfstraßen, die neu gebaut werden müssen. Der Uferpark, der die 650 Einwohner von Schuld mit der Ahr versöhnen soll, existiert nur als Entwurf. So wie das neue Gemeinschaftshaus und der Dorfladen. Von der zerstörten Bäckerei steht der Rohbau. Bis hier wieder Brötchen gebacken werden, dürfte noch ein halbes Jahr vergehen. Die Pläne eines Privatinvestors, die Ruine des Ahrtal-Hotels in ein Seniorenzentrum der Oberklasse zu verwandeln, haben sich in Luft aufgelöst.

Die Aufbaustimmung in Schuld ist verflogen

Am liebsten würde Lussi den größten Schandfleck des Orts abreißen lassen. Eine halbe Million verlangt der Eigentümer für Gebäude und Grundstück. Hinzu kämen die Abbruchkosten. Das kann sich die Gemeinde nicht leisten. „Schnelle und unbürokratische Hilfe, wie die Merkel damals sagte, die gibt es nicht“, sagt der Ortsbürgermeister, der keiner Partei angehört und seit 2004 im Amt ist. „Das ganze Klein-Klein ist nervenaufreibend. Es geht weiter, aber langsam.“

Die Aufbaustimmung in den Wochen nach der Flut ist längst verflogen. „Damals haben alle zusammengestanden. Die Dorfbewohner, die vielen freiwilligen Helfer. Die Aufräumarbeiten waren schnell verzogen. Wir haben mit der Raupe in die Löcher und Ausspülungen alles Mögliche reingeschoben, um wieder fahren zu können. Da hat keiner groß gefragt. Das wurde gemacht, weil es notwendig war.“

09.07.2025
Rheinland Pfalz:
SCHULD (Rheinland-Pfalz)
Am 14. Juli jährt sich die Hochwasserkatastrophe des Jahres 2021 an der Ahr zum 4. Mal. Welche Wunden sind noch offen? Warum in Schuld an der Ahr, das heftig betroffen war, bisher kaum etwas passiert ist.
Foto: Martina Goyert
mgoyert@web.de

Auf diesem Platz soll das neue Gemeinschaftshaus entstehen. Ob der Dorfladen im angrenzenden Haus öffnen oder es auch abgerissen wird, ist noch offen.

Und manchmal auch unüberlegt. „Wir haben damals eine Straße verlegen und dafür vier Meter aufschütten müssen. Das konnten wir die Trümmer nicht groß vorsortieren“, sagt Lussi. Jetzt muss der Boden aufwändig saniert werden. Sogar einen Gewehrschrank mit Munition und Fernrohr habe man schon gefunden.

Mit dem Schutt verschwanden die Helfer im Ahrtal

Mit dem Schutt verschwanden die Helfer. Zurück blieben ein ehrenamtlicher Ortsbürgermeister, dem es gelang, die mediale Aufmerksamkeit nach der Katastrophe so geschickt zu nutzen, dass innerhalb von vier Wochen sechs Millionen Euro auf dem Spendenkonto der Gemeinde eingingen. Und ein ehrenamtlicher Gemeinderat, der diesen Ausnahmezustand managen musste.

15.07.2021, Rheinland-Pfalz, Schuld: Die mit einer Drohne gefertigte Aufnahme zeigt die Verwüstungen die das Hochwasser der Ahr in dem Eifel-Ort angerichtet hat. In Schuld bei Adenau waren den Angaben zufolge in der Nacht zum Donnerstag sechs Häuser eingestürzt. Derzeit würden dort knapp 70 Menschen vermisst. Foto: Christoph Reichwein/TNN/dpa +++ dpa-Bildfunk +++

Die mit einer Drohne gefertigte Aufnahme zeigt die Verwüstungen, die das Hochwasser der Ahr in dem Eifel-Ort angerichtet hat.

„Die Menschen haben damals Soforthilfe bekommen. Wir haben uns die beschädigten Gebäude von 141 Leuten angesehen und sie mit bis zu 50.000 Euro zusätzlich unterstützt“, sagt Lussi. Und sich vorab bescheinigen lassen, dass die Empfänger keine Hilfe von der Investitions- und Strukturbank des Landes Rheinland-Pfalz bekommen haben.

Wann die Stimmung im Ort gekippt ist, kann der Ortsbürgermeister nicht sagen. Fest steht nur. Die großen Projekte kommen nur schleppend voran. „Die Verwaltungsvorschriften fressen mich auf“, sagt Lussi. Vor dem Wiederaufbau der Domhof-Brücke über die Ahr braucht es ein Gutachten der Wassergeologen, ein Bodengutachten zu möglicher Verseuchung durch Öl und Gas, weil die Flut viele Heizungen mit sich gerissen hat, den Kampfmittelräumdienst und eine europaweite Ausschreibung, weil die Kosten einschließlich einer neuen Stützwand auf 3,5 Millionen Euro geschätzt werden.

Die Verwaltungsvorschriften fressen mich auf
Helmut Lussi, Bürgermeister von Schuld

„Wir mussten den billigsten Anbieter nehmen, der darüber in die Insolvenz gegangen ist“, sagt Lussi. Die Stützwand, die ein Haus davor schützen soll, dass es beim Abrutschen des Hangs in die Ahr stürzt, lässt die Kosten explodieren. 100 Anker müssen in den Beton gebohrt werden, teilweise auch unter das Haus. Das hatte anfangs keiner auf dem Schirm.

Die Nerven liegen blank. Im März 2024 entzündet sich der Streit im Gemeinderat an einer Lappalie. Es geht um ein Haus in der Ahrstraße, in der zweiten Reihe hinter dem Fluss. Sein Besitzer will es wieder aufbauen, das Geld steht aus dem Fonds des Landes bereit, doch der Gemeinderat hat andere Pläne. Im neuen Ortskern soll zwischen zwei Häusern jeweils eine Grünfläche entstehen. Sie sieht es der neue Bebauungsplan vor, der aber noch nicht verabschiedet ist.

09.07.2025
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SCHULD (Rheinland-Pfalz)
Am 14. Juli jährt sich die Hochwasserkatastrophe des Jahres 2021 an der Ahr zum 4. Mal. Welche Wunden sind noch offen? Warum in Schuld an der Ahr, das heftig betroffen war, bisher kaum etwas passiert ist.
Foto: Martina Goyert
mgoyert@web.de

Vier Jahre nach dem Hochwasser werden auf der Dorfstraße die ersten Straßenlaternen aufgestellt.

Lussi, seit 2004 im Amt, ist fassungslos, erteilt die Baugenehmigung, ohne den Rat zu fragen. „Der Besitzer hatte schon ein neues Fertighaus bestellt. Er hätte die Gemeinde in Regress nehmen können. Ich konnte doch nicht vor jeder Entscheidung erst den Gemeinderat zusammentrommeln.“ Überdies habe Schuld nur einen Gemeindearbeiter. Wer solle denn all die Grünflächen und den geplanten Uferpark pflegen? „Wir müssen auch an die Folgekosten denken.“

Zusammenhalt der Dorfgemeinschaft bröckelt

Sechs der 13 Gemeinderatsmitglieder treten zurück. Im Ort kursiert ein offener Brief. Von gefilterten Informationen, Entscheidungen im Alleingang und beschlusswidrigen Unterschriften ist die Rede. „Natürlich habe ich mich gefragt, ob wir keine anderen Probleme haben und wofür ich das alles überhaupt noch mache.“ Mehr oder weniger aus Trotz habe er sich entschlossen, sich nach der Kommunalwahl im Gemeinderat noch einmal um das Amt zu bewerben. Und setzt sich durch. Mit 84 Prozent der Stimmen. Auch der Bürgermeister räumt die Alleingänge ein und dass nicht alles so gelaufen ist, wie es geplant war. Man rauft sich wieder zusammen.

Trotzdem. Die Flut hat nicht bloß die Häuser zerstört. Sie hat auch den Zusammenhalt der Dorfgemeinschaft hart getroffen. „Die Flut ist jetzt vier Jahre vorbei. Es muss weitergehen. Wir müssen nur noch nach vorne schauen.“ Die Häuser zeigen, dass nicht alle so denken. Etliche haben den Wiederaufbau längst gestemmt, in den meisten Fällen komplett bezahlt bekommen. „Aber die meisten sitzen das immer noch aus“, sagt Lussi. „Die suhlen sich im Selbstmitleid.“

09.07.2025
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SCHULD (Rheinland-Pfalz)
Am 14. Juli jährt sich die Hochwasserkatastrophe des Jahres 2021 an der Ahr zum 4. Mal. Welche Wunden sind noch offen? Warum in Schuld an der Ahr, das heftig betroffen war, bisher kaum etwas passiert ist.
Gottfried Holzen 
Foto: Martina Goyert
mgoyert@web.de

Gottfried Holzem hat nach dem Hochwasser schnell mit der Sanierung seines Hauses angefangen. Die Flut habe die Dortgemeinschaft auseinandergerissen, auch weil es keinen Treffpunkt mehr gebe.

Einer, der gleich angepackt hat, ist Gottfried Holzem (74). Voller Stolz steht vor seinem frisch renovierten Haus. Er habe sich nicht vorstellen können, Schuld jemals zu verlassen. Anfangs sei nicht mal klar gewesen, wie er das alles finanzieren soll. „Deshalb habe ich viel in Eigenleistung gemacht.“ Seit feststeht, dass die Wiederaufbauhilfe in den allermeisten Fällen bei 100 Prozent liegt, beäugten sich die Menschen gegenseitig. „Wie viel hat der wohl bekommen? Habe ich vielleicht ein schlechtes Geschäft gemacht?“

Bürgermeister Lussi hat dazu eine klare Meinung. „Ich weiß, wie die Häuser vor der Flut teilweise aussahen. Wenn ich mir die heute ansehe, frisch saniert und auf dem neuesten Stand, kann ich nur sagen: Bei uns gibt es keine Verlierer.“

09.07.2025
Rheinland Pfalz:
SCHULD (Rheinland-Pfalz)
Am 14. Juli jährt sich die Hochwasserkatastrophe des Jahres 2021 an der Ahr zum 4. Mal. Welche Wunden sind noch offen? Warum in Schuld an der Ahr, das heftig betroffen war, bisher kaum etwas passiert ist.
Marijn van Zuijlen und Audrey Westenburg,ein holländisches Paar kam 1 Jahr nach der Katastrophe und baute sich ein Natursteinhaus wieder auf.
Foto: Martina Goyert
mgoyert@web.de

Ein Jahr nach der Katastrophe haben sie sich in Schuld niedergelassen: Marijn van Zuijlen und Audrey Westenburg aus den Niederlanden.

Nur vier Einwohner haben Schuld nach der Flut verlassen. Drei sind ins Altenheim gezogen, einer hat sein weit über 100 Jahre altes, völlig zerstörtes Haus verkauft. Dort angekommen, öffnet uns Marijn van Zuijlen (69) die Tür. „Ja“, bestätigt er. Er und seine Partnerin Audrey Westenburg (55) sind seit der Katastrophe die ersten Neubürger in Schuld. Von Zuijlen stammt aus Amsterdam ist Schreiner von Beruf und hat 41 Jahre auf einem Schiff gelebt und gearbeitet. „Ein Teil war Wohnen, ein Teil Werkstatt. Ich bin immer dorthin gefahren, wo es den nächsten Auftrag gab. Das haben wir gemacht, bis ich 67 geworden bin.“

Wir sind von den Nachbaren sehr herzlich aufgenommen worden
Marijn van Zuijlen, Neubürger aus den Niederlanden

Fürs Alter habe er nach einem Ort gesucht, nicht zu weit weg von Amsterdam, nach einem Leben auf dem Wasser gern ein bisschen bergig, ruhig gelegen und renovierungsbedürftig. „Wir wollten es nach unseren Vorstellungen gestalten.“

In Schuld seien sie fündig geworden und hätten zuerst die Scheune hergerichtet und dort mehr als zwei Jahre gewohnt. „Da war hier im Ort noch alles völlig zerstört.“

Vom alten Gebäude ist nur die Natursteinfassade geblieben. Das Innenleben hat das Paar komplett aus Holz neugestaltet und einen Öko-Garten angelegt. „Wir sind hier von den Nachbarn sehr herzlich aufgenommen worden“, sagt van Zuijlen, längst Teil einer Dorfgemeinschaft, die erst wieder zusammenraufen muss. Einen Schreiner können sie in Schuld noch über viele Jahre gut gebrauchen.