Luisa Neubauer über Klimaschutz„Die größte aller Krisen ist nicht das Privatproblem der Grünen“

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Luisa Neubauer

Luisa Neubauer fordert, dass Olaf Scholz den Klimaschutz zur Chefsache macht.

Die „Fridays for Future“-Aktivistin kritisiert im Interview die Politik von FDP-Chef Christian Lindner und erklärt ihren Konflikt mit den Grünen.

Frau Neubauer, im Oktober haben Sie eine Rede auf dem Parteitag der Grünen gehalten. Sie sind Mitglied. Die Rede haben Sie als „schwierig“ bezeichnet. Warum?

Die Klimabewegung und die Grünen stehen in einem komplexen Verhältnis zueinander. Teile der Grünen-Spitze haben in dieser Legislaturperiode die Tendenz entwickelt, Zugeständnisse zu mehr Klimazerstörung mit staatsmännischer Politik zu verwechseln. Das ist fatal. Wenn staatsmännisch sein soll, was all unsere Lebensgrundlagen gefährdet, dann bekommen wir ein Problem.

Welches?

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Dieses Politikverständnis impliziert, dass Klimaschutz letztendlich doch eine Ideologie ist, von der im demokratischen Verhandlungsprozess ein bisschen was abgegeben werden muss. Das stimmt aber nicht. Ausreichenden Klimaschutz kann es nur geben, wenn man es als überparteiliches, gemeinschaftliches Ziel versteht, nicht als Partikularinteresse.

Sie haben bereits vor Ihrer Rede Standing Ovations bekommen. Hat Sie das irritiert?

Eher verwundert. Aber ich habe das in diesem Moment als allgemeine Verlegenheit interpretiert, die irgendwie sympathisch ist. Sie wussten nicht richtig, wie sie sich verhalten sollten. Ihnen schwante ja schon, dass ich keine Lobeshymne auf die grüne Klimapolitik halten werde.

Haben Sie auch nicht. Sie haben den Kohledeal mit RWE kritisiert und für den Erhalt von Lützerath plädiert. Auch danach gab es Applaus im Stehen. Trotzdem hat die Partei für das Abbaggern von Lützerath gestimmt. Greta Thunberg hat das als heuchlerisch bezeichnet. Würden Sie das auch so formulieren?

Die ganze Abstimmung wurde vor Beginn des Parteitages kaum ernst genommen. Die Entscheidung wurde schließlich mit wenigen Stimmen Unterschied gefällt. Das ist Demokratie. Obwohl wir nie verlegen um Kritik sind, hat die Partei mit meiner Einladung zum Parteitag bewiesen, dass sie demokratische Selbstgewissheit und eine Bereitschaft zu Kritik und Reflexion hat, wie wir es selten erleben. Soweit ich weiß, sind Klimaaktivisten mit solchen Reden noch nicht bei anderen Parteitagen gewesen.

Umweltaktivistin Luisa Neubauer wird in der Nähe von Lützerath von Polizisten während einer Sitzblockade weggetragen.

Umweltaktivistin Luisa Neubauer wird in der Nähe von Lützerath von Polizisten während einer Sitzblockade weggetragen.

Haben Sie darüber nachgedacht, die Einladung abzulehnen?

Nö. Wir bewegen uns doch in einem demokratischen Diskurs. Gerade als Klimabewegung sind wir in der Verantwortung, nicht nur übereinander, sondern auch miteinander zu reden und uns immer wieder die Mühe zu machen, Kritik an der Regierung zu formulieren.

Ist es nicht ermüdend, diese Kritik ständig zu wiederholen?

Ja, aber das ist Aktivismus. Wir wollen nicht recht haben …

Sie wollen nicht im Recht sein?

Wir wollen gewinnen. Das ist ein Riesenunterschied. Es geht nicht darum, dass Gesellschaft und Regierung uns in unseren exakten Beweggründen recht geben, sondern dass gehandelt wird. In gewisser Weise geht es darum, dass Menschen und Organisationen, die möglicherweise lange die Klimakrise ignoriert oder sogar vorangetrieben haben, würdevoll die Seite wechseln können. Das geht nicht, indem wir darauf bestehen, dass sie uns recht geben.

Sondern?

Sondern indem sie für sich selbst einen Zugang zur Ökologie finden, der selbstbestimmt und authentisch ist. Und dann ist es zweitrangig, ob Menschen, Parteien oder Institutionen sich aus moralischer Überzeugung der ökologischen Sache verpflichten oder aus Kalkül oder wirtschaftlichem Interesse. Wir müssen uns nach vorne bewegen.

Als Klimaaktivistin sind Sie in der komfortablen Rolle, Fundamentalkritik äußern zu können. Politikerinnen und Politiker müssen sich dagegen auf Kompromisse einlassen. Haben Sie dafür Verständnis?

Es geht nicht um die Frage, ob wir Kompromisse wollen oder nicht. Das ist eine Fehlauslegung der Klimakrise. Es geht um die Akzeptanz bestehender Kompromisse. Das Pariser Klimaabkommen ist ein globaler Kompromiss. Man muss es als diplomatischen Gral verstehen, es ist das mächtigste Instrument, das gegen die Klimakrise ausgehandelt wurde. Und wir können unser demokratisches Selbstverständnis an den Nagel hängen, wenn wir nicht in der Lage sind, diesen Kompromiss, der global und rechtlich bindend verabschiedet wurde, einzuhalten.

Luisa Neubauer (2.v.l) und Greta Thunberg (3.v.r) während der Räumung im von Klimaaktivisten besetzten Braunkohleort Lützerath im Januar 2023

Luisa Neubauer (2.v.l) und Greta Thunberg (3.v.r) während der Räumung im von Klimaaktivisten besetzten Braunkohleort Lützerath im Januar 2023

In den Sektoren Verkehr und Gebäude verfehlt die Bundesregierung bereits die Klimaziele.

Und gerade jetzt setzt sich in der Bundesregierung der Trend durch, ununterbrochen neue Kompromisse vorzulegen, die hinter die 1,5-Grad-Grenze zurückfallen. Aktuelle Berechnungen zeigen, dass wir in Deutschland auf einem 4,4-Grad-Pfad sind. Denjenigen, die das kritisieren, wird vorgeworfen, nicht genug kompromissbereit zu sein – obwohl es den entscheidenden, globalen Kompromiss längst gibt. Kein Land wird das Klima alleine schützen können, aber alle müssen ihren gerechten Anteil erledigen.

Sind die Grünen zu einer Kompromisspartei geworden, die ihre Ideale nicht mehr richtig vertritt?

Das ist doch eine lächerliche Zuschreibung. Man nimmt die größte aller Krisen und degradiert diese zum Privatproblem der Grünen. Natürlich müssen wir auf die Grünen schauen und uns fragen: Wie konnte es dazu kommen? Was steckt dahinter? Aber es verspielen ja auch alle anderen Parteien ihr Potenzial, indem sie zulassen, dass man unsere Lebensgrundlage als Verhandlungsmasse in den Raum stellt. Und in unserer Demokratie muss man sich am Ende des Tages fragen, warum Olaf Scholz den Klimaschutz nicht zur Chefsache macht.

Die Koalition schafft die Sektorziele ab – nicht mehr die einzelnen Ministerien müssen die Klimaziele erreichen, sondern die Regierung nur noch insgesamt und das auch noch mit Ausnahmen. Ist Klimapolitik in diesem Dreierbündnis nicht zu machen?

Klimaschutz muss in diesem Dreierbündnis zu machen sein. Das ist die Realität, in der wir uns bewegen. Wir haben keine einzige Legislaturperiode mehr Zeit zu verschwenden. Das Zeitfenster, in dem noch eingegriffen werden kann, schließt sich in gewaltigen Schritten. Deutschland hat eine Vorreiterrolle. Das heißt, wir müssen ins Handeln kommen. Jetzt ist die große Frage: Wie?

Okay: Wie?

Jede Regierungspartei müsste ihren eigenen, individuellen Antrieb für radikalen und schnellen Klimaschutz finden. Dann könnte das Abarbeiten an den Grünen aufhören und das gegenseitige Blockieren beendet werden. Sobald jede Partei mit echtem und wirksamem Klimaschutz etwas für sich zu gewinnen hat, verändert sich die politische Rechnung. Die Klimakrise stellt die größte Gefahr für unsere Freiheiten dar – Klimaschutz ist Freiheitsschutz, könnte die FDP erklären. Klimaschutz wird neue Jobs schaffen und die wiederum sollten allen Menschen offenstehen und Wohlstand gleichmäßig verteilen, das wäre etwa eine sozialdemokratische Motivation. Dazu wäre die Opposition gefragt, die Regierung ökologisch anzutreiben. Dazu kommt aber noch etwas.

Was denn?

In der kurzen Zeit, die bleibt, reicht es nicht, die Verantwortung einseitig in der Politik zu suchen, auch wir als Zivilgesellschaft und die Wirtschaft sind gefragt. Gerade wenn die Regierung absehbar zu langsam agiert, muss das Tempo an anderen Orten gemacht werden – und wo möglich, müssen Fakten geschaffen werden.

Sind die Ergebnisse des Koalitionsausschusses ein ähnlicher Einschnitt in die grüne Klimapolitik wie Lützerath?

Es ist weitaus dramatischer. Man muss fast befürchten: eine Kehrtwende. Seit es 2019 ein Klimaschutzgesetz gibt – durch den Druck von Fridays for Future –, hat es unterm Strich eine stetige Verbesserung und Beschleunigung der Klimapolitik gegeben. Das wurde mit diesem Koalitionsausschuss erstmals gestoppt. Jetzt erleben wir, dass die Regierung am Höhepunkt der Eskalation der Klimakrise entscheidet, Kernelemente aus dem wichtigsten Klimaschutzgesetz Deutschlands aufzugeben.

Trotz des Kohledeals der Grünen mit RWE und der Entscheidung gegen Lützerath haben Sie damals einen Parteiaustritt ausgeschlossen. Hat sich an dieser Einstellung etwas geändert?

Nein.

Hat sich die Harmonie zwischen Klimabewegung und Grünen verändert?

Es ist ein kompliziertes Verhältnis, das wird es auch immer bleiben, schätze ich.

Gleichzeitig ist es die Partei, die Ihrer Bewegung am nächsten steht.

Es ist die Partei, bei der wir nicht darum kämpfen müssen, dass ökologische Realitäten in ihren Grundsätzen anerkannt werden. Haben Sie schon mal versucht, mit Christian Lindner über die Erkenntnisse vom Weltklimarat zu sprechen?

Nein. Sie?

Das ist sehr aufwendig.

Auch wenn es schon immer kompliziert war: Haben Sie das Gefühl, dass sich die Klimabewegung und die Grünen entfremdet haben?

Wenn etwas dem klimapolitischen Fortschritt im Weg steht, dann ist es der ewige Druck der nächsten Wahl, von der man annimmt, Klimaschutzmaßnahmen würden Prozente kosten. In den letzten Tagen wurde deutlich, wie gering die Bereitschaft ist, sich von dieser antiökologischen Auslegung von Machterhalt freizumachen. Genau deshalb braucht es eine Zivilgesellschaft und eine Klimabewegung, die ohne den Druck einer Wiederwahl unpopuläre Wahrheiten aussprechen kann. Momentan bekommen wir zu spüren, dass Teile der Grünen auch ein Oder zwischen echtem Klimaschutz und Machterhalt sehen. Das rückt natürlich auseinander.

Ist dieses Auseinanderrücken am Ende vielleicht schädlich für beide Seiten? Für die Akzeptanz der Klimabewegung und den Erfolg der Partei?

Akzeptanz von wessen Seite?

Vonseiten der Menschen.

Das Ziel von uns als Klimabewegung ist es doch nicht, uns blind beliebt zu machen. Das unterscheidet uns von Parteien. Es geht um die Sache. Und da probieren wir, strategisch zu handeln. Soweit ich das überblicke, sind wir in der Gesellschaft deswegen akzeptiert, weil wir anschlussfähig sind, weil wir uns an die Wissenschaft halten und lösungsorientiert sind. Aber eben auch, weil wir nicht um den heißen Brei herumreden aus Angst, jemandem könne das missfallen. Wir probieren, so wenig dogmatisch wie möglich an die Sache heranzugehen. Ob uns das immer gelingt, sei mal dahingestellt.

Und vonseiten der Politik?

Die Politik muss ihre eigene Motivation finden, Klimaziele einzuhalten – unabhängig von der Klimabewegung. Ein Problem ist dabei allerdings auch, dass es momentan keine ökologische Opposition im Parlament gibt. Aber vielleicht erlebt Friedrich Merz ja noch mal seinen ökologischen Frühling.

Halten Sie das für möglich?

Der Opportunismus der CDU ist in dieser Hinsicht ja sehr praktisch – das meine ich ganz zugewandt. Das ist der Unterschied zur FDP, bei der wir gerade merken, wie dogmatisch sie sein kann. Da sind sich viele nicht zu schade, wichtige liberale Dynamiken, die wir dringend brauchen, für emotionale E-Fuels-Ideologien aus dem Fenster zu werfen. Aber bei der CDU sehe ich allein aus einer Machtkalkulation heraus großes Potenzial der Ökologie gegenüber.

Glauben Sie, eine schwarz-grüne Bundesregierung würde bessere Ergebnisse beim Klimaschutz erzielen?

Diese Frage stellt sich für den Moment nicht. Die Ampel regiert nun mal. Neuwahlen wird es absehbar nicht geben. Es reicht nicht, Däumchen zu drehen und uns über die Ampel aufzuregen. Es muss von allen Seiten losgelegt werden, um zu kompensieren, was die Ampel hier gerade reißt. Wir sind an einem Menschheitsmoment und müssen alle eine Runde erwachsen werden.

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