Afghanische Dolmetscher in KölnDie zweite Hölle

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Die afghanischen Übersetzer Abdul Ahad Samim (links) und Mohammad Daoud Maqsudi fühlen sich von der Bundeswehr im Stich gelassen.

Die afghanischen Übersetzer Abdul Ahad Samim (links) und Mohammad Daoud Maqsudi fühlen sich von der Bundeswehr im Stich gelassen.

Köln – Einen Satz können die beiden afghanischen Männer in akzentfreiem Deutsch sagen: „Das ist nicht mein Problem.“ Diesen Satz haben sie schon so oft gehört, seit sie nach Köln gekommen sind. Mohammad Daoud Maqsudi und Abdul Ahad Samim haben seitdem eine Odyssee durch Kölner Ämter hinter sich, kämpfen täglich mit der deutschen Bürokratie. Dabei haben sie Deutschland jahrelang auf gefährlichem Terrain geholfen – als Dolmetscher für die Bundeswehr in Afghanistan.

Hier aber werden sie behandelt wie lästige Bittsteller. Gerade erst war Maqsudi wieder im Jobcenter. Freundlich fragte er den Sachbearbeiter, ob er Englisch spreche. „Natürlich kann ich Englisch. Aber wenn Sie etwas von uns wollen, sprechen Sie gefälligst Deutsch oder kommen Sie mit einem Übersetzer.“ Den könne Maqsudi sich nicht leisten. „Das ist nicht mein Problem“, entgegnete der Sachbearbeiter.

Maqsudi und Samim sind selbst Übersetzer. Sie sind keine Flüchtlinge, keine Asylbewerber, sondern haben das Recht, sich in Deutschland niederzulassen. Jahrelang haben die beiden für die Bundeswehr im Kriegsgebiet in Afghanistan aus dem Persischen ins Englische übersetzt. Sie haben ihr Leben riskiert, sind in Gefechte geraten und haben die Soldaten immer wieder vor tödlichen Fallen gewarnt. „Wir waren Augen und Stimme der Deutschen“, sagt Maqsudi. Und so wurden sie zu Feinden der Taliban.

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Maqsudi bekommt das spätestens zu spüren, als seine Tarnung als Taxifahrer auffliegt. Er überlebt die Schüsse auf sein Auto unverletzt und erhält ein Visum, um nach Deutschland auszureisen. „Endlich Frieden, jetzt wird alles gut“, denkt er. Doch mit dem Frieden kommt die Einsamkeit.

Niemand kümmert sich um die Familie

Rund 6000 afghanische Ortshelfer haben die Bundeswehr bei ihrem Einsatz unterstützt. Laut Bundesinnenministerium sind bisher 126 von ihnen mit insgesamt 275 Familienangehörigen nach Deutschland eingereist. Sie sind weder Flüchtlinge noch Asylbewerber. Für sie gilt ein eigens geschaffener Rechtsstatus. Dieser umfasst unbegrenztes Aufenthaltsrecht und eine Arbeitserlaubnis. (kst)

Im Januar landet der 33-Jährige mit seiner schwangeren Frau und drei Kindern in Köln. Sie werden in ein Godorfer Hotel gebracht. Dort teilen sie sich zehn Quadratmeter und zwei Betten. Über Wochen kümmert sich niemand um die Familie. Sie haben keine Ansprechpartner, wissen nichts von Beratungsstellen oder Sozialdiensten. Die Familie hat nicht genug zu essen, die Ersparnisse sind aufgebraucht. „Wir haben alles verkauft, um die Flüge nach Deutschland zu bezahlen.“ 2700 Euro hat die Reise in den Frieden gekostet.

Erst durch den privaten Kontakt zu einem Deutsch-Afghanen, der in Bonn lebt und als Übersetzer für das Bundessprachenamt in Afghanistan gearbeitet hat, bessert sich die Situation. Er leiht der Familie 1000 Euro, begleitet Maqsudi zur Ausländerbehörde, stellt den Kontakt zu einem Sozialarbeiter der Bundeswehr her. Von nun an geht es bergauf, wird auch die mittlerweile hochschwangere Frau endlich medizinisch versorgt.

Als Abdul Ahad Samim mit seiner Frau und der zweijährigen Tochter am Kölner Flughafen ankommt, wartet dort niemand, um die Familie abzuholen. Es vergehen Stunden, dann wendet sich Samim in seiner Not an einen Polizisten. Der ruft verschiedene Behörden an – ohne Ergebnis. Verzweifelt wählt Samim die Nummer eines afghanischen Bekannten, die er im Handy gespeichert hat. Wieder ist es ein privater Helfer, der sich der Familie annimmt, wochenlang seine Zwei-Zimmer-Wohnung teilt. Auf Dauer keine Lösung für sieben Menschen. Auf mehreren Ämtern wird Samim abgewiesen, weil Geburts- und Heiratsurkunden nur auf Englisch vorliegen. Als er bei der Sparkasse ein Konto eröffnen will, wird er für einen Terroristen gehalten – „dann haben die Mitarbeiter festgestellt, dass sie den Namen verwechselt haben“, sagt der 24-Jährige.

Samim ruft seinen Dolmetscher-Kollegen Maqsudi an, die beiden kennen sich aus Afghanistan. „Das ist nicht Deutschland, sondern die Hölle“, sagt Samim, der eigentlich schon in Afghanistan die Hölle erlebt hat. Er saß am 25. Mai 2011 neben Hauptmann Markus Matthes, als ihr Fahrzeug in eine Sprengfalle geriet. „Es gab einen Knall, und plötzlich bestand der Hauptmann nur noch aus lauter Einzelteilen“, sagt Samim mit ruhiger Stimme. Er selbst wurde schwer verletzt, hat noch immer winzige Steinsplitter im linken Auge.

Ihr größter Wunsch ist arbeiten zu dürfen

Doch schlimmer als die körperlichen Schäden wiegen die psychischen. „Oft habe ich das Gefühl, jemand schlägt mit einem Hammer auf meinen Kopf ein“, sagt Samim. Er schläft schlecht, zuckt bei lauten Geräuschen zusammen, kann sich schwer konzentrieren. Psychologische Hilfe erhält er bis heute nicht. Ansonsten sei er „ganz zufrieden“. Weil er und seine Familie in Sicherheit sind. Er hatte mehr Glück als sein Freund, der auf Samims Handybildschirm in die Kamera lächelt. Samim klickt weiter – das nächste Bild zeigt den 25-Jährigen gefesselt und erdrosselt im Kofferraum seines Autos. Die Mörder waren schneller als die Zusage für die Ausreise nach Deutschland.

Inzwischen wohnt auch Samim im Godorfer Hotel, in dem Flüchtlinge untergebracht sind. Die Familien werden finanziell vom Jobcenter und vom Sozialamt unterstützt. Verantwortlich fühlt sich niemand dafür, dass Maqsudi und Samim in den ersten Wochen sich selbst überlassen waren. Nicht die Bundeswehr, sondern das Bundesinnenministerium sei für die ehemaligen Helfer zuständig, sobald diese in Deutschland eintreffen, wie Thomas Kolatzki, Presseoffizier bei der Bundeswehr, mitteilt. „Die Unterbringung und Betreuung im Inland fällt jedoch in die Zuständigkeit der Länder“, heißt es wiederum vom Bundesinnenministerium. Erste Ansprechpartner vor Ort seien die Ausländerbehörden; die Mitarbeiter würden die Afghanen auch am Flughafen abholen – vorausgesetzt, die teilten vorher ihre Flugzeiten mit. Und auf einem Informationsblatt erhielten sie vor ihrer Ausreise Ansprechpartner und Beratungsstellen. Mit anderen Worten: Maqsudi und Samim selbst sind Schuld an ihrer Lage. Dem Innenministerium zufolge handele es sich dabei ohnehin um „Einzelfälle“.

Am meisten wünschen sich die beiden Männer, arbeiten zu dürfen. Sie fühlen sich nutzlos, möchten sich ablenken von den Schrecken der Vergangenheit. „Wir wollen aktive Mitglieder der Gesellschaft sein.“ Das Problem ist, dass sie keine offiziellen Zeugnisse oder Dokumente über Ausbildungen aus Afghanistan besitzen. „Wir waren jahrelang für die Bundeswehr als Übersetzer im Einsatz. Hier können wir allenfalls als Putzkräfte arbeiten“, sagt Samim.

Zumindest Maqsudi wird im Juni mit seiner Familie in eine Wohnung in Weiden ziehen. Außerdem hat er inzwischen eine Aufenthaltserlaubnis – befristet für drei Jahre. „Und was ist danach?“, fragt der Familienvater verzweifelt. „Wir mussten unsere Heimat, unsere Freunde und Familien zurücklassen. Wir werden nie wieder afghanischen Boden betreten können.“ Dennoch: „Wir sind glücklich, dass wir leben.“ In ihrem neuen Leben angekommen sind sie noch nicht.

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