Im großen Abschiedsinterview spricht OB Henriette Reker über ihre Erfolge, ihre Fehler – und warum sie im Gewerbegebiet Rodenkirchen Auto fährt.
„Wirklich unangenehm“Als Kölns OB Reker die Kanzlerin zwei Mal warten ließ

Henriette Reker im Abschiedsinterview.
Copyright: Arton Krasniqi
Wie hört sich das für sie an: Henriette Reker ist demnächst Rentnerin?
Da ich auch künftig viele Verpflichtungen und einen gut gefüllten Kalender haben werde, empfinde ich es nicht so. Den 31. Oktober, meinen letzten Tag im Amt, werde ich wie jedes Jahr auf Fuerteventura erleben. Und am 1. November reise ich dann wieder nach Köln, werde den neuen Oberbürgermeister treffen und muss dann den Koffer auspacken und waschen.
Ich möchte meinem Nachfolger nicht ungefragt Ratschläge erteilen
Was kommt danach für Sie?
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Weiterhin ein strammes Programm. Ich habe jetzt schon viele anspruchsvolle Termine, aber ich werde selbstbestimmter sein als heute. Unter anderem werde ich mit großer Freude Vorträge halten. Ich lasse gerade prüfen, wie lange die Abkühlphase bei der Übernahme neuer Ämter ist.
Wo fängt man als OB an, dem Nachfolger ungefragt reinzureden und wo denkt man, ich halte lieber mal den Mund?
Ich möchte meinem Nachfolger nicht ungefragt Ratschläge erteilen, das hat mein Vorgänger Jürgen Roters auch nicht gemacht. Das will ich ebenfalls so halten. Aber wenn ich beispielsweise als Vorsitzende des Fördervereins der Romanischen Kirchen den Finger in die Wunde lege, dann ist das ja etwas anderes. In diesem Fall habe ich eine andere Rolle und kann sagen, was ich von der Stadt erwarte.
Gibt es Sätze, die Sie heute anders sagen würden? Oder bei denen Sie sich falsch verstanden fühlten?
Ja, etwa bei dem Satz, dass die Mitarbeitenden der Stadt sich nur ihr Schmerzensgeld abholen würden. Das wurde von vielen anders verstanden, als ich es meinte. Ich habe inzwischen gelernt, dass ich mich so ausdrücken muss, dass es vielleicht juristisch nicht perfekt ist, ich aber dafür verstanden werde. Und zwar, dass ich so verstanden werde, wie ich es auch meine.
Was ist mit dem berühmtesten Ihrer Sätze, der Armlänge Abstand, würden Sie das auch nennen?
Ja. Das würde ich nicht mehr aus einer städtischen Broschüre zitieren, das würde ich überhaupt nicht mehr sagen. Weil das so verstanden wurde, als wäre den Frauen nichts passiert, wenn sie eine Armlänge Abstand gehalten hätten. So war es nicht gemeint.
Wir sind in einem Bilanzgespräch: Was wäre denn etwas, wo Sie sagen, das habe ich falsch gemacht?
Aus heutiger Sicht würde ich den Vorschlag machen, die Sanierung der Bühnen nicht fortzusetzen. Nach meinem Amtsantritt habe ich prüfen lassen, wieviel Geld schon ausgegeben worden war: 277 Millionen Euro brutto. Angesichts dieser großen Summe habe ich mich damals einfach nicht getraut vorzuschlagen, die Sanierung zu stoppen.
Würden Sie rückblickend sagen, Sie hätten das damals machen sollen?
Heute würde ich das machen, ja. Aber diese 277 Millionen Euro sind viel Steuergeld, das verloren gewesen wäre.
Die Sanierung ist nicht in Ihrer zehnjährigen Amtszeit fertig geworden.
Für mich war zuletzt wichtig, dass die Bühnen dieses Jahr fertig gebaut sind. Das wird so sein und der Spielbetrieb am 24. September 2026 am Offenbachplatz starten. Ich hätte die Häuser gerne in meiner Amtszeit eröffnet, aber es geht nicht um mich. Es geht um das teuerste Projekt in Köln. Es hat die Kölner am meisten Nerven gekostet und am meisten aufgeregt. Aber es sind nicht nur die Bühnen am Offenbachplatz. Es sind auch die KVB, der Zustand der Stadt, die Gesamtsituation. Die Leute sind sowieso überwiegend frustriert in ihrer ganzen Lebenssituation.

Abschiedsinterview mit Henriette Reker vor dem Ende ihrer Amtszeit.
Copyright: Arton Krasniqi
Können Sie das verstehen?
Ja klar kann ich das verstehen. Weil wir in Deutschland in einer Veränderungssituation und die Menschen verunsichert sind. Sie erleben, dass überall das Geld knapp ist und Vieles in unserem Land nicht mehr funktioniert. Wenn die Menschen feststellen, dass Rolltreppen defekt sind, Züge ständig ausfallen und öffentliches Eigentum verlottert, verlieren sie das Vertrauen in die Leistungsfähigkeit des Staates. Aber wir haben in Köln auch viel erreicht.
Was denn?
Ich denke beispielsweise an Ring frei, die neuen Radspuren auf den Ringen. Oder die Wirtschaftsförderungs-Gesellschaft, die vor allem während der Corona-Pandemie wichtig war. Oder das Zukunftsmodell der Kliniken in Merheim – trotz aller politischen Probleme. Andernfalls hätte man die städtischen Kliniken möglicherweise privatisieren müssen, um sie leistungsfähig zu halten. Dazu fast der Haushalts-Ausgleich. Meine Motivation vor zehn Jahren war ja auch, dass vieles nicht so bleiben kann, wie es ist.
Ist es so geworden, wie Sie es sich gewünscht haben?
Nein, aber ich habe viel auf den Weg gebracht.
Trotzdem: Die Oper ist nicht fertig, Sie haben die KVB angesprochen, dazu etwa der Ebertplatz. Es ist auch einiges liegen geblieben. Fühlen Sie sich ein Stück weit gescheitert?
Überhaupt nicht. Ich konnte viel umsetzen, aber auch eine Oberbürgermeisterin kann nicht jedes Problem lösen. So gehört beispielsweise die KVB zu den Stadtwerken, die Verwaltung hat hier keinen unmittelbaren Einfluss.

Nicht fertig geworden in Rekers Amtszeit: Die Bühnen-Baustelle.
Copyright: Arton Krasniqi
Köln steckt in einer schlimmen Finanzkrise, macht voraussichtlich eine halbe Milliarde Euro Verlust in diesem Jahr.
Ich habe vor zwei Jahren im Rat gesagt: Wir werden uns in Zukunft nicht mehr alles leisten können. Da wurde ich ausgepfiffen und ausgebuht. Die finanzielle Situation ist schrecklich. Und wir können wirklich froh sein, dass wir so eine gute Kämmerin haben, die etwas von ihrem Geschäft versteht.
400 Millionen Miese kann aber auch Dörte Diemert nicht wegzaubern.
Leider ist die finanzielle Situation noch dramatischer. Der kommende Rat muss mutige Entscheidungen treffen, die auch unangenehm für die Menschen sein werden. Es wird auch unangenehm sein, solche Entscheidungen zu treffen. Es ist immer schöner, wenn Politik Wohltaten verteilen kann.

Das Museum für Angewandte Kunst ist ein Sanierungsfall.
Copyright: Dirk Borm
Was wären denn mutige Entscheidungen?
Den Grundsteuerhebesatz zu erhöhen. Das ist nicht schön, ich weiß. Aber die Erhöhung würde die Allerschwächsten nicht treffen, weil sie Hilfe bei der Miete bekommen. Für viele andere ist der Anstieg überschaubar. Und ich wünsche der Stadt nicht, dass sie mal in die Haushaltssicherung kommt, aber ich halte es leider nicht für unwahrscheinlich.
Und die Steuererhöhung ging bislang nicht, weil unter anderem die CDU sie ablehnt?
Dafür gab es keine Mehrheit, ja. Das ist das knifflige, das wird ja auch das große Problem des nächsten OB und Rates sein: Man braucht eine Mehrheit. Wir haben als Verwaltung beispielsweise eine neue Schule und ihre Schulform vorgeschlagen, doch der Rat änderte und änderte. Am Ende konnten wir manchmal froh sein, dass der Bau überhaupt beschlossen wurde. Aber der von mir angekurbelte Schulbau ist eine Erfolgsgeschichte.
Die viel, viel Geld kostet.
Ja. Aber das ist eine gesetzliche Aufgabe, die wir erfüllen müssen. Ich finde alles Museale ganz großartig, aber ins Museum muss man nicht gehen, in die Schule schon.

Henriette Reker als sie am 27. September 2020 zur OB wiedergewählt worden ist.
Copyright: Thomas Banneyer
Gibt es eigentlich eine Übergabe an Ihrem letzten Arbeitstag? Machen Sie einen Zettel und legen den auf den Schreibtisch?
Also ich werde Herrn Burmester einen Brief schreiben, das ist klar. Und dann haben wir bereits vereinbart, Gespräche zu führen.
Steht in der Übergabe auch: Stell dir das nicht so leicht vor, wie ich es mir vielleicht 2015 vorgestellt habe, dass ich bestimmte Ewigkeitsprobleme alleine lösen kann?
Das habe ich mir auch 2015 nicht vorgestellt. Ich war als Sozialdezernentin Teil des Verwaltungsvorstands und wusste beispielsweise, dass die Gebäudewirtschaft zu wenig Schulen baut. Ich kannte viele Probleme der Stadt schon sehr genau. Deshalb habe ich mir nicht vorgestellt, dass ich das alles wie mit dem Zauberstab lösen kann.
Sind die Bürgerinnen und Bürger zu ungeduldig aus Ihrer Sicht?
Ich glaube nicht, dass sie zu ungeduldig sind. Sie sind zu Recht ungeduldig. Alles dauert viel zu lange.
Das heißt, Sie verstehen auch den Unmut, der sich dann wie zuletzt in Umfragen auf Ihre Person kapriziert?
Auf wen sollen sie sich denn sonst kaprizieren? Als Bundespolitiker wäre man froh, wenn man 28 Prozent bekäme.
Wie haben Sie sich denn menschlich in den zehn Jahren verändert? Macht das was mit einem, OB zu sein?
Ich glaube, ja. Ich bin nicht netter geworden. Mein Mann sagt immer, eigentlich sei ich lieb.

Henriette Reker legt 2015 im Ratssaal den Amtseid ab. Bei ihr steht Bürgermeisterin Elfi Scho-Antwerpes.
Copyright: Max Grönert
Aber Sie sind härter geworden?
Ich bin härter geworden.
Wo merken Sie das?
Ich bin auch konfliktbereiter geworden und gehe in verbale Auseinandersetzungen. Und ich habe mich als Mensch verändert. Ich kann nicht mehr kochen und ich fahre noch nicht gut Auto, weil ich über so viele Jahre einen Fahrer hatte.
Wie kann man das denn wieder ändern?
Ich habe mir ein kleines Auto gekauft und bin mit meinem Mann viele Stunden im Gewerbegebiet Rodenkirchen hin und her gefahren und habe einparken geübt. Aber ich würde immer noch keine weiten Strecken fahren mit dem Auto.
Also Sie können nicht mehr kochen und kaum noch Autofahren. Bereuen Sie, OB geworden zu sein?
Nein, ich bereue es überhaupt nicht. Es ist ein riesiges Privileg, Oberbürgermeisterin der eigenen Heimatstadt zu sein und sich den ganzen Tag mit ihr zu beschäftigen.
Gab es unangenehme Situationen in den zwei Amtszeiten? Wir würden bei der Frage bewusst das Attentat ausklammern.
Ja. Ich bin zwei Mal zu spät zur Bundeskanzlerin ins Kanzleramt gekommen. Das war wirklich unangenehm, weil ich eigentlich pünktlich bin – aber ausgerechnet da kam ich zu spät. Beim ersten Mal hakte es bei der Terminvereinbarung, beim zweiten Mal hatten wir in Berlin den Weg vom Messegelände nicht rechtzeitig gefunden.

Im Hansesaal der Stadt Köln spricht Oberbürgermeisterin Henriette Reker (links) 2019 mit Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Merkel trug sich in das Goldene Buch der Stadt ein.
Copyright: Arton Krasniqi
Und in welchen Situationen noch?
Als die Polizei nach einer Morddrohung das Rathaus räumte. Ich habe vor Morddrohungen keine Angst, aber der Anblick der voll ausgestatteten Polizisten hat mich beängstigt. Und zu den Morddrohungen: Ich habe irgendwann aufgehört, sie zu zählen. Auch die Umstände der Moschee-Eröffnung waren nicht schön. Ich musste den türkischen Präsidenten Erdogan am Flughafen abholen, ich hatte ihm ja gerade die Party verdorben, weil ich bei der Eröffnung nicht sprechen wollte. Ich hätte dort ja nicht sagen dürfen, was ich wollte. Das war einer meiner unangenehmsten Tage in Köln.
Gibt es denn auch Momente, in denen Sie gemerkt haben, Sie sind jetzt als Frau in diesem Amt und müssen sich behaupten?
Bei einer Sitzung einer städtischen Beteiligungsgesellschaft gab es mal einen unangenehmen Moment. Man wollte mir vermitteln, ich könne mich zugunsten eines Mannes ja wohl auch mit weniger Geld zufriedengeben – obwohl es eine eindeutige Regelung gab.