Flüchtlinge in KölnMassenunterkunft an Herkulesstraße

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Der Container auf dem Parkplatz der alten Kfz-Zulassungsstelle an der Herkulesstraße. Das Haus wird für weitere Flüchtlinge umgebaut.

Der Container auf dem Parkplatz der alten Kfz-Zulassungsstelle an der Herkulesstraße. Das Haus wird für weitere Flüchtlinge umgebaut.

Neuehrenfeld – Es ist gerade ein paar Tage her, dass die Stadt viel Kritik wegen ihres Umgangs mit Flüchtlingen hinnehmen musste. Der Ausbau der zweiten Etagen des ehemaligen Verwaltungsgebäudes an der Herkulesstraße in Neuehrenfeld wurde von vielen als „Rückkehr zur Massenunterkunft“ bezeichnet. Oberbürgermeister und Sozialdezernentin hätten zu viel Zeit verstreichen lassen, um nach Alternativen zu suchen.

Wie die Stadt nun einräumen muss, ist mit dem beschlossenen Ausbau der Erstaufnahme-Einrichtung längst noch nicht Schluss: Nun soll auch noch die dritte Etage für die Flüchtlingsunterbringung hergerichtet werden. Auf dem ehemaligen Parkplatz des Gebäudetrakts werden zudem weitere Wohncontainer für 180 Personen aufgebaut. Damit würden schließlich weit über 400 Flüchtlinge an einem Ort leben müssen.

Kontingentflüchtlinge sind Menschen, die in einer festgelegten Anzahl durch das Bundesinnenministerium aufgenommen werden. Zu ihnen gehören zum Beispiel 5000 Syrer, die vor dem Bürgerkrieg flüchten. Sie werden nach dem Königsteiner Schlüssel auf die Bundesländer verteilt. NRW nimmt demnach rund 1000 von ihnen auf, von denen 60 auf die Stadt Köln entfallen. Die Kontingentflüchtlinge durchlaufen kein Asylverfahren und erhalten sofort eine Arbeitserlaubnis. Zugewiesene Flüchtlinge sind Menschen, denen eine Asylberechtigung oder eine Flüchtlingseigenschaft zugesprochen wird und die vom Land ebenfalls nach dem Königsteiner Schlüssel an die Städte verteilt werden. Unerlaubt eingereiste Flüchtlinge sind Menschen, die sich ohne eine Aufenthaltsgenehmigung und ohne eine Asylberechtigung oder Flüchtlingseigenschaft in Deutschland aufhalten. Auch sie werden von den Ländern verteilt.

Alles zum Thema Jochen Ott

Der Flüchtlingsrat sprach von einer „fatalen Entwicklung“, die Linke von einer „Katastrophe“. „Unter der rot-grünen Ratsmehrheit entstehen Verhältnisse, wie zur Zeit der schwarz-gelben Ausgrenzungspolitik in der Verantwortung von Herrn Dr. Bietmann.“ Der CDU-Fraktionschef Rolf Bietmann war bis 2003 der mächtigste Mann im Stadtrat. Als 2001 in Kalk ein Container-Dorf für Flüchtlinge eingerichtet worden war, brauste ein Sturm der Entrüstung durch die Stadt.

Die heute regierenden Parteien SPD und Grüne warfen zusammen mit vielen Hilfsorganisationen der Ratsmehrheit von CDU und FDP sowie der Stadtverwaltung vor, Flüchtlinge „menschenunwürdig“ zu behandeln. SPD-Parteichef Jochen Ott kritisierte die zentrale Unterbringung von Hunderten Flüchtlingen. Das Container-Dorf, in dem zeitweise 300 Menschen lebten, wurde zum Symbol einer fehlgeleiteten Flüchtlingspolitik.

Überrascht über Zustände

Die Kritik zeigte Wirkung: Die Vertreter der damaligen politischen Mehrheit fühlten sich zum Ortstermin gezwungen und äußerten sich überrascht über das, was sie mitzuverantworten hatten. Bietmann kündigte eine Wende in der Flüchtlingspolitik an. „Wir haben gelernt“, gab ein FDP-Sozialpolitiker gar zu Protokoll.

Parteien und Hilfsorganisationen einigten sich auf gemeinsame Leitlinien für den Umgang mit Flüchtlingen, die 2004 beschlossen wurden. Darin heißt es, dass in einem Wohnheim nicht mehr als 80 Menschen untergebracht werden sollen. Außerdem sollte niemand länger als drei Monate in einer Erstaufnahme-Einrichtung leben müssen. „Die Stadt verstößt gegen ihre Leitlinien“, so der Flüchtlingsrat. Schlimmer noch: Es gebe kein mittel- oder langfristiges Konzept, wie sie zu ihren Grundsätzen zurückfinden wolle.

In Köln leben nach aktuellen Angaben der Stadt 2463 Flüchtlinge. 1736 sind in Wohnheimen, 580 in Hotels und 150 in Erstaufnahmeeinrichtungen untergebracht. Damit sind sämtliche Kapazitäten erschöpft. Die Stadt verweigert nach wie vor eine Angabe dazu, wie viele Flüchtlinge in den nächsten Wochen und Monaten voraussichtlich hinzukommen werden. Es wird lediglich bestätigt, dass ihre Zahl weiter deutlich ansteigen wird.

Die Flüchtlinge stammen vor allem aus der politisch instabilen Kaukasus-Region in der Russischen Föderation, Georgien und Armenien. Die zweitgrößte Gruppe stammt aus Syrien und dem nordafrikanischen Maghreb (Lybien, Algerien, Tunesien, Marokko und Mauretanien). Erst danach kommen Flüchtlinge aus dem Kosovo, Mazedonien und Serbien sowie aus Afghanistan, Iran und Irak. Zuwanderer aus Bulgarien und Rumänien zählen nicht als Flüchtlinge, da sie EU-Bürger sind.

Stadtweit existieren derzeit 29 zum Teil marode Wohnheime sowie zwei Erstaufnahmeeinrichtungen an der Herkulesstraße und an der Vorgebirgsstraße. Außerdem gibt es elf einfache Hotels, in denen Flüchtlinge leben. Alle weiteren Flüchtlinge, die das Land NRW der Stadt aktuell zuweist, müssen in Wohncontainern untergebracht werden, die vor allem auf dem Gelände der ehemaligen Kfz-Zulassungsstelle an der Herkulesstraße aufgestellt sind.

Die Stadt prüft laut Wohnungsamtsleiter Stefan Ferber derzeit einige Grundstücke auf ihre Eignung, um dort neue Flüchtlingswohnheime zu bauen. Die genaue Anzahl und die Standorte will die Verwaltung derzeit nicht bekannt geben. Ob zusätzlich zu den an der Herkulesstraße vorhandenen Containern weitere aufgestellt werden, bleibt ebenfalls unklar. Die Stadt drückt sich vor einer klare Aussage und teilt mit, dass man weitere Wohncontainer „nicht ausschließen“ könne. Laut Ferber überlege die Verwaltung zudem, ein bestehendes Gewerbegebäude umzubauen, um es künftig als Wohnheim zu nutzen. Zwar wurde kürzlich eine Task Force aus Vertretern der beteiligten Dezernate und Ämter einberufen, die und für „schnelle Entscheidungen“ sorgen soll. Ein klares Konzept kristallisiert sich bislang nicht heraus.

Die Stadt verstößt ganz eindeutig gegen die Leitlinien, die mit dem Runden Tisch für Flüchtlingsfragen vereinbart wurden. Demnach soll es keine Massenunterkünfte mit mehr als 80 Bewohnern geben. In der Erstaufnahmeeinrichtung an der Herkulesstraße leben schon bald mehr als 200 Menschen unter einem Dach, obwohl das Gebäude ursprünglich nur für 70 Bewohner konzipiert war. „Wir werden die Leitlinien nicht mehr einhalten können, obwohl ich mir das wünschen würde“, sagt Sozialdezernentin Henriette Reker.

Kontingentflüchtlinge sind Menschen, die in einer festgelegten Anzahl durch das Bundesinnenministerium aufgenommen werden. Zu ihnen gehören zum Beispiel 5000 Syrer, die vor dem Bürgerkrieg flüchten. Sie werden nach dem Königsteiner Schlüssel auf die Bundesländer verteilt. NRW nimmt demnach rund 1000 von ihnen auf, von denen 60 auf die Stadt Köln entfallen. Die Kontingentflüchtlinge durchlaufen kein Asylverfahren und erhalten sofort eine Arbeitserlaubnis. Zugewiesene Flüchtlinge sind Menschen, denen eine Asylberechtigung oder eine Flüchtlingseigenschaft zugesprochen wird und die vom Land ebenfalls nach dem Königsteiner Schlüssel an die Städte verteilt werden. Unerlaubt eingereiste Flüchtlinge sind Menschen, die sich ohne eine Aufenthaltsgenehmigung und ohne eine Asylberechtigung oder Flüchtlingseigenschaft in Deutschland aufhalten. Auch sie werden von den Ländern verteilt.

Die vorhandenen Kapazitäten seien „völlig erschöpft“, heißt es in einer Mitteilung der Verwaltung an die Politik. In der Herkulesstraße schliefen bereits 50 Menschen auf dem Flur. Aufgrund der aktuellen Situation in Krisengebieten rechne man mit „einem weiteren deutlichen und vor allem andauernden Anstieg der Zuzugszahlen in Deutschland“. Die Flüchtlinge werden auf die Kommunen – abhängig von ihrer Größe – verteilt. NRW muss 21,2 Prozent der Flüchtlinge aufnehmen, davon werden Köln wiederum 5,1 Prozent zugeteilt. Zur Zeit leben 2672 Flüchtlinge in Köln. Zum Vergleich: 2009 waren es 1548 Menschen, die untergebracht werden mussten. Das war der Tiefstand. 2001 zur Zeit des Kalker Containerdorfs lag die Zahl jedoch deutlich über der heutigen. Zeitweise mussten 4600 Menschen versorgt werden.

Im Umfeld der Neuehrenfelder Herkulesstraße blieb über viele Monate alles ruhig und friedlich. Von den neuen Nachbarn war wenig zu sehen, auch weil viele nur kurze Zeit in dem Haus leben mussten und weitervermittelt wurden. Nun, mit dem Anstieg der Flüchtlingszahlen, scheint sich das zu ändern. In der Nachbarschaft durchsuchen Flüchtlinge die Mülltonnen. Beim letzten Sperrmülltermin wurden nachts Möbel durchs Viertel in das Haus geschleppt. Am Dienstag vergangener Woche lag um Mitternacht eine zehnköpfige Familie mit Kindern schlafend auf der kalten Straße vor dem verschlossenen Tor der Unterkunft.

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