Kitas sind in der Dauer-Krise: Qualifizierte Fachkräfte fehlen und wichtige Maßnahmen sind unterfinanziert. In Köln und Düsseldorf wurde debattiert.
„Wir arbeiten hier nicht mit Materialien“Was die Kita-Misere in Köln verbessern würde

In NRW fehlen Tausende Kita-Plätze.
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Phillip Hinzmann sitzt im Besprechungsraum des Fröbel-Kindergartens in Kalk und versucht, die alltäglichen Probleme im Betreuungsalltag von Eltern kurz und knapp auf den Punkt zu bringen: „Für uns Familie ist es am wichtigsten, dass wir uns auf die Kita verlassen können“, sagt Hinzmann. Gesicherte Öffnungszeiten sind da das Minimum. Seine Tochter geht hier in die Kita. Sie sei schon zweimal gewechselt, sagt Hinzmann. „Wir arbeiten beide hauptberuflich“, er könne nicht dauernd von seinem Arbeitgeber erwarten, dass dieser die häufigen Abwesenheiten immer toleriere. Aber letztlich bleibe nach dem vergangenen Kita-Jahr bei ihm das Gefühl: „Die Stadt hat uns alleine gelassen.“
Hinzmann sitzt an diesem Mittwochmorgen im Fröbel-Kindergarten, weil die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft NRW, das Kita-Bündnis NRW sowie Erzieherinnen und Eltern zusammengekommen sind, um über das vergangene Kita-Jahr zu resümieren.

„Für uns Familie ist es am wichtigsten, dass wir uns auf die Kita verlassen können“, sagt Philip Hinzmann, Vater.
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Sehr oft geht es um den Fachkräftemangel, aus dem verkürzte Öffnungszeiten oder sogar zeitweise geschlossene Kitas resultieren. „Ich durfte noch lernen und Praktikantin sein. Jetzt brauchen wir alle Hände, die wir kriegen“, sagt eine Erzieherin. Sie kann wie jede Fachkraft von Überlastung berichten, überdurchschnittlich vielen Krankheitstagen in dem Berufsfeld und den Konsequenzen für alle Beteiligten. Auch von den veränderten soziale Bedingungen, die den Anspruch an die Betreuung verändern: „Mittagessen in der Kita ist die einzige warme Mahlzeit für manche Kinder.“
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Stephan Osterhage Klinger, der stellvertretende Vorsitzender der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) NRW fasst zusammen: „Die Lage in NRW hat sich in keiner Weise entspannt. Es fehlt weiterhin an gut ausgebildeten Fachkräften." Das Land versuche, den Personalmangel durch den Einsatz von Mitarbeitenden aufzufangen, die nicht die formalen pädagogischen Voraussetzungen mitbringen. „Das darf aber keine voranschreitende Deprofessionalisierung in der frühkindlichen Bildung zur Folge haben“, so Klinger.
Eine neue Personalverordnung wurde Ende 2024 eingesetzt, um die Kitabetreuung möglichst zu sichern. Sie stelle diese Sicherheit aber „deutlich über die Qualität der frühkindlichen Förderung“, kritisiert Osterhage Klinger. Fröbel-Bereichsleiter Marek Körner bestätigt: „Wir haben immer weniger Fachkräfte, die aber im Kita-Alltag mit immer höheren Anforderungen konfrontiert werden, allen voran im Bereich Sprache. Nicht ohne Grund bleibt zum Beispiel die Zahl der Kölner Kinder, die die erste Klasse wiederholen müssen, auf Rekordhoch.“ Er wünscht sich und fordert „qualifiziertes Personal, das durch multiprofessionelle Teams in Bereichen wie Musik, Bewegung oder Bildung für nachhaltige Entwicklung unterstützt und nicht ersetzt wird“.
Weitere Krisenpunkte sind Finanzierung und die Rahmenbedingungen in der Ausbildung. Die Träger müssten durch die aktuellen Tarifsteigerungen rückwirkend ab April 2025 Tausende an Mehrkosten bezahlen. Das Geld fehle für die dringend notwendige Investitionen wie etwa die Sprachförderung.
Die Experten hoben auch die hohe Abbrecherquote in der erzieherischen Fachkräfteausbildung hervor. Mit einer besseren Finanzierung der praxisintegrierten Ausbildung (PiA) ließe sich eine gute und attraktive Alternative zur klassischen schulischen Ausbildung mit Anerkennungsjahr schaffen, hieß es. Sie verknüpft über drei Jahre hinweg Theorie und Praxis und wird durchgehend vergütet. „Hierfür benötigen die Träger eine angemessene Finanzierung, damit sie die professionelle Praxisanleitung der Auszubildenden durch qualifizierte Fachkräfte bezahlen können.“ Rund 60.000 Euro kostet demnach eine PiA-Stelle aktuell, 16.000 davon würden refinanziert.
„Die Kita ist ein wichtiger Bildungsraum, in dem Kinder ihre Neugier entfalten, soziale Fähigkeiten entwickeln und grundlegende Kompetenzen erwerben. Diesen Ort müssen wir stärken und die wertvolle Arbeit der Erzieherinnen und Erzieher anerkennen. Die Landesregierung muss jetzt Farbe bekennen: Was ist ihr die frühkindliche Bildung im Land NRW Wert?“, fragte Annette Holtmann vom Kinderzentren Kunterbunt in Köln.
Zeitgleich zum Kölner Termin wurde im Düsseldorfer Landtag über die Kita-Politik der Landesregierung debattiert. Die SPD hatte eine aktuelle Stunde beantragt, nachdem die Kommunen der Landesregierung in einem Brandbrief „Untätigkeit bei der Kita-Reform“ vorgeworfen hatten.
Der Fraktionsvorsitzende der SPD, Jochen Ott, schlug vor, einen Investitions- und Ausbaufonds in Höhe von 3,5 Millionen Euro aufzulegen. Seine Fraktion nehme „die Situation der Betroffenen ernst und würde sofort handeln“, sagte der Politiker aus Köln. Marcel Hafke, Kita-Experte der Liberalen, erklärte, in NRW fehlten rund 100.000 Kitaplätze - und bis zum Jahr 2030 rund 20.000 Erzieherinnen und Erzieher. „Die Kleinsten in unserem Land haben das nicht verdient“, sagte Hafke.
Familienministerin Josefine Paul wies die Vorwürfe zurück. Die Grüne erklärte, der Fachkräftemangel und die schwierige Haushaltslage bildeten komplexe Rahmenbedingungen. Schwarz-Grün investierte in diesem Jahr 5,7 Milliarden Euro in den Kita-Bereich - und damit 500 Millionen Euro mehr als 2024. Im Etatentwurf 2026 sind aktuell 370 Millionen Euro an zusätzlichen Mitteln geplant.
Allen Hürden zum Trotz - die Fröbel-Erzieherin scheint alles andere als verzagt: Beim Treffen spricht sie auch von Teamgeist, von Herzblut, von großem Engagement, das sie jeden Tag in ihrem Umfeld erlebe. „Wir arbeiten hier nicht mit Materialien, sondern mit Menschen, mit kleinen Kindern.“ Das gebe ihr jeden Tag Motivation.