Ein Sommertag in Köln 1990Gewaltige Dom-Kulisse reizte Pavarotti

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Ausgabe aus dem Jahr 1990

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  • Was war früher los in den Kölner Sommerferien? Wir sind ins Redaktionsarchiv gestiegen, um nach schönen, verrückten, nassen, sonnigen oder lustigen Geschichten zu suchen.

Köln – Aus dem „Kölner Stadt-Anzeiger" im Jahr 1990:

Fast 9.000 Zuhörer mit bezahlten Eintrittskarten und fast ebenso viele Zaungäste erleben an diesem Sonntagabend auf dem Domplatz ein Konzert von Luciano Pavarotti.

Ein Ereignis, wie es Köln nur ganz selten zuteil wird. Vor der Kulisse des Doms in milder Abendsonne erntet der Tenor, der für viele als der beste der Welt gilt, Beifallsstürme der Zuhörer aus dem In- und Ausland. Auch der Bundespräsident zählt zu den Gästen des vom „Kölner Stadt-Anzeiger“ präsentierten Konzerts. Vielleicht haben die vielen Kerzen geholfen, die von den Veranstaltern seit Wochen in der Kirche der „Schwarzen Muttergottes“ aufgestellt worden waren. Der Regen jedenfalls, der am Morgen Köln noch heimgesucht hatte, bleibt aus.

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Pavarotti betritt verspätet die Bühne

Strahlend, mit effektvoll ausgebreiteten Armen, so als wolle er sein Publikum an seine gewichtige Brust ziehen, betritt Pavarotti mit einer Viertelstunde Verspätung das Podium. Noch bevor er eines seiner berühmten hohen Cs geschmettert hat, fliegen ihm die Herzen zu, werden ihm die ersten Ovationen gebracht. „Luciano, Luciano“, schreit eine Italienerin, und sie ist zutiefst davon überzeugt, dass der Maestro sie hört.

„Ich habe Pavarotti noch nie live gehört“, bekennt Bundespräsident Richard von Weizsäcker, der mit Sohn Robert und Schwiegertochter eine Viertelstunde vor Konzertbeginn auf der Terrasse des Domhotels eingetroffen ist. „Aber ich habe ihn in Rom bei der Fußballweltmeisterschaft kennengelernt, und damals haben wir uns beide auf den Abend in Köln gefreut.“

Dabei war die Entscheidung des Maestro, das einzige Open-Air-Konzert seiner Deutschlandtournee in Köln zu geben, keineswegs spontan gewesen. Als Philharmonie-Direktor Franz Xaver Ohnesorg bei ihm anfragte, war Pavarottis Manager skeptisch. „Nur“ 9000 Zuhörer, das erschien ihm wenig: „We don’t sing for peanuts“ („Wir singen doch nicht für Kleinigkeiten“); Pavarotti sei gewohnt, vor 20.000 (etwa in der Waldbühne Berlin) oder vor 40.000 Besuchern zu singen, wo er dann auch Einnahmen von über zwei Millionen Mark erzielt.

„In Köln verdient er sehr viel weniger als in Berlin“

Nach Köln kommt er schließlich doch, weil Ohnesorg Frau Pavarotti von der gewaltigen Kulisse des Domes vorgeschwärmt hat. Und mit der Gage, über die man sich ausschweigt, wurde man offensichtlich auch handelseinig. „In Köln verdient er sehr viel weniger als in Berlin.“

Die Musikfreunde, die zwischen 350 und 50 Mark für die Plätze zahlten, sitzen dem Weltstar allerdings viel näher als die Ehrengäste. Die genießen das Konzert mit einem Glas Champagner in der Hand und Kanapees mit gestopfter Gänseleber und Kaviar vom Balkon des Dom-Hotels aus.

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Unter den prominenten Ehrengästen auch Bundestagspräsidentin Rita Süssmuth, Wissenschaftsministerin Anke Brunn, die Ehrenbürger Kölns, Professor Ludwig und Willy Millowitsch, der italienische Botschafter Marcello Guidi, Oberbürgermeister Norbert Burger, die Bürgermeister Bietmann und Canisius, Oberstadtdirektor Ruschmeier sowie Alfred Neven DuMont, Herausgeber des „Kölner Stadt-Anzeiger“ und des „Express“.

Die gesamte Kölner Szene ist anwesend, Vertreter der Kunst, der Wirtschaft, der Rundfunkanstalten und des Karnevals. Bei einem großen Herrn rätseln die Leute eine Zeitlang: Es ist Zoo-Direktor Pedro Haubrich-Millowitsch, ein Neffe des Volksschauspielers, der aus Venezuela zur Beerdigung seiner kürzlich verstorbenen Mutter Lucy Millowitsch gekommen war und blieb, um das Konzert noch miterleben zu können.

Zaungäste kommen auf ihre Kosten

In allen umliegenden Häusern sind Fenster und Balkone zu Privatlogen verwandelt worden. Ein junger Mann hat sich dermaßen aus dem Fenster gehängt, als segelte er hart am Wind. Bis auf die unterste Plattform des Domes haben sich die Zaungäste geschlichen. Und im Gitterwerk des Doms hat Dombaumeister Wolff ein paar Mitarbeiter und studentische Hilfskräfte postiert. Aber auch Zaungäste, die sich nicht von der Botschaft hatten abschrecken lassen, der Platz sei total abgesperrt, kommen an diesem Abend auf ihre Kosten.

Die Dom-Umgebung ist überfüllt. Eine junge Frau ist nicht auf dem laufenden: „Kann ich hier durch zum Bahnhof?“ fragt sie einen der Ordner. Kann sie nicht, ebensowenig wie Tausende anderer Leute, die keine Eintrittskarte haben. Manche wollten auch gar keine: „Zu teuer“, sagt einer der Zaungäste.

Doch ein paar Töne von Luciano Pavarotti erhaschen, vielleicht sogar das eine oder andere der berühmten hohen Cs, das wollen sie alle. Und viele der Zaungäste kommen auf ihre Kosten.

Pfeifkonzert sorgt für leichte Panik

Ganz am Anfang, bei der ersten Arie des Maestro, erzwingen sich ein paar hundert Zaungäste den Durchblick durch den engen Raum zwischen Tribüne und Domhotel. Ihr Pfeifkonzert sorgt bei Polizei und Veranstaltern für leichte Panik. Zu nah waren noch die Demonstrationen in Hamburg bei der Premiere des „Phantom der Oper“. Aber hier demonstrieren nicht Chaoten, sondern Passanten, denen eine Sichtblende im Weg ist. Die Ordner reagieren sofort: Die Plane wird weggeräumt.

Auch sonst sind Einblicke, ist vor allem das Zuhören möglich, von Beton-Blumenkübeln, von Straßenschildern, von Monumenten vor dem Römisch-Germanischen Museum aus zum Beispiel. Ganz Schlaue haben sich mit Ferngläsern bewaffnet. Als „Geheimtipp“ für Zaungäste hat sich die Straße „Unter Goldschmied“ herumgesprochen, die direkt auf den Roncalliplatz führt: Hier bilden sich dichte Menschentrauben, denn bis hierhin dringt Pavarottis Stimme nahezu glasklar durch.

Einer, der sich mit der Rolle als Zaungast nicht zufriedengeben will, ist Dirk Monreal, 27-jähriger Kunstgeschichte-Student aus Bonn. Schon geraume Zeit läuft er mit einem Pappschild in der Hand umher: „Karte gesucht“ steht darauf. 100 Mark will er anlegen, ein Angebot für 200 hat er bereits abgelehnt, da ist er konsequent. Wenig später hat er Glück gehabt und für 100 Mark eine Karte bekommen. Aber auch die dänische Reiseleiterin, die das Kunstinteresse ihrer Klienten überschätzt hat, kommt auf ihre Kosten. Sie verkauft Karten im Wert von 200 Mark mit 50 Mark Aufschlag.

Hubschrauber übertönt das Konzert

Die vielleicht schönsten Stunden seines Lebens erlebt der 20-jährige Italiener Roberto. Sein sehnlichster Wunsch seit Jahren war es, einmal ein Konzert von Pavarotti besuchen zu dürfen. Roberto leidet unter Leukämie, Ärzte in Düsseldorf kämpfen gegen den Blutkrebs und um Robertos Leben. Dass er zum Konzert nach Köln kommen kann, verdankt er der Kölner Aktion „Wünsch dir was“: Die hat den Transport und die Eintrittskarte organisiert. Jetzt sitzt Roberto im Rollstuhl im Publikum, eine Schutzmaske vor dem Gesicht, und ist glücklich.

Eine massive Störung des Konzertes muss um 19.35 Uhr beseitigt werden: Da taucht ein Hubschrauber über dem Roncalliplatz auf und knattert Pavarotti nieder. Der Einsatzleiter der Polizei, Rudolf Schmitz, informiert den Tower auf dem Köln-Bonner Flughafen. Von dort wird der Pilot, der einen Fotoauftrag ausführt, zum Abdrehen aufgefordert. Minuten später ist Pavarotti wieder zu hören.

In der Pause, während sich der Star-Tenor Minuten der Entspannung gönnen darf, können auch die Inhaber der Sitzplätze Champagner und je nach Lust und Geldbeutel Kölsch genießen. Und auch Hummer-Häppchen sind erhältlich. Stärkung für den zweiten Teil des Ohrenschmauses.

Abendessen mit Pavarotti

Als um 21.10 Uhr der letzte Ton des Programms verhallt, verwandelt sich der Open-air-Konzertsaal – rein akustisch – in ein WM-Stadion. Bravo-Rufe verschmelzen mit anderen Begeisterungsschreien zu einer gigantischen Geräuschkulisse. Riesen-Blumenbouquets werden an den Bühnenrand getragen. Die Zuhörer sind von den Sitzen aufgesprungen und zollen dem Stargast Beifall. Der lässt sich nicht lange um Zugabe bitten.

Doch irgendwann muss Schluss sein. Pavarotti hat schließlich noch eine weitere Veranstaltung vor sich – das Abendessen im Maritim mit 500 Gästen, die 1000 Mark bezahlt haben, um in seiner Nähe speisen zu können.

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