MissbrauchsskandalKölner Bistumsgremium übergeht Empfehlungen von Bundesbeauftragter

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Dunkle Wolken überm Dom Archiv

Dunkle Wolken über dem Kölner Dom (Archivbild)

Köln – Der Beraterstab des Erzbistums Köln zum Umgang mit sexuellem Missbrauch hat sich über Empfehlungen der Unabhängigen Beauftragten der Bundesregierung (UBSKM) für die anstehende Neubildung des Kölner Betroffenenbeirats hinweggesetzt. Die neue Beauftragte, Kerstin Claus, zeigte sich enttäuscht. Zur Unterstützung des Beraterstabs hatte die Kirchenreferentin der UBSKM, Jana Charlet, an einer Sitzung des Gremiums Ende März teilgenommen. Dies ging auf eine Initiative von Bistumsverwalter Rolf Steinhäuser zurück. Wie UBSKM-Sprecherin Friederike Beck dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ erklärte, empfahl Charlet unter anderem, die Bewerbungsfrist für Betroffene zur Mitarbeit im Beirat deutlich zu verlängern und stärker auf Betroffene zuzugehen, um sie über die Möglichkeit einer Mitarbeit zu informieren. Auch sollte die Leitung des Auswahlverfahrens an eine unabhängige Stelle mit Betroffenenexpertise gehen „und so der Partizipationsprozess für bisher nicht beteiligte Betroffene geöffnet werden“.

Weiterhin Rufe nach Papst-Entscheidung zu Woelki

Vorausgegangen waren Auseinandersetzungen über die künftige Besetzung des Beirats. Unter anderem wurden Vorbehalte gegen den amtierenden Vorsitzenden Peter Bringmann-Henselder laut. In einem Gespräch mit Steinhäuser im Februar wandten sich mehrere ehemalige Mitglieder, die den Beirat 2020 aus Protest gegen Kardinal Rainer Woelkis Agieren beim Stopp eines ersten Missbrauchsgutachtens verlassen hatten, gegen eine erneute Ernennung Bringmann-Henselders.

Dieser tritt als entschiedener Verteidiger Woelkis auf. Er hob die Aufklärungsleistung des Kardinals als bundesweit einzigartig hervor, griff andere Bischöfe scharf an und warf Kritikern Woelkis wie der Reformbewegung Maria 2.0 einen „Missbrauch des Missbrauchs“ vor.

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In einer weiteren Sitzung des Beraterstabs am 19. April zur Neubesetzung des Betroffenenbeirats ignorierte das Gremium Charlets Ratschläge und empfahl Kardinal Woelki mehrheitlich, die derzeit fünf Mitglieder des Betroffenenrats für eine zweite Amtszeit sowie zusätzlich zwei Kandidaten neu zu ernennen. Zu den Gründen für die Übergehung des UBSKM wollte sich der Kontaktmann des Beraterstabs für das Auswahlverfahren, Peter Binot, auf Anfrage des „Kölner Stadt-Anzeiger“ nicht äußern.

Die Vorsitzende des Gremiums, die Kinder- und Jugendpsychiaterin Gudrun Strauer, fehlte in der fraglichen Sitzung. Das Erzbistum erklärte auf Anfrage, die Entscheidung des Beraterstabs liege noch nicht vor. Sie werde die Basis für die Ernennung durch Woelki bilden, mit der in den nächsten Wochen zu rechnen sei.

Kettenbrief an den Papst

Kerstin Claus sagte dem „Kölner Stadt-Anzeiger“, sie „bedauere sehr“, dass der Beraterstab den UBSKM-Empfehlungen für das aktuelle Auswahlverfahren nicht gefolgt sei. „Dass gleichzeitig das Bistum jedoch prüfen will, welche Beteiligungsmöglichkeiten für Betroffene geschaffen werden können, die sich nicht in Form eines Beirats organisieren wollen, ist eine positive Perspektive.“ Vergleichbare Modelle strebten auch weitere Bistümer in NRW an.

Bringmann-Henselder betätigte sich zuletzt Ende März als Ratgeber und Unterstützer einer Art Kettenbrief an Papst Franziskus mit der „dringenden Bitte“, Woelki in seinem Amt als Erzbischof von Köln zu belassen. Wie der Initiator der Aktion, ein Jurist und Manager aus dem Rheinland, per Rundmail an einen nicht ersichtlichen Verteiler schreibt, habe Bringmann-Henselder ihn angerufen und angeregt, die beabsichtigte Standard-Mail an den Papst auch an dessen diplomatischen Vertreter in Berlin, Nuntius Nikola Eterovic, zu senden. Der Erzbischof gilt als Unterstützer Woelkis in dem Bemühen um eine Ablehnung von Woelkis Rücktrittsangebot an den Papst.

„Missbrauch des Missbrauchs“

Der Versand der Ketten-Mail an Papst und Nuntius zugleich soll nach Bringmann-Henselders Rat sicherstellen, „dass die Mail auch tatsächlich den Papst erreicht und nicht von nachgeordneten Chargen in Rom bei der Vorsortierung unter den Tisch fällt“. Der Nuntius hingegen leite solche Nachrichten „unmittelbar an den Papst weiter“.

Praktischerweise ist Eterovics E-Mail-Anschrift gleich beigefügt. Die vorbereitete Petition an den Papst wiederholt den Vorwurf eines „Missbrauch des Missbrauchs“, gerichtet gegen Kritiker Woelkis. Der Kölner Kardinal sei „in Deutschland führend in der Aufklärung, in der Sorge um die Missbrauchsopfer und in der Prävention“. Der Kölner Betroffenenbeirat stehe „bezeichnenderweise geschlossen hinter dem Kardinal“ – genau wie „zahllose Katholiken“. Diese seien „wie immer die Stillen im Lande, die in die Heilige Messe gehen, sich nicht organisieren und randalieren“.

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Woelki wird dem Papst als Opfer einer „Usurpation nahezu aller Presseorgane mit links-grünen Apologeten“ durch die sogenannten Reformer geschildert. Als „Ausgangspunkt“ der ganz und gar verfehlten Kritik an Woelki macht die Petition „eine Kampagne“ aus, die „von zwei unsäglichen Journalisten losgetreten“ und von innerkirchlichen Gegnern Woelkis „begierig aufgegriffen“ worden sei.

Zu Woelkis Gunsten macht die Ketten-Mail geltend, dass der Kardinal gegen die „häretischen Ziele“ des Synodalen Wegs, eines Reformprozesses der Bischofskonferenz und des Zentralkomitees der deutschen Katholiken (ZdK), „als einer der wichtigsten Garanten einer wahrhaft katholischen Kirche in Deutschland“ stehe. Fiele der Kardinal, „wäre das ein schwerer Rückschlag für alle aufrichtigen Katholiken in Deutschland, aber auch für die Kirche insgesamt“, heißt es weiter. Einer „Reformation 2.0“, so die finale Warnung an den Papst in Rom, stünde dann „nicht mehr viel im Weg“.

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