11.11. in Köln„Dass niemand vor die Eingangstür kotzt, ist sehr angenehm“

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Zwei Pestdoktoren schreiten in einem „stillen Trauerzug“ über die fast menschenleere Zülpicher Straße.

Köln – Ein Koch, der kein echter Koch ist, fährt mit einem E-Scooter über den Hohenzollernring. In Weiß gekleidet, mit roter Brille und rot-weiß gestreiften Socken. Er fällt auf, dabei möchte er anonym bleiben. Ein Foto lehnt er ab, auch seinen Namen will er nicht verraten. Denn heute sei alles anders als sonst. Würde sich in einem normalen Jahr selbst an Weihnachten niemand wundern, wenn ein Clown in der Bahn sitzt, werde er heute argwöhnisch, fast feindselig angesehen. „Die Leute denken, dass ich feiern möchte und deswegen gegen die Corona-Regeln verstoße, nur weil ich ein Kostüm trage“, sagt der Koch.

Doch das tue er nicht. Ja, er habe sich verkleidet. Ja, er sei in der Stadt unterwegs. Allerdings nicht zum Feiern. Vielmehr fahre er mit einem Freund durch die Straßen, mit Abstand und ohne Alkohol und schaue sich die ungewöhnliche Situation an – an dem Tag, an dem der Karneval nicht gefeiert werden darf. 

Einfluss der Corona-Pandemie auf den 11.11. in Köln

Der Einfluss der Corona-Pandemie auf den 11.11. wird nur zwei Ecken weiter am Zülpicher Platz deutlich. Bars, Restaurants und Kioske haben geschlossen. Wo sonst Tausende Jecke feiern, trinken, sich in den Armen liegen – ist niemand. Jedenfalls nicht im Kostüm.

11.11. Menschen am Fenster

Zweisamkeit statt großer Party: Philipp feiert seinen 25. Geburtstag mit seiner Freundin Annika.

Um kurz nach 11 Uhr öffnen einige Anwohner auf der Zülpicher Straße ihre Fenster, lehnen sich heraus, um zu schauen, was passiert. Nicht viel. Kein lauter Countdown, keine feiernden Menschen. Stattdessen geht der Ordnungsdienst auf Patrouille, um jegliche Art der Karnevalsfeier zu unterbinden und die Einhaltung des ganztägigen Alkoholkonsumverbots zu kontrollieren.

Normalerweise wird eine große Party gefeiert

Um Punkt 11.11 Uhr ertönt aus dem Eckfenster über dem Restaurant „Bei Oma Kleinmann“ die Bläck-Fööss-Hymne „En unserm Veedel“ – ganz leise aus einer kleinen Box, nicht wie sonst aus einer großen Musikanlage. Niemand singt mit, niemand schunkelt. Nur ein Pärchen steht an eben diesem Fenster, sie umarmen sich und schauen auf die Straße – unverkleidet. „Normalerweise feiern wir hier in der Wohnung immer einer große Party, weil heute auch mein Geburtstag ist“, sagt Philipp.

Zülpicher Abend

Auch am Abend blieb es auf der an Karneval sonst so belebten Zülpicher Straße ruhig.

Stattdessen habe er all seinen Freunden ein Paket mit einer Flasche Kölsch und einer Kölschstange geschickt, „damit wir heute Abend wenigstens virtuell anstoßen können“. Und etwas Gutes habe die Karnevalsabsage auch. „Sonst wollen immer alle Freunde, die auf der Zülpicher feiern, bei mir aufs Klo gehen.“ Dieses Jahr nicht. Putzen am nächsten Tag falle also glücklicherweise aus. „Und dass niemand vor die Eingangstür kotzt, ist auch sehr angenehm.“

Pestdoktoren sehen besondere Chance für Köln

Vielleicht ist der besondere Sessionsauftakt auch eine Chance für Köln und den Karneval. Diesen Gedanken haben zwei Pestdoktoren, die ein paar Meter weiter über die fast menschenleere Zülpicher Straße stolzieren und nur ab und zu einer Bahn oder einem Auto ausweichen. Ganz in schwarz gekleidet beschreiten sie ihren „stillen Trauerzug“. „Corona ist ja so ähnlich wie eine Pest. Daher gedenken wir als Corona-Doktoren dem Karneval, wie er einmal war“, sagt Christiane Rath. Normalerweise würde das Ehepaar mit seinem Outfit kaum auffallen, im Meer der Kostümierten im Bermuda-Dreieck Zülpe versinken.

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Doch dieses Jahr ist eben tatsächlich alles anders. Selbst Sängerin Kylie Minogue sieht mit ihrem starken Make-up auf einem Plakat mehr nach Clown aus als die Menschen, die an der Litfaßsäule vorbeigehen. Doch ist das tatsächlich eine Chance? „Könnte gut sein“, sagt Thomas Rath. „Vielleicht ist die Ruhe heute gar nicht so schlecht und die Leute merken mal, dass Karneval nicht nur aus Saufen und Party besteht.“ Das tue der Zülpicher Straße gut, die seit einigen Jahren von wild Feiernden überflutet werde. Da sind sich die Pestdoktoren einig. Früher sei das noch anders gewesen.

Nostalgische Erinnerungen am Ostermann-Brunnen

In nostalgischen Erinnerungen schwelgen auch zwei ältere Herren am menschenleeren Ostermann-Brunnen. Sie kennen sich erst seit einem Moment. „Ich habe hier schon in den 60er Jahren gesungen und geschunkelt“, meint der eine. „Ich auch. Da hätten wir uns doch sehen müssen“, sagt der andere und lacht.

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Der Zeppelin der Roten Funken startete und landete auf den Poller Wiesen.

Ab 1949 war der Sessionsauftakt rund um den Ostermann-Brunnen gefeiert worden – organisiert von Mitgliedern der Karnevalistenvereinigung „Muuzemändelcher“, die zuvor zur Entschuttung des Platzes in der Altstadt aufgerufen hatte. Erst Ende der 1980er Jahre musste man wegen des gestiegenen Publikumszuspruchs auf den Alter Markt und später auf den Heumarkt umziehen.

Mahnung aus dem Zeppelin

Am Alter Markt sitzt Manfred Freischem mit Krätzchen, Korpskreuz und kurzer Hose vor seiner Kaffeebud. „Man muss die Fahne hochhalten“, sagt der Rote Funk gelassen, wohlwissend, dass ihm ein gutes Geschäft durch die Lappen geht.

Derweil macht sein Präsident, ebenfalls mit Krätzchen, 150 Meter weiter oben in einem Leichtbauzeppelin die Parole des Tages weithin sichtbar: „Bliev zohuss“ und „Bleibt gesund“.

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Manfred Freischem vor seiner Kaffebud

Die meisten Kostüme gibt es in der Altstadt im Schaufenster von Deiters zu sehen – mit Corona-Masken in Totenkopf- oder Hundehalsband-Optik. Auf den Straßen sind Verkleidete fast so selten wie FC-Siege im Stadion.

Container vor den Glasverbotszonen bleiben leer

Ein Paar aus dem Rechtsrheinischen verdrückt sich frustriert in die Tiefgarage unter dem menschenleeren Heumarkt: „Mir kumme jedes Johr – dat hammer uns hück anders vürjestellt“. Oben überwiegt der uniforme Look von Security und Polizei. Die Container vor den Glasverbotszonen bleiben leer, die Absperrgitter gestapelt.

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Jecke in der Tiefgarage Heumarkt

Auch in der Südstadt herrscht Ruhe. Der Weinberg am Chlodwigplatz wird heute nicht von Wildpinklern ruiniert, und die längste Schlange auf der Severinstraße steht vor einer Apotheke. „Poesie der See“ heißt eine Ausstellung im (geschlossenen) Wallraf-Richartz-Museum – passend dazu bleiben die Wogen des jecken Treibens an diesem 11.11. glatt wie ein Spiegel. Die Narren haben verstanden. 

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