Das Kwartier Latäng war so voll wie nie: Zehntausende feierten zumeist friedlich den Sessionsbeginn auf der Zülpicher Straße. Eine Chronologie des Geschehens.
Um 13.20 Uhr kotzt die BananeDie Chronologie des 11.11. in Köln
Kurz nach 10 Uhr: Jonas und Niklas haben sich wie jedes Jahr am Stromkasten vor Oma Kleinmann auf der Zülpicher Straße eingefunden, gewappnet mit Fässchen und Schnapsgläsern. „Wir sind seit 8.30 Uhr hier“, sagt Jonas, „da war es mit dem Reinkommen noch entspannt.“
Kurz vor 11 Uhr: Wirt Markus Vogt, auch aktiv in der IG Gastro Kwartier Latäng, steht vor seiner Kneipe. Er hat gerade erst aufgemacht, noch ist die Lage einigermaßen entspannt. „Das neue Sicherheitskonzept wird an der Grundfüllmenge der Straße nichts ändern“, prophezeit Vogt. „Dass der 11.11. auf einen Freitag fällt, ist die Hölle. Es werden noch mehr Leute kommen, die Entlastungsflächen hinter der Zülpicher Straße sind aber kleiner als sonst. Sobald die Zülpicher Straße voll ist, werden wir zehntausend Leute haben, die nicht wissen, wohin.“
Die Stadt habe gesagt, sie rechne nicht mit so vielen Menschen. „Dabei kennen wir das Viertel am besten. Das wird eine ziemliche Katastrophe hier.“ Nur eine halbe Stunde später meldet Vogt: „In zwei Jahrzehnten Karneval habe ich das noch nicht erlebt. Wir sind eingekesselt. Keine Chance hier wegzukommen. Man kommt überhaupt nicht bis zu irgendeinem Ausgang. Ich hab' ein ganz mieses Gefühl. Das ist brandgefährlich.“
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11 Uhr Auf der Kyffhäuserstraße ist es einigen Feiernden gelungen, über einen Ausgang ins Quartier Latäng zu gelangen. Anwohnerin Antonia Dicke hat das Sicherheitspersonal per Videotelefonat davon überzeugt, dass es nicht auf die Feiermeile, sondern in die Privatwohnung gehen soll. Abgesehen von Ausnahmen wie dieser ist der Eingang am Zülpicher Wall der einzige Weg ins Zülpicher Viertel.
11:11 Uhr Tausende auf der Zülpicher Straße zählen die Sekunden bis zum Sessionsstart herunter. Ekstase schon am Vormittag.
12 Uhr Stadt und Polizei schließen den Hauptzugang am Zülpicher Wall, das Viertel ist nahezu ausgelastet, meldet ein Polizeisprecher. Genaue Zahlen nennen Polizei und Stadt nicht.
12.30 Uhr Liane und Sofia kommen aus Richtung Zülpicher Platz die Roonstraße herunter. „Wir waren erst gar nicht auf der Straße“, sagt Liane. „Als unsere Gruppe vollzählig war, kamen wir schon nicht mehr rein.“ Vom Zülpicher Viertel aus wollen sie nun Richtung Heumarkt. Angesichts des Gedränges haben beide ein ungutes Gefühl. „Wir haben auch keine Lust auf eine Massenpanik hier“, sagt Sofia.
13 Uhr Raphael Dedy wohnt am Zülpicher Platz. Aus seinem Erkerfenster heraus ist die prall gefüllte Zülpicher Straße gut zu beobachten. In der Wohnung feiert Dedy mit einigen Freunden in entspannter Runde mit Selbstgebackenem, Kölsch und Snacks. Dass sich im Laufe des Tages und vor allem des Abends noch Urin und Erbrochenes in seinem Hauseingang finden werden, damit rechnet Dedy. „Ich würde mir mehr mobile Toiletten wünschen. Die Leute urinieren alle vor die Sicherheitsabsperrungen.“ Vom Balkon aus beobachten die Gäste von Raphael Dedy wenige Minuten später eine Schlägerei an der Engelbertstraße. „Das ist der Anfang, das wird gleich im Viertelstundentakt schlimmer“, sagt Dedy. „Man muss aber sagen - 90 Prozent sind vernünftig, 10 Prozent sind Idioten, die es kaputt machen.“
13.10 Uhr Klaus Adrian vom Bürgerverein Rathenauplatz und Bezirksbürgermeister Andreas Hupke haben sich ein Bild von der Lage gemacht. „Wir haben den Eindruck, es ist noch einmal deutlich mehr geworden, auch im Vergleich zu Karneval dieses Jahr“, sagt Adrian. „Man muss sich von der Idee, so eine Veranstaltung hier stattfinden lassen zu können, verabschieden.“ Bezirksbürgermeister Hupke findet deutliche Worte: „Das Rest von Verständnis, das ich noch hatte, ist ab heute weg. Wenn das so weitergeht, bekommen die Sicherheitskräfte das nicht mehr gehändelt.“
13.20 Uhr Vor der Kneipe „Roter Platz“ am Zülpicher Platz erbricht sich eine Banane.
13.30 Uhr Immer mehr Menschen drängen in Richtung Zülpicher Straße, der Druck vor der Absperrung am einzigen Zugang in Höhe Zülpicher Wall wird so stark, dass Stadt und Polizei beschließen, die Sperre ein paar Minuten zu öffnen, um für Entlastung zu sorgen. Jubelnd strömen hunderte Kostümierte auf die Feiermeile.
14.15 Uhr Vor der Absperrung Dasselstraße/Lindenstraße drängen sich die Menschen vor den Zäunen, die mit blickdichten Planen verhüllt sind. Immer wieder brechen Gruppen durch, um auf die Zülpicher Straße zu gelangen. Einer klettert über den Zaun, stürzt und schlägt mit dem Hinterkopf auf dem Asphalt auf. Eine Sanitäterin ist sofort bei ihm, aber der Mann rappelt sich auf und läuft davon. Kurz darauf verliert ein Ordner die Nerven: Er brüllt eine Gruppe Kostümierter an, die durch einen Lücke im Zaun geschlüpft sind und stößt eine Jugendliche zurück. Die erstarrt und fängt an zu weinen.
14.30 Uhr Die Polizei sperrt den Tunnel am Bahnhof Süd. Mit Lautsprecherdurchsagen werden die Menschen, die vor den Absperrungen warten, immer wieder aufgefordert, den Bereich zu verlassen, zum Beispiel in Richtung Aachener Weiher. Dort wird es nun von Minute zu Minute voller. Auch auf der Lindenstraße, der Bachemer Straße und der Luxembuger Straße sind tausende unterwegs. Viele sind ratlos: Weil die Zülpicher Straße zu ist, wissen sie nicht, wohin und mäandern entlang der Absperrungen durchs Univiertel.
15 Uhr Christel Kastner arbeitet am Barbarossaplatz. Sie läuft in ihrer Mittagspause über die Straße und schüttelt den Kopf. „Das hat es in den vergangenen Jahren nicht gegeben“, sagt sie mit Blick auf die feiernden Massen, die sich wegen des neuen Sicherheitskonzepts nun auch um die Luxemburger Straße ansammeln. Von dort geht es über die Uni ins Zülpicher Viertel. „Das Problem hat sich verlagert“, sagt Kastner. „Für mich ist das, was hier passiert, kein Karneval.“
15.15 Uhr Oberbürgermeisterin Henriette Reker macht sich mit Polizeipräsident Falk Schnabel und Festkomitee-Chef Christoph Kuckelkorn auf der proppenvollen Zülpicher Straße ein eigenes Bild von der Sessionseröffnung. „Man mag das schön finden oder nicht, wie hier gefeiert wird, aber die jungen Leute tun das so“, sagt Reker. „Es sindeinfach zu viele Leute auf zu kleinem Raum.“ Ob das Schutzkonzept der Stadt aufgegangen sei, wolle sie erst bewerten, „wenn der Tag vorbei ist“. Polizeipräsident Schnabel, der selbst mitten im Zülpicher Viertel wohnt, äußert sich „beeindruckt“ von den Menschenmassen, „aber auch davon, was die Einsatzkräfte von Stadt und Polizei bisher geleistet haben“. Es werde bislang „weitgehend friedlich“ gefeiert. Kuckelkorn erklärt die Menschenmassen vor allem durch die „lange Abstinenz vom Feiern“ und die Lust vieler daran, bei dem schönen Wetter draußen zu feiern. An Weiberfastnacht werde in der ganzen Stadt gefeiert, am 11.11. konzentriere sich das Geschehen auf einige Hotspots. Er wolle auch das Gespräch mit den Anwohnern suchen und „gucken, wie die Situation rund um die Zülpicher Straße herum“ sei.
16.30 Uhr Bleibt sie aber nicht, es wird allmählich aggressiver, meldet die Polizei. Viele seien betrunken. Die Polizei fordert zwei weitere Züge einer Hundertschaft an, die von auswärts zur Verstärkung nach Köln kommt.
17.30 Uhr Erste Zwischenbilanz der Polizei: Das Kwartier Latäng und das Umfeld sind nach wie vor proppenvoll. Es gibt bislang zehn Anzeigen wegen Körperverletzung, sieben Platzverweise von der Zülpicher Straße und zwei Ingewahrsamnahmen.