Kölner Karneval„Wann Geld fließen wird, weiß man nicht“

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Stunksitzungspräsidentin Biggi Wanninger und Ebasa, der Meister, von „Deine Sitzung“ in der Volksbühne am Rudolfplatz.

Köln – „Stunksitzung“ und „Deine Sitzung“ haben wie die anderen alternativen Sitzungen alle Termine abgesagt für die Session 2022. Kurzfristig gibt es jetzt jedoch Gastspiele in der Volksbühne am Rudolfplatz, die unter dem Motto „Alaaf – e betzje stiller“ ein kleines Karnevals-Special aufgelegt hat mit Konzerten, Shows und Filmen.

Neben dem im Haus produzierten Musical „Himmel und Kölle“ gibt es „gefühlvoll und zeitgemäß ein bisschen stiller“ dreimal Kasalla usjestöpselt, Brings unplugged, zweimal das Herrengedeck der Señores Weininger, Schopps und Weber oder ein „Zuckerfest für Diabetiker“.

„Deine Sitzung“ gastiert an zwei Abenden mit „Fettreduziert – das Beste aus 18 Jahren“, und die Stunker kommen dreimal unplugged. Wir haben mit den Präsidenten Biggi Wanninger und Ebasa, dem Meister, gesprochen.

Sie machen etwas stiller Karneval – wie geht das?

Wanninger: Es gibt schon seit 15 Jahren ein kleineres Projekt als die große Stunksitzung, das heißt „Stunk unplugged“. Da geht ein Teil des Ensembles auf Tour, aber ohne Köbes Underground. Stattdessen sind der Gitarrist Josef Piek und der Pianist Freddy Wingchen dabei. Ein abgespecktes Programm, kleines Gesteck ohne große Requisiten, das ist ein sehr direkter, hauptsächlich kabarettistischer Abend. Wir freuen uns sehr, in der Volksbühne Nummern aus den letzten Jahrzehnten zu spielen und vier aus dem jetzt ausgefallenen Programm, die wahrscheinlich im kommenden Jahr nicht mehr aktuell sind, etwa „Des Teufels Kardinal“ über Woelki. Diese vier Nummern werden auch bei den „Mitternachtsspitzen“ vom WDR aufgezeichnet und an Weiberfastnacht in der Sendung „Die ausgefallene Sitzung“ gezeigt.

Ebasa: Uns hat das Herz geblutet, als wir Deine Sitzung abgesagt haben, und freuen uns sehr, jetzt wenigstens hier zu spielen. Eine ernsthafte Möglichkeit ohne großes Risiko, mit Stuhlreihen statt Biertischen. Und mit der wahnsinnigen Lust, wenigstens ein paar Mal Alaaf in einen Saal rufen zu können. Wir haben das „fettreduziert“ genannt, weil es mit etwas weniger Energie auskommt. Bei uns ist Mett ja sehr wichtig, und das ist eben fettreduziert diese Session.

Das Thekenteam im Foyer hat sich schon auf Sie eingestellt?

Ebasa: Ich weiß nicht, ob Mettbrötchen coronakonform sind. Wir haben eine Mail bekommen, dass das jetzt doch eine gute Möglichkeit wäre, wegzukommen vom politisch total unkorrekten Mett und etwas veganer zu werden, aber gerade politisch unkorrekt macht uns doch Spaß. Wir sind ja inklusive dem Orchester der Liebe nur acht, neun Leute. Das ist überschaubar und deshalb kommen alle. Wir spielen halt etwas gedämpfter.

Es gibt gerade einen Stimmungsumschwung in Köln, viele Leute wollen feiern. Aus dem aktuellen Gefühl heraus: Würden Sie Ihre Sitzung noch mal absagen?

Wanninger: Mitte Dezember war es die richtige Entscheidung mit den Prognosen, was Corona angeht, und der Aussicht auf strengere Regeln. Außerdem hätten wir im Dezember schon mit weniger Publikum spielen müssen, weil es eine neue Regelung gab. Da standen wir schon vor einem Problem. Alle Karten waren ja verkauft. Wer hätte denn dann nicht kommen dürfen? Wir sind bei der Rückabwicklung von 50000 Karten, das ist total viel Arbeit. Wir könnten zwar jetzt vor 750 Leuten spielen, aber den ganzen Apparat wieder in Gang zu setzen, das geht nicht. Das Bühnenbild ist abgebaut, Requisiten sind verstaut. Wir haben uns darauf eingestellt, dass wir keine Stunksitzung im E-Werk spielen.

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Auch der moralische Druck von außen war enorm.

Wanninger: Ja, das hat das Festkomitee mit ausgelöst. Die sind jetzt auch zu Recht ziemlich sauer auf die Politik. Aber wenn wir zu dem Zeitpunkt gesagt hätten, wir spielen trotzdem, wäre das aufgrund der angekündigten Omikron-Wand für die meisten wohl nicht nachvollziehbar gewesen.

Ebasa: Wir haben eine Umfrage bei den Kartenkäufern gemacht, ob wir spielen sollen. Das Ergebnis war indifferent, aber 99 Prozent der Menschen waren gemäßigt und reflektiert, ohne jede Radikalität. Das war für mich ganz wichtig: Man konnte riechen an vernünftigen Menschen. Die sind leise und haben kein Forum, aber die gibt es ganz viel im Karneval. Wir haben dann auch abgesagt, und ich bereue das nicht, es wäre noch zu krass gewesen. Zumal mit Alkohol, der gehört eben dazu.

Haben Sie den Aufruf zur freiwilligen Absage aus Düsseldorf erwartet?

Wanninger: Wir haben ja die ganze Zeit darüber nachgedacht, was kommt. Auch die Frage, wie geht man damit um, wenn wir im Ensemble angesteckt werden. Dass das Festkomitee für seine Klientel bei Herrn Wüst verhandelt, liegt auch auf der Hand. Die Entscheidung kam am Tag vor der Generalprobe …

Ebasa: ...krass...

Wanninger: ...wir haben geprobt im E-Werk. Natürlich hat uns das überrascht. Das war so schrecklich. Wir haben dann, statt eine Generalprobe zu spielen, mit den E-Werk-Leuten zusammengesessen, mit den Mitarbeitern und Mitarbeiterinnen aus allen Gewerken, und bei Weihnachtsgebäck und Eierlikör der beschissenen Realität ins Auge geblickt. Und was mich am meisten geärgert hat, war, dass es keine klare Ansage gab. Es war eine Empfehlung. In solchen Situationen ein Unding.

Ist das Rumeiern der Politik schwer nachvollziehbar?

Wanninger: Absolut, das ist ein Armutszeugnis.

Ebasa: Das finanzielle Absichern zumindest der Vereine ist ja nicht schlecht, war aber auch eine große Meinungsmache. Man konnte guten Gewissens keine Sitzung mehr durchführen. Totaler Entscheidungsverstärker war dieser Sonderfonds Kultur. Trotz der haarsträubenden Regelung, dass der Veranstalter 100 Prozent auszahlen muss, obwohl er selbst nur 90 Prozent erstattet bekommt. Für Ensembles ist das echt schwierig.

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Eine Nummer bei der „Unplugged“-Ausgabe der Stunksitzung 2020.

Registriert sind Sie beide. Gehen Sie davon aus, dass Sie Geld bekommen?

Wanninger: Wir bereiten gerade alle nötigen Unterlagen vor. Wann das Geld fließen wird, weiß man nicht. Das ist ein Riesenproblem, dass es, anders als bei den Überbrückungshilfen, beim Sonderfonds keine Vorauszahlungen gibt. Da sind einige Pleiten vorprogrammiert, wenn das Geld nicht zeitnah kommt.

Ebasa: Man kann auch nicht kalkulieren. Wir haben Hilfen beantragt, wissen aber nicht, was wir bekommen. Aber es ist gut, dass es die Unterstützung gibt. So gesehen hat uns die Politik beim Absagen geholfen.

Wanninger: Wobei vieles am grünen Tisch entworfen wurde, aber nicht tief genug eindringt in die Materie. Ein Beispiel: Der Fonds verlangte eine zeitnahe hundertprozentige Rückabwicklung der Karten. Kartenbesitzer und Kartenbesitzerinnen haben aber drei Jahre Zeit, ihre Karten zurückzugeben. Das wurde anfangs nicht berücksichtigt, jetzt aber geändert.

Ebasa: Oder Einzelverträge mit Musikern, das ist so nicht üblich. Mit Bands ja, aber wenn ich irgendwo in Osnabrück Trompete spiele, gibt es keinen schriftlichen Vertrag. Einige Berater aus der Branche wären nicht schlecht gewesen, als man den Fonds aufgesetzt hat.

Wie geht es jetzt weiter?

Ebasa: Wir denken bei Deine Sitzung jetzt über alternative Zeiten für Sitzungskarneval nach. Wenn nächste Session wieder abgesagt würde, wären wir drei Jahre ohne Karneval. Wie soll man sein Publikum halten, seine Strukturen? Wir denken über ein Sommer-Open-Air nach, oder etwas im September. Eigentlich ist die zeitliche Begrenzung von Karneval ja richtig, aber wenn innerhalb davon nichts stattfinden kann...

Wanninger: Ich kann das nur unterstützen. In diesen verrückten Zeiten – im Sinne auch von ver-rückt – darf man mal anders an Dinge herangehen, muss neu denken. Das ist ja dann nicht in Zement gemeißelt, dass das immer so bleibt.

Das Gespräch führte Stefan Worring

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