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Kölner KarnevalMarkus Ritterbach – der Mann, der den Karneval revolutionierte

Lesezeit 8 Minuten
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Markus Ritterbach in der Menge im Gürzenich.

Köln – „Am Aschermittwoch ist alles vorbei.“ Markus Ritterbach

Die wichtigste Regel im Karneval, sagt Markus Ritterbach, der scheidende Präsident des Festkomitees Kölner Karneval, sei „Am Aschermittwoch ist alles vorbei“. Eine Regel, die für ihn (und sein Amt) nie gegolten hat. Denn der Herr der Narren in der Karnevalskapitale Köln hatte elf Jahre lang praktisch jeden Tag Karneval – als Funktionär. Und das ist nicht immer lustig. Selbst, wenn man glaubt, das „schönste Ehrenamt der Welt“ auszuüben.

Denn neben dem Spaß an der Freud geht es um ein Volksfest, von dessen Dimensionen sich außerhalb Kölns kaum einer eine Vorstellung macht. Mehr als 1200 Sitzungen zwischen Neujahr und Aschermittwoch, ein Dreigestirn mit mehr als 400 Auftritten in der Session, etwa 85 Karnevalszüge an den närrischen Tagen. Geschätzte 5000 Arbeitsplätze werden durch den Karneval geschaffen, der Umsatz dürfte bei einer halben Milliarde Euro liegen. Das will organisiert sein, verantwortet und repräsentiert werden.

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Möglichkeiten des Ehrenamts waren erschöpft

Ähnlich wie im Profi-Fußball reichen da die Möglichkeiten des Ehrenamtes nicht mehr aus. Als Markus Ritterbach 2005 sein Amt antrat, war die Prinzenproklamation, eigentlich das gesellschaftliche Ereignis des Jahres in Köln, nicht ausverkauft, das Festkomitee hatte noch kein Internet, und der offizielle Karneval diskutierte ernsthaft, ob die Musikgruppe Brings überhaupt im Karneval auftreten dürfe. Wegen der Zeile „Maach noch ens de Tüt’ an/ is noch lang nit Schluß/ es fängk an zo Schneie/ mitten em August“ aus dem Song „Superjeile Zick“ – mittlerweile ein jecker Evergreen. Schnee von gestern.

Ähnlich wie einige Präsidenten, die zeitgleich ihre Gesellschaften modernisierten (und natürlich mit deren Unterstützung), baute er seinen Verein um in ein modernes Unternehmen, das finanziell auf gesunden Beinen steht. Das Sagen haben weiterhin die Ehrenamtler, aber heute gibt es fest angestellte Mitarbeiter, die Vorstandsmitglieder sind versiert in ihren Arbeitsbereichen und ein eingespieltes Team, man ist auf allen (Social Media-)Kanälen unterwegs, Brings ist aus dem Karneval nicht mehr wegzudenken. In der Außenwirkung steht der Karneval für Offenheit und Toleranz, seine soziale Komponente wurde aufgewertet, sein Ansehen in der Gesellschaft ist schichtübergreifend deutlich gestiegen.

Unterstützung von der breiten Mehrheit

Die Professionalisierung mag manchem Traditionalisten nicht immer schmecken, wird aber von einer breiten Mehrheit getragen. Und so wird wohl der von Ritterbach vorgeschlagene Zugleiter Christoph Kuckelkorn auch zu seinem Nachfolger gewählt werden, die Vorstands-Mannschaft macht komplett weiter.

„Ich weiß nicht, ob man Vorstandsmitglieder von Dax-Unternehmen im Aufsichtsrat des FK haben muss, aber die Professionalisierung des Karnevals ist wohl unumgänglich.“ Ehemaliger Präsident einer FK-Gesellschaft

„Wir (der 1. FC Köln, Anm. d.Red.) wollen massiv Teil dieser Stadt sein.“  Markus Ritterbach

„Herr Ritterbach, wenn Sie es schaffen, den Karneval und den FC zu verbinden, dann haben Sie einen Marketingvorteil, der gigantisch ist.“  Uli Hoeneß

Ritterbachs Platz im Haus des Festkomitees

Das Haus des Festkomitees am Maarweg ist ein nüchtern eingerichteter Funktionsbau. Zwei Etagen über dem Karnevalsmuseum verbindet ein langer Flur Vorstandszimmer, Büros und einen Konferenzraum. Hier hängt vor Raufasertapeten die Ahnengalerie der FK-Präsidenten. Klassisch in Öl porträtiert, mit prunkvollen Accessoires ausgestattet, reihen sich die Narrenfürsten seit 1823 in oft selbstgefälliger Eitelkeit. Schinken an Schinken, konserviert in barocken Rahmen wie Dosenbohnen im Supermarkt.

Auch das Bild von Markus Ritterbach ist bereits fertig. Gerd Mosbach, ein Porträtmaler, der zuletzt auch Kardinal Woelki für die Nachwelt festgehalten hat, durfte jedoch nicht allein den Präsidenten malen. „Nur mit meinem Team“, so die Ansage Ritterbachs. Aus Hoch- wurde Querformat, aus Einzelporträt ein Gruppenbild. Durchdachtes Marketing oder Bescheidenheit? Dass Ritterbach ein Teamplayer ist, scheint unbestritten.

Das bestätigen seine FK-Vorstandskollegen genauso wie die Mitarbeiter seines Verlags. Er sei schnell im Kopf, habe ständig neue Ideen, wisse, was er wolle, könne aber auch zuhören und eigene Gedanken in Frage stellen. „Natürlich ist er auch Chef und trifft die Entscheidung, wenn es eng wird“, sagt seine Frau Barbara, die länger mit ihm arbeitet, als sie mit ihm verheiratet ist.

Ritterbachs Rolle beim Wandel des 1. FC Köln

Und die in der Außenwirkung fast zurückhaltende Art, wie er seine Rolle als FC-Vizepräsident interpretiert, lässt, nicht zuletzt dank des derzeitigen erfolgreichen Wandels des Vereins, erahnen, dass er auch da inhaltlich kräftig mitmischt. Allein, wie aus dem von gegnerischen Fans als üble Beschimpfung gedachten „Karnevalsverein“ innerhalb kürzester Zeit eine stolze Marke wurde, ist definitiv „Spürbar anders“. Ein Image, von dem ein Werksklub auf der anderen Rheinseite nur schlaflos träumen kann.

„Der Markus ist extrem diszipliniert.“  Barbara Ritterbach

Eigentlich ist der Mann krank. Fiebrige Erkältung. Aber wichtige Termine wie das Richtfest des Rosenmontagszuges würde Markus Ritterbach wohl nur sausen lassen, „wenn er den Kopf nur noch unterm Arm tragen könnte. Er ist extrem diszipliniert“. Sagt seine Frau Barbara.

„So, Jungs, heute ist alles anders – ich stelle die Fragen.“

Die beiden haben sich auf der Arbeit kennengelernt, wurden schnell ein Paar, sind seit 1993 verheiratet und haben drei Söhne. „Der Markus war so jugendlich, so frech. Respektlos in einem eher biederen Umfeld. Gradlinig, aber nicht stur. Und er wusste immer, wo’s langgeht.“ Das habe ihr gefallen. Eigenschaften, die er sich bis heute bewahrt hat. Der Schalk sitzt ihm im Nacken, er kann immer noch Lausbub sein. Wenn er mit einigen Roten Funken an Walter Bockmayers „Scala“-Theater vorbeikommt, spontan den Laden betritt, fragt: „Wann ist denn unser Auftritt?“, um dann mit dem ganzen Schmölzjen einfach während des laufenden Stücks die Bühne zu stürmen, bereitet ihm das diebische Freude.

Zu einem Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ kam er und sagte: „So, Jungs, heute ist alles anders – ich stelle die Fragen.“ Das passte zum Motto, das Gespräch wurde auch so veröffentlicht. Natürlich hat er trotzdem inhaltlich alles untergebracht, was er loswerden wollte.

Liebe zum Karneval und seiner Familie

Man glaubt ihm, dass er den Karneval liebt. Man glaubt ihm auch, dass ihm seine Familie extrem wichtig ist. Etwa wenn man erlebt, wie er sich sorgt um einen seiner Söhne, der unter einer seltenen Krankheit leidet und schon mehrfach auf Leben und Tod im Krankenhaus lag.

Überhaupt Kinder: Die bezieht er auf Terminen oft mit ein, hat ihre Rolle im Karneval maximal aufgewertet – um Nachwuchs brauchen die Jecken heute nicht bang zu sein. Wie er das alles unter einen Hut kriegt als selbstständiger Unternehmer? „Der kann einfach nicht still sitzen. Markus ist hyperaktiv. Selbst im Urlaub springt er auf und muss was tun. Dann machen wir einen Ausflug oder er schraubt stundenlang am Rasenmäher. Manchmal kann das auch nerven.“ Besonders wenn die heranwachsenden Söhne gerade viel lieber chillen würden. Gleichzeitig sei er immer familienfreundlich organisiert gewesen: Nach zwei Abenden FK wäre der dritte Abend immer der Familie vorbehalten, sagt seine Frau. „Sonst hätte ich das auch nicht mitgemacht.“

„Der Zeitpunkt, aufzuhören, ist perfekt.“  Markus Ritterbach

„Ritterbach hat sich verändert in den letzten fünf Jahren. Der hat abgehoben. Offen spricht da keiner drüber, aber ich bin nicht der Einzige, der so denkt.“  Ein Ex-Prinz

Tommy Engels Gedanke beschäftigte Ritterbach

Ein Gespräch mit Tommy Engel soll der Auslöser für den Rückzug gewesen sein. Den versuchte Markus Ritterbach Jahr für Jahr für einen Auftritt bei der Prinzenproklamation zu gewinnen. Erfolglos. 2016 war er dann so nah dran, dass es sogar ein zweites Gespräch gab. Aber letztlich lehnte der Sänger, der auch wegen der vielen Karnevalsauftritte 1991 mit den Bläck Fööss brach und ausstieg, ab. Die Vorstellung, etwas zu tun, was dir keinen Spaß macht, war das finale Gegenargument. Ein Gedanke, der Ritterbach fortan beschäftigte. Und nicht mehr losließ. Aufhören, wenn es am schönsten sei, nicht erst, wenn man amtsmüde werde, wurde zum festen Gedanken.

Das operative Geschäft im FK macht ihm immer noch Spaß, aber das ständige Repräsentierenmüssen hat ihn zunehmend belastet. Sein Haus sei bestellt, argumentierte er mit sich, auch sonst sei gerade alles perfekt: die Kinder erwachsen, der neue Firmen- und Wohnsitz in Erftstadt-Kierdorf fertig, auch im Job und beim FC laufe es gut. Und er spürt unter der enormen Mehrfachbelastung erstmals sein Alter. „Ich trete zurück in einem Alter, in dem meine Vorgänger noch nicht mal angefangen haben“, sagt er kokettierend.

Suche nach den Leichen in Ritterbachs Keller

Es gibt Leute in der Szene, die ihm das so nicht abnehmen, die eine Leiche im Keller Ritterbachs vermuten. Die ihm vorwerfen, dass er zu wenig trenne zwischen Beruf und Ehrenamt. Mehr als ein Bauchgefühl aber können sie nicht vorzeigen, ihre Namen nennen wollen sie schon gar nicht. Auch zunehmende Selbstherrlichkeit wollen einige erlebt haben. Beim Richtfest geht er da selbstironisch und entspannt mit um: „Wenn ich hier an der Wagenbauhalle über den Hof gehe, stöhnen die schon mal: »Da kommt der Alte!« – den Ruf habe ich mir hart erarbeitet.“

Unbestritten ist, dass Ritterbach den Karneval und sein Image revolutioniert hat, die Zukunft des Festkomitees auf eine professionelle Basis gestellt hat. Was kann man mehr verlangen von einem Präsidenten, der zwölf Jahre im Amt war. Und so ganz will „der Alte“ ja auch nicht aufhören. Man munkelt, dass er seinen Nachfolger demnächst als Mitglied des Aufsichtsrats weiter unterstützen will. Er selbst hat gesagt: „ Irgend ein Ehrenamt ohne Repräsentieren mache ich bestimmt demnächst – vielleicht werde ich ja Fahrer vom Kinderdreigestirn.“

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