Kölner Oberbürgermeisterin im InterviewHenriette Reker sieht Verkehrsversuche „ad absurdum“ geführt

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Das Bild zeigt Oberbürgermeisterin Henriette Reker.

Da lang: Oberbürgermeisterin im Interview beim „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Im Interview mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ lehnt OB Reker eine finanzielle Unterstützung für den 1. FC Köln beim Geißbockheim-Ausbau ab.

Die Kölner Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) schließt eine Kandidatur für eine dritte Amtszeit nicht aus. „Ich habe eine dritte Kandidatur nicht geplant, aber der Wunsch wird an mich herangetragen“, sagte Reker im Gespräch mit dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. „Meine Meinung war immer: Ich brauche mehr als eine Wahlperiode, um Dinge nicht nur anzustoßen, sondern sie auch umzusetzen“, sagte Reker. Ob zwei Wahlperioden dafür ausreichen, ließ sie offen.

Die Oberbürgermeisterin ist seit 2015 im Amt. Nach den angekündigten eigenen Kandidaturen von Grünen und CDU, die Reker im vergangenen Wahlkampf unterstützt hatten, ist man im Stadtrat zuletzt davon ausgegangen, dass Reker nicht erneut kandidiert.

Unterdessen kritisierte Reker Verkehrsdezernent Ascan Egerer deutlich für sein Verhalten im Begleitgremium zur Erweiterung der Bahnkapazitäten auf der Ost-West-Achse. Einen oberirdischen Ausbau stellte Egerer vor einer Tunnel-Variante, die Reker präferiert, vor. „Es wäre für die Sache gut gewesen, beide Varianten zeitgleich vorzustellen“, sagte Reker.

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Auch bei dem von Egerer umgesetzten Verkehrsversuch auf der Venloer Straße sprach Reker von „schlechter Durchführung und unzureichender Kommunikation“.


Lesen Sie hier das gesamte Interview:

Frau Reker, wie sind die städtischen Kliniken in die desolate Lage gekommen, in der sie heute sind?

Henriette Reker (parteilos, 66): Zunächst ist mir wichtig zu betonen, dass die Patientinnen und Patienten jetzt und auch zukünftig erstklassige medizinische Versorgung erhalten. Die Herausforderung, vor der die Kliniken jetzt stehen, sind im Wesentlichen durch zwei Faktoren begründet: Einmal ist da der Fachkräftemangel in der Pflege. Wir haben leider Pflegekräfte verloren und müssen wieder eine attraktivere Arbeitgeberin für sie werden. Zum Zweiten sind die Gebäude der Kliniken veraltet und müssen umfänglich saniert werden. Beide Faktoren zusammen führen dazu, dass wir praktisch nur rund die Hälfte aller bestehenden Betten belegen können. Die Einnahmen sind halbiert, die Kosten bleiben gleich.

Warum kommt erst jetzt der Vorschlag, Holweide und Riehl zu schließen, wenn es so sehr auf der Hand liegt?

Bislang fehlten der politische Mut und eine Mehrheit. Ich erwarte, dass es im Rat über das Bündnis aus Grünen, CDU und Volt hinaus nun eine Mehrheit gibt. Die erstklassige medizinische Versorgung der Kölnerinnen und Kölner sowie der Region muss nicht profitabel sein. Aber ein Defizit von 100 Millionen Euro jährlich können wir auf Dauer nicht durch den städtischen Haushalt auffangen. Wir werden das medizinische Angebot der Kliniken nicht reduzieren, sondern nach Merheim verlagern. Der Vorschlag kommt auch deswegen erst jetzt, weil sich die Rahmenbedingungen für den Betrieb von Krankenhäusern verändert haben. Der Krankenhausplan des Landes sowie die Krankenhausreform des Bundes sprechen eine klare Sprache: Die Gesundheitsversorgung der Menschen wird an der Qualität ausgerichtet. Früher stand der Gedanke im Vordergrund, dass es gut ist, wenn das Krankenhaus möglichst nah ist. Heute hat sich der Gedanke durchgesetzt, dass die Spezialisierung wichtiger ist. Das führt zu Zentralisierung. Und diesen Weg gehen wir. Er bedeutet mehr medizinische Qualität.

Man kann mit Gesundheit und Pflege Geld verdienen, wenn man sich als Investor die Rosinen rauspickt, aber das wäre nicht im Sinne der Kölnerinnen und Kölner.
Henriette Reker, Oberbürgermeisterin

Ist ein Verbund mit der Uniklinik damit vom Tisch?

Den Mutigen gehört die Zukunft, für mich ist der Verbund nicht vom Tisch. Der Klinikverbund ist die Vision, Köln zu einem europäischen Spitzenstandort für Lebenswissenschaften zu entwickeln. Wir sprechen hier über Standortpolitik für NRW in Köln. Das wird von Baden-Württemberg sehr ähnlich in Heidelberg gemacht. Ich weiß, dass sich das Land NRW derzeit intensiv damit auseinandersetzt. Wir präsentieren dem Land eine große Chance.

Wie stehen Sie zu einer möglichen Privatisierung der Kliniken?

Ich halte nichts davon. Man kann mit Gesundheit und Pflege Geld verdienen, wenn man sich als Investor die Rosinen rauspickt, aber das wäre nicht im Sinne der Kölnerinnen und Kölner. Ich fände es nicht richtig, die Kliniken zu privatisieren.

Das Bild zeigt den neuen Klinik-Campus in Merheim von oben.

Der geplante neue Klinik-Campus in Merheim von oben.

Was halten Sie vom geplanten Verkauf der Grundstücke in Holweide und Riehl?

Entscheidend ist, was auf den Grundstücken gebaut wird. Ich kann mir sehr gut vorstellen, einen Teil des Geländes auf der Amsterdamer Straße umzugestalten. Dort könnte eine gute, große Kinderarztpraxis entstehen, die die medizinische Versorgung im Kölner Norden gewährleistet. Man kann auch Personalwohnungen bauen, um als Arbeitgeber attraktiver zu sein. Ich denke, die Kliniken werden am Ende den größten Teil der Grundstücke verkaufen müssen, um einen Beitrag zur Finanzierung des Zukunftsmodells zu leisten.

Das wichtigste Großprojekt dieser Ratsperiode ist der Ausbau der Ost-West-Achse. Wie sicher sind Sie, dass der Tunnel unter dem Neumarkt kommt?

Ich glaube, dass der Tunnel kommt und rechne mit einer breiten Mehrheit. Vielen wird noch klar werden, dass 90-Meter-Bahnen auf dem Neumarkt nicht gut funktionieren und dem Platz, den wir neugestalten werden, damit sich die Menschen dort wohler fühlen, nicht gut tun.

Wie sehr schränkt Sie die Hängepartie um die Ost-West-Achse ein?

Am Neumarkt können wir derzeit nur vorläufige Umbauten machen und nicht die so dringend notwendige umfassende Neugestaltung angehen. Denn für große Schritte müssen wir wissen, wie es weitergeht. Ich habe wenig Verständnis dafür, dass der Rat die Tunnel-Frage nicht längst entschieden hat. Man schiebt Entscheidungen in Köln viel zu oft zu lange auf.

So sahen die ersten Visualisierungen des Heumarkts aus, wenn die Bahn in einem Tunnel fährt.

So sahen die ersten Visualisierungen des Heumarkts aus, wenn die Bahn in einem Tunnel fährt.

In der CDU ist man besorgt, dass Ascan Egerer insgeheim gegen einen Tunnel arbeitet und deswegen zuerst die oberirdische Planung vorstellte. Können Sie die Sorge nachvollziehen?

Es wäre für die Sache gut gewesen, beide Varianten zeitgleich vorzustellen. Ich habe versucht, allen Dezernenten zu vermitteln, dass sich eine Verwaltungsmeinung durch ein neu besetztes Dezernat nicht ändert.

Wäre es für Sie eine Niederlage, wenn der Tunnel nicht käme?

Nein. Mir ist wichtig, dass der Rat alle Parameter der Entscheidung für seinen Beschluss für oder gegen den Tunnel kennt. Ich habe eine von 91 Stimmen im Rat, viele überschätzen den Einfluss einer Oberbürgermeisterin.

Es gibt tatsächlich Akteure, die davon ausgehen, dass Köln es handwerklich nicht hinbekommt, einen Tunnel zu bauen. Das ist natürlich Unsinn.
Henriette Reker, Oberbürgemeisterin

Woher kommt aus Ihrer Sicht das Misstrauen gegen den Tunnel?

Der Archiveinsturz hat diese Stadt tief traumatisiert. Es gibt tatsächlich Akteure, die davon ausgehen, dass Köln es handwerklich nicht hinbekommt, einen Tunnel zu bauen. Das ist natürlich Unsinn. Auch wenn die Baukosten noch einmal gestiegen sind, halte ich den Tunnel für die beste Lösung. Der Rat trifft in dieser Frage eine Grundsatzentscheidung für diese Stadt, keine rein wirtschaftliche Entscheidung. Es geht auch um die Lebensqualität im Herzen Kölns.

Die sollte sich auch durch die längeren Öffnungszeiten des Drogenkonsumraums verbessern, bislang ist aber keine der 16 neuen Stellen besetzt.

Das ist frustrierend. Aber an die Menschen, die in einem Drogenkonsumraum arbeiten, stellen wir zu Recht hohe Anforderungen. Das ist außerdem kein einfaches Arbeitsumfeld. Ich bin denen, die sich dieser Arbeit stellen, sehr dankbar. Unser Job als Verwaltung ist es, diese Menschen zu finden. Damit hätten wir früher beginnen müssen.

Sie haben sich eine Lösung für den FC bis zum Jahreswechsel gewünscht, nun ist März – und wir sind nicht weiter. Wie ist der Stand?

Die Verwaltung ist seit einiger Zeit in wirklich konstruktiven Gesprächen mit dem 1. FC, um gemeinsam nach einer guten Lösung zu suchen. Dass wir alles aus öffentlichen Mitteln finanzieren, kann ich mir nicht vorstellen – allein aus beihilferechtlichen Gründen. Ich schätze den 1. FC, er prägt unsere Stadt, aber die Stadt kann nicht den Wirtschaftsbetrieb unterstützen. Wir klären derzeit, was möglich ist.

Das Bild zeigt das Geißbockheim des 1.FC Köln von oben.

Was passiert mit dem Geißbockheim? Seit Jahren kommen die Ausbau-Pläne des 1. FC Köln nicht voran.

Parallel laufen Verhandlungen um die Pacht des Rheinenergiestadions.

Am Ende wird beides aus einem Portemonnaie gezahlt.

Es gibt weiterhin Probleme beim Anmeldeverfahren und beim Schulbau. Wie soll das in den nächsten Jahren besser werden?

Mir tut jede Familie leid, die unter der aktuellen Situation leidet. Schon deshalb muss es besser werden. Als ich ins Amt kam, hatten Gebäudewirtschaft und Schulentwicklungsplanung anderthalb Jahre lang nicht miteinander gesprochen, es gab keine Prioritätenliste. Früher hat es acht Jahre gedauert, eine Schule in Köln zu bauen, jetzt sind es drei. Aber wir konnten noch nicht alles nachholen, was über Jahrzehnte liegengeblieben ist. Das dauert noch vier, fünf Jahre. Ich werde in meiner Amtszeit noch weitere sechs Gymnasien und fünf Gesamtschulen eröffnen und ich habe zahlreiche Grundsteine gelegt. Trotzdem reicht das alles noch nicht. Wir müssen insgesamt 54 Schulen bauen, 24 Baustellen laufen derzeit parallel. Wir sind auf dem richtigen Weg, aber leider noch längst nicht am Ziel. Ich werde den Schulbau daher weiter forcieren.

Ich bin keine Bibliotheksexpertin, aber ich glaube schon, dass man eine zentrale Bibliothek im Herzen der Stadt braucht.
Henriette Reker, Oberbürgermeisterin

Bleibt die Zentralbibliothek am Neumarkt und wird dort saniert?

Ich halte das für wahrscheinlich. Am Ende entscheidet das aber der Rat. Dass ich ihm dieses Projekt noch einmal vorlege, nachdem die Baukosten so immens gestiegen sind, ist meine Pflicht. Wenn die Sanierung so viel mehr kostet, muss der Rat seinen Beschluss noch einmal bekräftigen.

Was hat sich seit dem Baubeschluss 2018 geändert?

Die Bibliothekskultur und das Nutzerverhalten haben sich dauerhaft gewandelt. Wir haben mit der Stadtteilbibliothek in Kalk gute Erfahrungen gemacht. Wir werden dem Rat aufzeigen, was möglich ist. Er wird dann entscheiden.

Das Bild zeigt die Zentralbibliothek am Neumarkt.

Sanieren oder doch dauerhaft im Interim auf der Hohe Straße bleiben? Das soll der Rat entscheiden.

Aber was will die Oberbürgermeisterin? Es hört sich so an, als wollten Sie die Sanierung.

Ich bin keine Bibliotheksexpertin, aber ich glaube schon, dass man eine zentrale Bibliothek im Herzen der Stadt braucht. Die Diskussion wurde vielfach ohne Kenntnis der Fakten ausschließlich emotional geführt. Als ob wir das Grundstück am Neumarkt an einen Investor verkaufen würden, der dort ein Einkaufszentrum baut.

Wie bewerten Sie die Verkehrsversuche der Stadt Köln, unter anderem auf der Venloer Straße?

Mit Verkehrsversuchen gehen wir neue Wege: Früher wurde aus Angst vor Veränderung entweder gar nichts gemacht oder es wurde einfach gemacht, ohne zu schauen, ob es funktioniert und sinnvoll ist. Heute gewinnen wir durch Verkehrsversuche Erkenntnisse und können Planungen ändern. Verkehrsversuche sind daher richtig und wichtig, aber man darf sie nicht ad absurdum führen durch schlechte Durchführung und unzureichende Kommunikation.

Ist das auf der Venloer Straße passiert?

Ja, leider. Und deswegen lernen wir jetzt daraus.

Das Bild zeigt den Verkehrsversuch auf der Venloer Straße.

Unbekannte Aktivisten haben vier weiße Fahrräder an der Venloer Straße angebracht.

Hätte man das stoppen müssen?

Wir hätten schneller Anpassungen vornehmen müssen. Wir brauchen die Verkehrsversuche, um Dinge zu testen. Deshalb heißt es ja Versuch, es kann auch mal schlecht laufen. Nur wenn es gleich so schlecht beginnt, dann will zukünftig keiner mehr solche Versuche. Das ist ein Problem. Ich habe darauf hingewirkt, die Abstimmung der zuständigen Dezernate untereinander zu verbessern. Aber auch politische Beschlüsse haben die Rahmenbedingungen gesetzt.

Muss das auf der Venloer Straße noch weiter verbessert werden?

Ja. Da muss noch mehr verbessert werden, aber das ist das Wesen eines Versuchs. Auch die Verwaltung ist nicht perfekt.

Das Bild zeigt Oberbürgermeisterin Henriette Reker mit geschlossenen Augen.

Dritte Amtszeit? Henriette Reker sagt dazu: Ich habe eine dritte Kandidatur nicht geplant, aber der Wunsch wird an mich herangetragen.

Grüne und CDU wollen 2025 eigene OB-Kandidaten aufstellen. Heißt das, Sie treten nicht mehr an?

Ich beschäftige mich derzeit nicht mit dieser Frage. Wir haben ganz andere Herausforderungen in dieser Stadt, als uns jetzt schon den Kopf zu zerbrechen, wer OB-Kandidat oder OB-Kandidatin wird. Meine Meinung war immer: Ich brauche mehr als eine Wahlperiode, um Dinge nicht nur anzustoßen, sondern sie auch umzusetzen. Ich habe eine dritte Kandidatur nicht geplant, aber der Wunsch wird an mich herangetragen.

Welche Themen sind Ihnen denn noch wichtig bis Herbst 2025?

Noch mehr Öffentlichkeitsbeteiligung. Wir werden einen Bürgerrat einrichten, der die Verwaltung im Bereich Mobilität berät. Ein weiteres Ziel ist es, Kölns Plätze attraktiver zu gestalten, nicht nur den Neumarkt. Und ich werde die Oper eröffnen, auch wenn mir das keiner glaubt. (lacht) Auch die Digitalisierung und die Weiterentwicklung von Parkstadt Süd, Deutzer Hafen, Mülheimer Süden und Kreuzfeld sind Themen, die ich gestalten werde. Ich stelle Köln so auf, dass es die Herausforderungen der Zukunft meistert. Daneben werde ich Köln weiterhin erfolgreich durch diese Zeit multipler Krisen führen. Und ich stehe dafür, dass geflüchteten Menschen in Köln, trotz fehlender Unterstützung von Land und Bund und auch bei erschöpften Unterbringungskapazitäten, geholfen wird.

Die Verwaltung hat dem Rat eine Liste mit 122 Großbauprojekten mit einem Volumen von knapp acht Milliarden Euro vorgelegt. Das Bündnis hat sich nach knapp einem halben Jahr noch nicht klar positioniert, ob Projekte gestrichen werden müssen und wenn ja, welche.

Ich persönlich würde gar nichts streichen, aber eben priorisieren. Wir werden nicht alles auf einmal machen können.

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