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HotspotsSo erlebt ein Kölner Polizist die Einsätze am Wochenende in Corona-Zeiten

Lesezeit 4 Minuten
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Die Polizei kontrolliert auf der Feiermeile Friesenstraße. 

  • Andreas Luthe ist Beamter einer Kölner Einsatzhundertschaft.
  • Im „Kölner Stadt-Anzeiger“ berichtet er von den Einsätzen am Wochenende an den Party-Hotspots in der Kölner Innenstadt.
  • Wer sind die Feiernden, woher kommen sie – und wer sorgt für Randale?

Köln – Die erste Flasche, erzählt Andreas Luthe (Name geändert), sei schon geworfen worden, da seien seine Kollegen gerade erst eingetroffen. „Die hatten noch kein einziges Wort gesagt.“ Schon kamen weitere Flaschen geflogen, gezielt in Richtung der Polizisten. 150 junge Männer pöbelten die Hundertschaftsbeamten an, beschimpften und beleidigten sie.

Was sich in der Nacht zum vorigen Sonntag am Rheinboulevard unter der Hohenzollernbrücke abgespielt hat (hier lesen Sie mehr), steht beispielhaft für ein Phänomen, das Einsatzkräfte von Polizei und Stadt seit einigen Wochen zunehmend erleben – vor allem an den Wochenenden: Meist junge Männer, mit und ohne Migrationshintergrund, viele betrunken, manche aufgeputscht mit Drogen, einige hochaggressiv, andere einfach nur übermütig, wieder andere vollkommen friedfertig, feiern unter freiem Himmel, am Rhein, auf den Ringen, vor Kneipen und Bars, bis die Polizei kommt.

Wollen die Einsatzkräfte die Party auflösen, geht das meistens ruhig vonstatten. Aber nicht immer. Manchmal, wie am Wochenende am Rheinboulevard, eskaliert die Situation. Dabei sind Szenen wie in Stuttgart oder Frankfurt, wo sich junge Männer regelrechte Schlachten mit der Polizei lieferten, Köln bislang erspart geblieben.

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Kölner Polizist über Eskalationen: „Wird langsam zum Standard“

Andreas Luthe ist Beamter einer Kölner Einsatzhundertschaft. Schwierige Einsätze ist er von Demonstrationen oder Fußballspielen gewohnt. Ihn wirft nicht aus der Bahn, was ihm seit einigen Wochen mitunter an Aggressivität, Distanz- und Respektlosigkeit auf Kölns Partymeilen begegnet. Was ihm aber auffällt: „So langsam wird das zum Standard. Die Leute pinkeln vor deinen Augen gegen Kirchen oder in die Ecken, lassen ihren Müll fallen, parken wo sie wollen, drücken dir blöde Sprüche, wenn du sie darauf hinweist und das alles mit einer Selbstverständlichkeit – das habe ich so noch nicht erlebt.“

Hier lesen Sie mehr: Polizei löst illegale Partys in Köln auf

„Und ständig wirst du gefilmt. Als wir die Schaafenstraße geräumt haben, kam ich mir vor wie George Clooney – die ganze Zeit eine Handykamera vor der Nase.“ Statt sich zu entfernen, kamen viele näher, gafften, filmten, feixten und fotografierten, so Luthe. „Man musste die irgendwann wegschieben, sonst wären die nicht gegangen.“ Harmlos vielleicht im Vergleich zu den Angriffen unter der Hohenzollernbrücke – aber dem Polizisten zufolge ebenfalls problematischer Ausdruck von Ignoranz und Ablehnung staatlicher Maßnahmen.

Woher kommt das? Und wer genau sind vor allem diejenigen, die pöbeln und Gewalt anwenden? Nach den Ausschreitungen von Stuttgart und Frankfurt haben Politiker, Polizisten und Journalisten etwas hilflos den Begriff „Partyszene“ etabliert, die Kölner Polizei spricht von „Störern“. Aber was heißt das?

Am Rheinboulevard hat es die Polizei es vor allem mit Männern zu tun, die arabische, türkische oder nordafrikanische Wurzeln haben. Am Zülpicher Platz treffen sich vor allem Studenten, in der Schaafenstraße viele Schwule und Lesben, und auf den Ringen ist das Publikum gemischt. Der gemeinsame Nenner der „Störer“, sagt ein Polizeisprecher, sei: „Jung, männlich, Party, Alkohol.“

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Auch Soziologen rätseln. Sprechen von einer „situativen Eskalationsdynamik“, sich hochschaukelnden Konflikten. Luthe kennt das: „Wenn du jemanden nach seinem Ausweis fragst, kommen oft andere dazu, mischen sich ein und machen dich an.“ Auf den Ringen, ergänzt der Polizeisprecher, sei daher längst üblich, „dass zwei Kollegen kontrollieren, und vier halten ihnen den Rücken frei.“

Der Freiburger Soziologe Albert Scherr beschrieb nach den Krawallen von Stuttgart Jugendliche, „die so etwas wie ein starres Feindbild“ zur Polizei aufgebaut hätten, deren Autorität als Regeldurchsetzer werde nicht mehr akzeptiert. Der Bremer Konfliktforscher Stefan Luft sagte dem „Deutschlandfunk“, die Gewalttätigen seien größtenteils Migranten, in den letzten Jahren eingewandert, aber entgegen ihren Erwartungen auf dem Arbeitsmarkt für Fachkräfte nicht angekommen. Die Folgen der Corona-Krise hätten sie „aus allen Strukturen herausgerissen“.

Hass auf Behörden hat sich angestaut

Die rheinland-pfälzische Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) erkennt Menschen, die unzufrieden seien, weil sie wegen Corona nicht feiern können. „Da hat sich Frust angestaut und auch Hass auf Behörden und die sogenannte Obrigkeit.“ CDU-Innenpolitiker Armin Schuster beklagt eine „verharmlosend tolerante urbane Wohlfühlpolitik“ in Großstädten. Täter spürten keine Sanktionen mehr, der Staat müsse seine Autorität wieder deutlich machen.

Das findet auch Polizist Andreas Luthe. Das oft folgenlos bleibende Wildpinkeln, Falschparken oder Vermüllen führe dazu, dass die betreffenden Personen sich immer mehr herausnehmen würden. „Die testen Grenzen aus.“ Ein gesellschaftliches Problem. Als Polizei komme man da oft nicht mehr hinterher. „Ich sehe es auch nicht als meine Aufgabe, allen zu sagen: Räumt euren Müll weg“, sagt Luthe. Aber damit gehe es eben los. „Da ist der Keller des Hauses schon schlecht gebaut.  

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