„Vertreiben löst keine Probleme“So blicken Sozialarbeiter auf Armut und Verwahrlosung in Köln

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Obdachlose sind am Breslauer Platz und in der Umgebung des Doms allgegenwärtig.

Obdachlose sind am Breslauer Platz und in der Umgebung des Doms allgegenwärtig. (Archivbild)

Streetworker, die in der City unterwegs sind, finden, dass die Stadt Köln Obdachlosigkeit „aushalten muss“- und sie machen Lösungsvorschläge. 

Auf der Hohe Straße und Schildergasse lagern vor allem Rumänen, die Unterführung am Breslauer Platz ist der Treffpunkt der Polen. Kurz hinter der McDonald’s-Filiale reden, trinken und schlafen wohnungslose Menschen aus dem Nachbarland.

Heute sind sie aufgeregt: Ihre Zelte an der Römermauer seien von AWB-Mitarbeitern abgebaut und mitgenommen worden, sagen sie den Streetworkern Khaled Jebbari und Petra Hastenteufel. „Wo sollen wir heute Nacht schlafen?“ Jebbari macht sich Notizen, er versucht, die Menschen zu beruhigen. „Kommt öfter vor, dass Zelte von Wohnungslosen in der City einfach entfernt werden“, sagt er. „Wir kümmern uns.“

Kölner Streetworker: Obdachlose Menschen nicht stigmatisieren

Der 46-jährige Khaled Jebbari ist als Streetworker der Diakonie Michaelshoven Ansprechpartner für Menschen aus Ost-Europa, die keine Ansprüche auf Sozialleistungen haben. Petra Hastenteufel von der Beratungsstelle Oase Benedikt Labre hilft Menschen, die Ansprüche auf Leistungen haben, diese auch zu erhalten.

Wichtig ist beiden, dass „obdach- oder wohnungslose Menschen nicht ständig stigmatisiert werden“, sagt Hastenteufel. „In der Öffentlichkeit wird oft mit den Fingern aufs Elend gezeigt, Obdachlose gelten da oft als Störfaktor. Wir erleben in unserer täglichen Arbeit Menschen mit faszinierenden Lebensläufen und Persönlichkeiten – aus allen Schichten übrigens.“

Petra Hastenteufel und Khaled Jebbari kümmern sich um Obdachlose in der Kölner City.

Petra Hastenteufel und Khaled Jebbari kümmern sich um Obdachlose in der Kölner City.

Die öffentliche Debatte um Verelendung, die sich am Neumarkt und Wiener Platz, Eigelstein, Ebertplatz, Dom, Hauptbahnhof oder Chlodwigplatz zeigt, verfolgen Jebbari und Hastenteufel. Sie haben eine andere Sicht auf die Dinge als diejenigen, die beschreiben, dass Armut und Verwahrlosung in der Kölner City immer sichtbarer würden. „Armut, suchtkranke Menschen und Obdachlose gab es in Köln immer“, sagt Jebbari. „Sie waren in Köln auch immer sichtbar, weil es hier ein dichtes Netzwerk an Hilfen gibt – und eine Großstadt für Menschen ohne Geld einfach interessant ist“, meint Hastenteufel.

Mundharmoniker-Spieler, schlafende, offenbar betrunkene Frau und Passanten vor dem Eingang zum Hauptbahnhof am Breslauer Platz.

Alltägliches Bild vom Breslauer Platz - eine offenbar nicht nüchterne Frau liegt vor einem Eingang zum Hauptbahnhof.

Die Fragen, die sich ihr stellen: „Wem gehört die Stadt? Nur den Menschen, die Geld haben und in der City einkaufen gehen? Oder allen?“

Jebbari und Hastenteufel sind täglich an den Hotspots für Drogensüchtige, Wohnungs- und Obdachlose unterwegs. Manche Geschäftsleute sähen Bettler und vor den Eingangstüren Schlafende als Störfaktor – „die meisten aber sind wohlwollend“, sagt Petra Hastenteufel.

Man könne Menschen „nicht verbieten, zu trinken, Drogen zu nehmen, zu verwahrlosen – und wenn man sie vertreibt, löst man keine Probleme: Dann werden sie sich an einem anderen Ort niederlassen“. Zu sehen war das nicht nur nach den sexuellen Übergriffen in der Kölner Silvesternacht, nach der sich die nordafrikanische Dealerszene Richtung Eigelstein und Ebertplatz orientierte.

Dass hier viele Menschen aus Bulgarien, Polen und Rumänien in Pflegediensten, Altenheimen und bei Reinigungsfirmen arbeiten, kritisiert niemand
Sozialarbeiter Khaled Jebbari

Das vor allem von der AfD benutzte Argument, die EU-Osterweiterung und die eingeführte Freizügigkeit des Reisens und Arbeitens habe die Armutsprobleme vergrößert, halten die Kölner Streetworker für „vergiftet und falsch“, wie Hastenteufel sagt. Zwar zeigt die Wohnungslosen-Szene am Bahnhof und in den Einkaufsstraßen, dass nicht nur gut ausgebildete oder lernwillige Menschen aus Ost-Europa nach Köln kommen.

„Aber schauen Sie sich mal bei den Seniorenheimen, Pflegediensten, Krankenhäusern, im privaten Pflegebereich oder bei Gebäudereinigungen um“, sagt Jebbari. „Dass hier viele Menschen aus Bulgarien, Polen und Rumänien arbeiten und ein System aufrechterhalten, wird niemand kritisieren.“ „Die Freizügigkeit innerhalb der EU hat weit mehr Vor- als Nachteile“, sagt Hastenteufel.

Den Vorwurf, die Stadt tue zu wenig gegen das Elend, teilen die Sozialarbeiter nicht: Das Hilfesystem für obdach- und wohnungslose Menschen in Köln sei „bestimmt noch erweiterungs- und ausbaufähig, aber im Vergleich zu anderen Städten im Kern gut“.

Die Einführung eines „Anonymen Krankenscheins“ für Menschen ohne Krankenversicherung sei ein „wichtiger Schritt“. Ungelöst seien Probleme wie die medizinischer Versorgung von Obdachlosen mit schweren Erkrankungen, Drogenentzug, Therapien – und Pflege von Menschen ohne Krankenversicherung. „Verbessern werden wir die Situation nur dann, wenn wir möglichst vielen Menschen helfen“, sagt Petra Hastenteufel. „Und nicht, wenn wir sie verteufeln und vertreiben.“

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