„Schulz-Effekt“Zu Besuch bei Ortsvereinen der SPD und CDU: Die Basis ist belebt

Lesezeit 6 Minuten
„Ich bin ein ganz enger Freund von Martin Schulz!“ – SPD-Gesundheitsexperte Lauterbach in Köln-Mülheim. 

„Ich bin ein ganz enger Freund von Martin Schulz!“ – SPD-Gesundheitsexperte Lauterbach in Köln-Mülheim. 

Mülheim/Junkersdorf – Tobias Jacquemain ist 27 Jahre alt. Politologe. Wissenschaftlicher Referent des SPD-Gesundheitsexperten Karl Lauterbach. Und im Moment äußerst zufrieden. Nicht nur, weil sein Chef eine gut besuchte Abendveranstaltung zur Pflegeversicherung im Mülheimer Bezirksrathaus moderiert und versichert, die eine oder andere Statistik zu überspringen.

Sondern auch, weil der Mann mit der Fliege mindestens zehnmal am Abend betont, „wie eng“ er mit „unserem Martin Schulz ist“. Wie eng sein Draht zum designierten Kanzlerkandidaten der Sozialdemokraten. Denn seit Schulz sich aus der EU-Politik verabschiedet hat, um sich nach Berlin zu orientieren, „hat die Partei einen deutlichen Schub gekriegt“, sagt Jacquemain, einen Schub, den man bis Mülheim spüren kann.

Gesprächsszene bei einem Treffen der SPD in Köln-Mülheim.

Gesprächsszene bei einem Treffen der SPD in Köln-Mülheim.

Sein 180-Genossen-Ortsverband ist in den letzten Tagen und Wochen um etliche Mitglieder gewachsen, das hat er lange nicht mehr erlebt. Und er weiß schon jetzt, dass er wesentlich einfacher Leute motivieren können wird, die im Wahlkampf helfen als es für Sigmar Gabriel der Fall gewesen wäre: „Wahlkampf macht einfach mehr Freude, wenn man weiß, der Kandidat hat gute Chancen.“ Gabriel, so schwingt da mit, habe genau das nicht ausgestrahlt.

Alles zum Thema Angela Merkel

"Schulz wirkt glaubwürdig"

Die neuen Parteimitglieder sind keine Rückkehrer aus mittleren Jahrgängen – sondern junge, neue Leute, viele mit Studium, etliche mit Migrationshintergrund. Leider, wie Jacquemain zugibt, nur wenige Frauen. 

Einer der jungen Leute ist Hussein Karabacak (20), geboren in Mülheim, gelernter Koch, tätig in einem renommierten Hotel, Gewerkschafter – „und glühender Europäer, nicht nur, weil unsere Familie aus dem europäischen Teil der Türkei stammt“. Vor allem deswegen wird er Martin Schulz „mit voller Power“ unterstützen. Dass es unter Schulz ganz konzentriert um Fragen der „sozialen Gerechtigkeit“ gehen wird, beflügelt ihn – und, wie er sagt, viele der jungen Anhänger des neuen Spitzenkandidaten. „Schulz wirkt echt und glaubwürdig.“ Klar, Hussein wird Plakate kleben und für Schulz twittern.

Neuer Inhalt

Zu Gast beim SPD Ortsverein in Köln-Mülheim.

Hat Gabriel denn gar keine Anhänger mehr in der Mülheimer SPD? Da wird es ein bisschen still – und die Aussagen dehnen sich ins Ungefähre: Gabriel habe einen schweren Job übernommen, da könne man es nie jedem recht machen: Mindestlohn hin oder her, so eine große Koalition sei ein schwieriges Geschäft.

„Vielleicht“, so wagt einer (aber ohne Namensnennung) zu sagen, „hat Gabriel das alles zu sehr aufgerieben, und er hat gespürt, dass ihm zum Sieg, im Endspurt die Strahlkraft gefehlt hätte“. Sein Rückzug sei jedenfalls einigermaßen würdig verlaufen. Aber genug jetzt – die Genossen wollen nach vorne blicken. Kein Wort davon, dass diese Entscheidungen im sehr kleinen Kreis gefällt wurden – ganz ohne die vielbeschworene Basis.

Neuer Inhalt (1)

„Es macht einfach mehr Spaß, einen Wahlkampf zu organisieren, wenn man gute Chancen sieht.“ – Tobias Jacquemain (27, SPD)

Die Mülheimer Basis, wie sie an diesem Abend versammelt ist, wirkt enthusiasmiert angesichts der neuen Nachrichten und Umfragewerte aus Berlin. Und obwohl Europapolitik nicht als Straßenfegerthema gilt, ist es grade diese thematische Stärke von Martin Schulz, die die jungen Neumitglieder rühmen. Auch die Mülheimer Juso-Frau Alexandra Petkovic (20): „Der Aktionsradius meiner Generation endet nicht an deutschen Grenzen, der zieht sich über den ganzen Kontinent Europa.“

Die junge Frau (ihre Eltern wanderten in den 80ern aus Ex-Jugoslawien ein) war in Berlin im Willy-Brandt-Haus zugegen, als Schulz sich als neuer Spitzenmann vorstellte: „Diese Energie zu spüren, diese Präsenz, als er den Raum betrat – und die Intensität des Applauses … Das habe ich so noch nicht erlebt“, sagt Petkovic. „Europapolitik wird als unnahbar wahrgenommen, aber Schulz nicht. Er wirkt authentisch. Und mir gefällt seine klare Abgrenzung gegen rechten Populismus.“ Sein unkonventioneller Lebensweg, seine Brüche und Knicke – all das spreche nicht gegen, sondern für ihn.

Neuer Inhalt (1)

„Schulz ist authentisch, und er hält sich an seine Prinzipien, der wackelt nicht.“ – Hussein Karabacak (20, SPD)

Wie geschickt, dass Lauterbach in seinen Vortrag den Satz einflechten kann: „Fehler sind der Beginn des Lernens.“ Die Mitglieder, schon halb im Gehen, sprechen von einer „allgemeinen Merkel-Müdigkeit“ und davon, dass mit Schulz ein „entschiedener Mann der klaren Worte antritt“. Jacquemain beschwört die Nähe, die Schulz zu Köln an den Tag legt. Dessen Bruder Walter ist Kölner Ratsmitglied, Schulz selbst seit 2004 Europa-Abgeordneter für den Regierungsbezirk …  Ja. Und anders als Lauterbach („Mit wäre ein Veggie-Burger lieber“) hätte Schulz auch von der Currywurst gegessen, die ein Gastronom den Genossen gespendet hat.

Barbara A. Cepielik

„Die Leute diskutieren eher über seinen Bart“ – Kölner CDU-Mitglieder über Martin Schulz 

Bürgerstammtisch der CDU in Köln-Junkersdorf.

Bürgerstammtisch der CDU in Köln-Junkersdorf.

Harald Geiss ist 1981 in die CDU eingetreten. Damals war Helmut Schmidt (SPD) Bundeskanzler, die Debatte um den Nato-Doppelbeschluss spaltete die Gesellschaft. Der promovierte Historiker glaubte daran, dass die Strategie der atomaren Abschreckung den Frieden in Europa sichern könnte. „Lange her“, sagt Geiss und schmunzelt. Der Union ist er treu geblieben. „Obwohl ich in der letzten Zeit oft mit der CDU gehadert habe“, fügt er hinzu. 

Harald Geiss sitzt mit seinen Parteifreunden im Kartoffelhaus „Anno Pomm“ in Köln-Junkersdorf – beim monatlichen Bürgerstammtisch des CDU-Ortsverbands 33. An der rustikalen Tafel geht es familiär zu. Die Gespräche drehen sich normalerweise um die Alltagsprobleme im Kölner Westen. Diesmal wird bei Kölsch und Kartoffelauflauf aber über die „große Politik“ diskutiert.

Kann Martin Schulz Angela Merkel gefährlich werden?

Es ist die erste Sitzung, nachdem die Kür von Martin Schulz der SPD zu einem Stimmungshoch verholfen hat. Was bedeutet seine Kandidatur für die Union – kann der Mann aus Würselen die Kanzlerschaft von Angela Merkel in Gefahr bringen? „Eigentlich nicht“, sagt Svenja Führer. Die Diplom-Betriebswirtin engagiert sich bei der Kölner Syrien-Hilfe und steht voll hinter Angela Merkels Flüchtlingspolitik. „Ich hoffe, dass sich die Wähler in Deutschland nach dem Brexit und der Trump-Wahl für Kontinuität entscheiden“, sagt die 44-Jährige. Merkel stehe als Fels in der Brandung der internationalen Politik. Die Erfahrung sei ihr großer Pluspunkt.

Neuer Inhalt

„Ich hätte Horst Seehofer als Kanzlerkandidat der Union vorgezogen.“ – Alice Wiedenbeck (40, CDU)

Roya Zuch, erst kürzlich in die Union eingetreten, nickt. „Die Leute diskutieren eher über seinen Bart oder das nicht vorhandene Abitur von Schulz, aber nicht über Inhalte“, sagt die 35-Jährige. Der Hype um Schulz werde schnell vergehen, wenn es im Wahlkampf um Sachthemen gehe. Denn inhaltlich habe sich am SPD-Programm durch den neuen Kandidaten nichts geändert. „Die kleinen Leute sind den Sozis schon vor Jahren weggelaufen. Die holt auch Schulz nicht zurück“, meint der Rentner Michael Meier-Sieren.

Neuer Inhalt (1)

„Ich würde mir ein Bündnis mit den Grünen nach der Bundestagswahl wünschen.“ – Harald Geiss (68, CDU)

Neben dem ehemaligen Immobilien-Kaufmann sitzt Horst Nettesheim. Der 78-Jährige, der die Fraktion der CDU im Stadt-Bezirk Köln-Lindenthal anführt, ist der gleichen Meinung. „Schulz wirkt auf mich unglaubwürdig. Der hat es sich mit einem Top-Gehalt in Europa jahrelang bequem gemacht. Jetzt spielt sich der Raffzahn zum Schutzpatron der sozial Schwachen auf. Das geht im Wahlkampf nach hinten los.“

Angela Merkel habe der Union viel zugemutet, findet der ehemalige Mitarbeiter des Verteidigungsministeriums in Bonn. Die Union sei ja eigentlich einen „brave Partei“, aber der Ärger über die Flüchtlingspolitik habe auch Stammwähler auf die Palme gebracht. Nun, da die „Invasion“ gestoppt sei, könne man wieder nach vorne blicken, sagt Nettesheim. Auch nach einem Wahlsieg müsse die Union dann schnell über die Nachfolge nachdenken: „Jens Spahn wäre einer, dem ich viel zutraue.“

Junkersdorf ist eine CDU-Hochburg in Köln

Bei der Kommunalwahl 2014 hatte die CDU in Köln-Junkersdorf 42,9 Prozent der Stimmen geholt – mehr als doppelt so viel wie die SPD. Harald Geiss glaubt, dass die Kür von Schulz in der CDU-Hochburg einen Motivationsschub auslöst. „Die Flüchtlingspolitik hat bei vielen Frust und eine Merkel-Müdigkeit ausgelöst. Jetzt besteht die Chance, dass die CDU wieder wach wird.“

Gerhard Voogt  

KStA abonnieren