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Drogenszene in KölnWarum ein Ex-Abhängiger Führungen am Neumarkt anbietet

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7 min
Markus war jahrelang Crack- und Heroinabhängig. Heute gibt er Rundgänge über den Neumarkt.

Markus war jahrelang Crack- und Heroinabhängig. Heute gibt er Rundgänge über den Neumarkt.

Bundesweit ist der Neumarkt zum Symbol für Drogenverelendung geworden. Markus lebte dort lange selbst als Abhängiger. Heute sagt er: „Ich will verhindern, dass Köln zum Shithole wird.“

„Willkommen in der Casa de Markus“, sagt Markus und tippt mit seinem Gehstock auf eine kleine Nische in der Breite Straße. Auf dem Griff prangt ein silberner Totenkopf. „Notausgang! Bitte unbedingt freihalten“, steht dort auf einer Glastür, die zur Galeria-Filiale gehört. Hier, erzählt Markus, habe er einst gewohnt – sein letztes Zuhause auf der Straße, mitten in der Kölner Innenstadt, nur ein Steinwurf vom Neumarkt entfernt.

„Ich war froh, diesen Platz gehabt zu haben“, sagt er heute, rund neun Jahre später. Betteln ließ es sich dort gut, die Stelle bot Schutz vor Regen, und dank der dort installierten Kameras fühlte er sich sicher. „Und klar“, fügt er hinzu, „der Weg zu den Drogen war auch nicht weit.“ Komme er heute an dieser Tür vorbei und denke daran zurück, „dann wird mir ganz anders.“

Schon seit Jahrzehnten gilt der Neumarkt als Treffpunkt der harten Drogenszene in Köln. Doch seit ein paar Jahren, spätestens seit Crack die Szene erobert hat, spitzt sich die Lage dramatisch zu. Bundesweit ist der Kölner Neumarkt zu einem Symbol für Verelendung und Drogenkriminalität geworden.

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Die Vorzeichen im Leben von Markus standen gut

Markus, 41, komplett in schwarz gekleidet, rotgetönte Brille, war jahrelang Teil dieser Szene. Er lebte, konsumierte, schlief hier. Der Neumarkt ist für Markus aber noch mehr als nur ein Ort, an dem er tief im Sumpf der Drogen feststeckte. Es ist auch der Ort eines Neubeginns für ihn: Hier lernte Markus seine Partnerin kennen, hier begann sein Weg aus der Sucht – und weg von der Straße.

Zusammen mit dem Betreiber des Instagram-Account „koeln.trash“, der die zunehmende Verwahrlosung Kölns dokumentiert und bekämpft, führt Markus heute regelmäßig Menschen über den Neumarkt. Er zeigt die Orte, die damals Teil seines Alltags mit der Sucht auf der Straße waren – und versucht so, über das Drogenelend auf dem Neumarkt aufzuklären, wie er sagt. „Wir wollen verhindern, dass Köln zum Shithole wird.“

Drogenabhängige prägen das Stadtbild am Neumarkt stark.

Drogenabhängige prägen das Stadtbild am Neumarkt stark.

Dabei standen die Vorzeichen in Markus Leben gut: Er wuchs als Adoptivkind in einem Dorf bei Weinheim in bildungsbürgerlichen Verhältnissen auf – der Adoptivvater Richter, die Mutter Lehrerin. „Ich hatte wirklich alle Möglichkeiten, etwas aus mir zu machen“, sagt er.

Warum es trotzdem nicht funktioniert hat, darüber hat Markus viel nachgedacht – das merkt man ihm an. „Ich glaube, das Problem war, dass meine Eltern aus mir etwas machen wollten, was ich nicht war“, sagt er. „Dagegen habe ich rebelliert – und irgendwann ist es eskaliert.“ Gleichzeitig, glaubt Markus, gebe es so etwas wie ein Suchtgen – und er selbst trage es in sich. „Ich erinnere mich noch genau, wie ich mit elf das erste Mal gekifft habe und dachte: Dieses Gefühl will ich für immer. Und so war es mit jeder Droge – ob Koffein, Nikotin oder später Heroin und Kokain. Mein Selbsterhaltungstrieb war komplett ausgeschaltet.“ Ähnlich sei es vielen Leuten auf der Straße ergangen, die er kennengelernt hat, sagt er.

Ein Leben zwischen Straße, Rausch und Knast

Seitdem jedenfalls ging es stetig bergab in Markus Leben. Mit elf Jahren, sagt er, ging er zum Jugendamt und verlangte, ins Kinderheim zu kommen. Er schwänzt die Schule, landet mit 15 in einem Heim für schwer erziehbare Kinder, fängt dort mit Ecstasy und Speed an. „Mit 18 landete ich dann als dummes Kind in der freien Welt und wusste nicht, was ich mit mir anfangen soll.“ Das Einzige, was er kannte, waren die Drogen. „Und da war es nur eine Frage der Zeit, bis ich angefangen habe, Haschisch zu verkaufen. Und nur eine Frage der längeren Zeit, bis ich mit Heroin angefangen habe.“ Später kamen auch Kokain und Crack dazu.

Zwei Jahre später landet Markus schließlich wegen EC-Kartenbetrug im Gefängnis. „Meine Freundin hat mal gesagt, ich sei wie ein Gummiband im Gefängnis gewesen. Am Anfang hat jemand es festgehalten, als ich reingekommen bin. Dann wurde es immer weiter aufgezogen. Und als ich rausgekommen bin, hat man hinten losgelassen“, sagt Markus. „Ab da hat’s vielleicht ein halbes Jahr gedauert, bis ich schwerstabhängig auf der Straße gelandet bin.“ Ein Jahrzehnt lebte Markus auf den Straßen Deutschlands, sieben Jahre davon in Frankfurt, wo Crack schon lange eine Rolle in der Drogenszene spielt.

Markus vor seinem letzten Schlafplatz auf der Straße

Markus vor seinem letzten Schlafplatz auf der Straße

„Ich habe viele Leute auf der Straße sterben sehen und wusste genau, was mir blüht, wenn es so weitergeht“, erzählt Markus. „Eines Morgens bin ich aufgewacht, und ein letzter Rest von Selbsterhaltungstrieb ist in mir aufgeflammt.“ Um dem Crack zu entkommen, macht er sich von Frankfurt aus auf den Weg nach Köln. „Ich kannte die Stadt. Klar, es gab auch hier eine Szene, aber die war viel kleiner, die Hilfsmöglichkeiten besser – und vor allem gab es kein Crack.“

Als er 2016 in Köln ankommt, ist er geschockt. „Es war krass, wie viel sich in der Zwischenzeit verändert hat, wie sehr der offene Konsum auf der Straße angekommen war.“ Die Verhältnisse von vor neun Jahren seien allerdings kein Vergleich zu heute: „Crack macht den Neumarkt zur Hölle. Die Szene ist aggressiver – und komplett anders, als ich sie kannte.“

Ein Bus für die Szene am Neumarkt als Sofortmaßnahme?

Ein paar Meter entfernt von seinem letzten Schlafplatz auf der Straße setzt sich Markus auf eine Bank in der Zeppelinstraße und stützt sich auf seinen Gehstock, eine weitere Station auf seiner Führung. „Für mich ist das ein schicksalhafter Ort.“ Dort saß Markus auch 2016, als er ins Gespräch mit einer Frau kommt, die ihm Geld gibt. Am nächsten Tag ist sie wieder da – und in den folgenden zwei Wochen jeden Tag. Aus dieser Begegnung wird eine Partnerschaft, die Markus schließlich den Weg von der Straße und den Drogen wegführt. „Heute kann ich sagen, dass kaum noch Gefahr besteht, rückfällig zu werden. Aber es bleibt ein Kampf.“

Am Neumarkt selbst angekommen, deutet Markus auf mehr als ein halbes dutzend Mannschaftswagen der Polizei, die sich ein paar Meter weiter aufgereiht haben und winkt ab. Es ist ein Herbsttag, eine Woche vor der Stichwahl zur Oberbürgermeister-Wahl. Eine ältere Frau kommt auf ihn, den Reporter und den Fotografen des „Kölner Stadt-Anzeiger“ zu: „Das ist ja beängstigend. Was sollen denn die ganzen Polizisten hier?“ fragt die Frau in die Runde. „Das ist wegen der Suchtkranken hier. Die werden jetzt weggejagt“, antwortet Markus ihr. Seinem Eindruck nach sei die Polizeipräsenz rund um die Oberbürgermeisterwahl sogar noch erhöht worden. „Dafür verlagert sich die Szene nun einfach nach Ehrenfeld. Das ist doch auch keine Lösung“, findet er.

Markus glaubt, dass Polizeipräsenz alleine nicht viel bringen wird.

Markus glaubt, dass Polizeipräsenz alleine nicht viel bringen wird.

Doch was ist die Lösung für das Drogenelend in Köln? Auch Markus spricht sich für das viel diskutierte Zürcher Modell aus, das unter anderem mehrere Drogenhilfszentren mit umfassender medizinischer und psychologischer Unterstützung vorsieht. Auch der Kleinhandel ist in den Einrichtungen in Zürich erlaubt, um die Szene von der Straße wegzubekommen.

Doch bis ein solches Konzept in Köln umgesetzt wird, wird es dauern – das weiß auch Markus. Als Sofortmaßnahme schlägt er einen Bus auf dem Neumarkt vor. Dieser könnte den Abhängigen als Postadresse dienen, um Behördengänge zu erledigen, und Sozialarbeiter könnten vor Ort bei der Vermittlung von Hilfsangeboten helfen. „Das könnte für viele Leute ein erster Schritt raus aus der Sucht sein“, sagt Markus.

Vielleicht, hofft er, könne auch seine gemeinsame Tour mit „Köln.Trash ein wenig an der Situation rund um den Neumarkt ändern. „Wenn ich den Leuten zeige und erzähle, was ich erlebt habe, und was so viele andere hier erleben, entsteht ein größeres Bewusstsein, eine größere Sensibilität für die Lage“, hofft er. „Wenn ich so nur eine Person von den Drogen abhalten kann, dann habe ich schon gewonnen.“

Wer an einer Führung teilnehmen möchte, kann sich unter https://koelntrash.simplybook.it/v2/ melden. Eine Führung kostet für Erwachsene 20, für Studenten 15 und für Schüler 10 Euro.