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Eine Stimme gebenKölner Berufskolleg bringt Biografien jüdischer Schüler auf die Bühne

Lesezeit 3 Minuten
Sechs junge Menschen stehen auf einer Bühne, sie halten Stolpersteine in der Hand.

Abiturienten des Berufskollegs erinnern an Schicksale jüdischer Schüler.

Das Berufskolleg an der Lindenstraße in der Innenstadt erinnert an Schüler, die einst die Israelitische Volksschule besuchten. 

Ein Gymnasium, das neben BWL, Marketing oder Rechnungswesen weitere Schwerpunkte in den Bereichen Literatur und darstellende Künste legt, ist in der Bildungslandschaft nicht gerade die Regel. Das Berufskolleg an der Lindenstraße (BkaL) vereint nüchterne Fakten und kaufmännische Strategien bewusst mit den musischen Elementen. So sind Theaterprojekte fest im Lehrplan verankert und repräsentieren die kulturelle Vielfalt und die Kreativität der zukünftigen Geschäftsleute.

Nach zweijähriger Pause aufgrund der Corona-Pandemie wartete das Leitungsteam um die Pädagogen Irene Martschukat, Luzia Tallon, Lars Lamers sowie rund 60 Akteuren der Jahrgangsstufe 13 mit einem Ehemaligentreffen der besonderen Art auf: In drei szenischen Darstellungen setzten sich die jungen Erwachsenen in einer einmaligen Vorstellung mit den Lebensgeschichten von Schülerinnen und Schülern der Städtischen Israelitischen Volksschule Lützowstraße auseinander.

Exkursion zu den Stolpersteinen im Belgischen Viertel

Informationen zu den Biografien waren den Projektteilnehmern unter anderen durch die Initiative „Lern- und Gedenkort Jawne“ zur Verfügung gestellt worden. Von 1922 bis 1938 zählte die Einrichtung an der Lützowstraße mit über 700 Kindern zu den größten öffentlichen jüdischen Volksschulen in Deutschland. Heute gehört das Gebäude zum Areal des Berufskollegs. Nach über sechsmonatigen Vorbereitungen, zu denen auch Exkursionen zu den Stolpersteinen im Belgischen Viertel gehörten, kam es in der voll besetzten Aula zu einer emotionalen Darbietung, die an das Schicksal der jüdischen Mitbürger erinnerte und zugleich aktuellen extremistischen Tendenzen eine klare Absage erteilte.

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„Was geht uns das alles an?“, stellt eine Akteurin die oftmals gehörte Frage jüngerer Generationen in Bezug auf die Geschehnisse im Deutschland der 1930er Jahre. „Genau so viel wie die Menschen damals“, so die Antwort mit dem Verweis auf existierende Fremdenfeindlichkeit, Vorurteile und Hass gegenüber Geflüchteten oder Menschen mit Migrationshintergrund. „Die Zeit vergeht, der Antisemitismus bleibt“, fasste einer der Darsteller lakonisch die Realität des 21. Jahrhunderts in wenige Worte.

Wie fühlt sich Ausgrenzung an?

Gemeinsam dem Credo verbunden, dass Erinnern besser sei als Mahnen, näherte sich das Ensemble sensibel ihren Vorgängerinnen und Vorgängern an der Bildungseinrichtung. Fragen wie „Gab es Tage, an denen ihr glücklich wart?“ oder „Wie fühlt sich Ausgrenzung an?“ stellen die Schüler von der Bühne aus. Wichtig sei vor allem gewesen, eigene Emotionen wiederzugeben, erklärte Ensemblemitglied Vincent Wegmann. Der 20-Jährige empfand die Zusammenarbeit mit dem Team als intensive Phase.

„Leider profitieren wir von den Erfahrungen, die andere erst machen mussten. Die Arbeit am Theaterstück hat mir gezeigt, dass es möglich ist, aus der Geschichte zu lernen, obwohl sie so grausam ist“, berichtete der Wirtschaftsabiturient aus Dellbrück. Positiv reflektierte auch Mitschülerin Sophie Haumann die ungewohnten Schulstunden: „Es ist allen von uns klar geworden, dass niemand aufgrund seiner Herkunft, Religion, des Geschlechts oder der sexuellen Orientierung ausgeschlossen werden darf. Das ist leider immer noch ein Thema“, sagte die 20-jährige Ehrenfelderin.

Das Berufskolleg Lindenstraße (BkaL) ist mit über 4000 Schülerinnen und Schülern sowie mehr als 150 Lehrerinnen und Lehrern eine der größten Berufsschulen der Stadt und verteilt sich auf drei Standorte: Lindenstraße 78, Richard-Wagner Straße 47, Lochner Straße 13-15. Der Fokus liegt auf Fächern für kaufmännische Berufe. Auf dem heutigen Areal des Berufskollegs an der Lindenstraße, befand sich von 1922 bis 1938 die Städtische Israelitische Volksschule, die in ihren Hochzeiten bis zu 700 Kinder unterrichtete. Der Eingang war an der Lützowstraße. Auskünfte über die Historie der einstigen Isrealitischen Volksschule erteilen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Lern- und Gedenkorts Jawne telefonisch unter 0175/221 16 20. 

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