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Kölner OberbürgermeisterinReker fordert No-Covid-Strategie für ganz Deutschland

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Reker Interview 191220

Henriette Reker will in Köln die „No-Covid-Strategie“ durchsetzen.

Köln – Henriette Reker ist unzufrieden. Die Kölner Oberbürgermeisterin fordert eine neue Strategie in der deutschen Corona-Politik. „Ich habe mich bereits mehrfach zur No-Covid-Strategie bekannt, die einen Strategiewechsel vorsieht“, sagt die 64-Jährige dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ gegenüber. Sie stelle fest, dass „die Menschen zunehmend erschöpft und immer weniger bereit sind, Einschränkungen hinzunehmen.“ Insbesondere dann, wenn ihre ökonomischen Existenzen gefährdet seien. Ändern könnte dies eine Strategie mit klarer Zielvorgabe, so ihre Hoffnung: „Wenn eine niedrige Inzidenz automatisch Lockerungen bedeutet und eine steigende Inzidenz zu harten Einschränkungen führt, ist das transparent“, sagt Reker.

Doch die Oberbürgermeisterin sieht ihre politischen Optionen beschränkt. „Eine No-Covid-Strategie können wir nur verfolgen, wenn uns als Kommune ein größerer Spielraum als bislang eingeräumt wird, um schneller auf Entwicklungen zu reagieren“, sagt Reker. So habe das Land „beispielsweise eine Ausgangssperre und ein stadtweites Alkoholkonsumverbot abgelehnt, obwohl aus unserer Sicht beides wirksame Maßnahmen gewesen wären.“ Die No-Covid-Strategie sehe vor, „dass wir sofort und hochdynamisch agieren können müssen“, um dem Infektionsgeschehen einen Schritt voraus zu sein.

OB Reker hält Belohnungssystem für geeignet

Die Stadt Köln sei mehrfach vorangeschritten, bei einer systematischen Testung in den Heimen ebenso wie beim Alkoholverbot in Hotspots und bei einer sofortigen Quarantänepflicht nach der Testung – und habe „gute Erfahrungen damit gemacht“. Um die Menschen weiterhin zu motivieren, halte Reker „ein Belohnungssystem, wie es die Forscher der No-Covid-Initiative zuletzt skizziert haben, für besonders geeignet.“

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Michael Hallek ist Direktor der Klinik I für Innere Medizin an der Uniklinik Köln und Mitinitiator der „No-Covid“-Strategie. Zusammen mit einer Gruppe von Wissenschafterinnen und Wissenschaftlern unterschiedlicher Disziplinen will er die Sieben-Tage-Inzidenz unter einen Wert von zehn gedrückt sehen. In den „grünen“ Regionen, in denen dieses Ziel erreicht wird, seien dann auch Lockerungen vertretbar. Derzeit sehen die Bund-Länder-Beschlüsse eine Ziel-Inzidenz von 35 vor.

„No-Covid“ in Köln: Die Pläne im Einzelnen

Hallek betont die Notwendigkeit eines abgestimmten Vorgehens. „Das Konzept der grünen und roten Zonen können Sie nicht in einem Alleingang als Insellösung einführen. Es funktioniert nur, wenn die Städte und Gemeinden einer Region gemeinsam im Boot sind.“ Das liege aber auch im gemeinsamen Interesse. „Jede Kommune, die ihre Inzidenzwerte erfolgreich nach unten gedrückt hat, wird alles tun, das Erreichte zu sichern.“ Es sei eine Frage des politischen Willens. „Aber ich bin überzeugt, der Einsatz lohnt sich, weil alle wieder öffnen wollen“, sagt der Mediziner dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

Stadt und Uniklinik seien schon länger im engen Austausch, betont Reker. Dabei geht es auch um die Frage, „welche rechtlichen Voraussetzungen geschaffen werden müssten.“ Für ein genaues Bild des Infektionsgeschehens brauche man „einen einfacheren Zugang zu PCR-Tests“ und müsse „erreichen, dass positive Schnelltestergebnisse vollständig gemeldet werden.“ In der Kontaktaufnahme zu Indexpersonen stehe Köln gut da, so Reker: „Wir haben frühzeitig auf digitale Prozesse gesetzt und den Personalbestand des Gesundheitsamtes vervielfacht.“ Man müsse allerdings noch erreichen, dass Betroffene mit dem Auftreten von Symptomen dem Gesundheitsamt ihre Kontakte der letzten zwei Tage „vor Beginn der Symptomatik angeben.“ Gemeinsam mit der Uniklinik erarbeite das Gesundheitsamt derzeit ein Konzept für eine neue Kölner Teststrategie, so Reker.

Mit der Stadt würden verschiedene Möglichkeiten erörtert, verstärkt zu testen, Kontakte von Infizierten zu verfolgen und die positiv Getesteten schnell zu isolieren, betont auch Michael Hallek. Dieser dreiteilige TTI-Prozess (Tests, Tracing, Isolation) könne gezielt beschleunigt werden – mit technischer Vernetzung und der automatisierten Übergabe der Daten aus Antigen- und Schnelltests. Spezialfirmen böten dazu intelligente und praktikable Lösungen an. „Wir müssen jetzt schleunigst die Programmierer und die Gesundheitsämter zusammenbringen“, sagt Hallek.

Auch Kölner Medizin-Ethikerin für „No-Covid“

Auch die Kölner Medizin-Ethikerin Christiane Woopen, Mitglied im Corona-Expertenrat der NRW-Landesregierung, wirbt für „ermöglichende Technologien“ zur Senkung der Inzidenzwerte im Sinne der No-Covid-Strategie. „Die Zielsetzung halte ich für absolut richtig: Wenige oder gar keine Infektionen bedeuten weniger schwere Krankheitsverläufe, wenige oder gar keine Neuansteckungen und damit auch ein geringeres Risiko für gefährliche Mutationen, letztlich ein freieres Leben für alle“, sagt Woopen dem „Kölner Stadt-Anzeiger“.

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Auf dem Weg dahin sollten neue technische Hilfsmittel wie die „Luca App“ eingeführt werden, so Woopen. „Da registriert man sich über einen QR-Code an allen Orten, an denen man sich aufhält. Über eine verschlüsselte Datenübermittlung lassen sich Kontakte zu positiv Getesteten dann sehr leicht nachvollziehen.“

Sie verstehe nicht, warum solche technischen Lösungen nicht von der Regierung gefördert und auf gesetzlicher Grundlage eingeführt würden. „Grundrechtseingriffe halten sich hier sehr im Rahmen und sind allemal verhältnismäßiger als der brutale Lockdown mit der Stilllegung ganzer Lebensbereiche.“

Henriette Reker hält kurzen, konsequenten Lockdown für zielführend

Insgesamt habe Deutschland in der Pandemie-Bekämpfung „einiges richtig gemacht“, sagt Henriette Reker. Geschadet habe hingegen, „dass wir – damit meine ich Bund, Länder und Kommunen gleichermaßen – oftmals zu zögerlich waren.“

In der aktuellen Phase der Pandemie halte sie „einen kurzen, konsequenteren Lockdown für zielführend.“ Um die Corona-bedingten Einschränkungen möglichst schnell und nachhaltig lockern zu können.

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