Der Beschuldigte war ohne Führerschein und mit Tempo 186 bei erlaubten 80 unterwegs.
Kölner StadtautobahnUnfallfahrer hatte Sprengsatz im Kofferraum – jetzt ist das Urteil da

Der Beschuldigte mit seiner Verteidigerin Pina Klara beim Prozessauftakt im Kölner Amtsgericht
Copyright: Hendrik Pusch
Mehr als 100 Kilometer pro Stunde schneller als erlaubt raste ein junger Mann in seinem geliehenen Golf GTI mit 300 PS, als er im Bereich des Kalker Tunnels auf der Stadtautobahn die Kontrolle verlor. Er krachte in die Leitplanke, der Neuwagen war nur noch Schrott. Doch nicht der Umstand der Raserei ohne Führerschein machte den Prozess vor dem Amtsgericht besonders, sondern die Ladung, die sich im Kofferraum fand: ein Sprengsatz. Donnerstag fiel das Urteil – es lautete auf Haft ohne Bewährung.
Köln: Angeklagter sprach von Angriff und Verfolgungsjagd
Trotz des Urteils von neun Monaten Gefängnis kam der Angeklagte mit einem blauen Auge davon. Hatte ihn die Staatsanwaltschaft doch nicht nur wegen des Besitzes des Sprengstoffs, sondern auch wegen der Vorbereitung eines Explosionsverbrechens angeklagt, was aber nicht bewiesen wurde. Durch die Akte waberte die Aussage eines Bekannten, der dem Beschuldigten nicht nur einen florierenden Drogenhandel attestierte. Sondern auch vom Plan, abermals einen Sprengsatz vor der Diskothek „Vanity“ auf den Kölner Ringen zünden zu lassen.

Blick stadtauswärts auf den Autobahntunnel der B55a in Kalk. In dem Bereich ereignete sich der Unfall.
Copyright: Thilo Schmülgen
Der besagte Zeuge hatte bei seiner Polizeivernehmung aber auch von Hörensagen gesprochen und erschien dem Gericht wenig glaubwürdig. Hinzu kam, dass der Mann beim Prozess offenbar nicht aussagen wollte. Beim Auftakt fehlte er unentschuldigt, nun schob er einen Arzttermin vor. Richter Karl-Heinz Seidel verzichtete auf einen weiteren Versuch einer direkten Vernehmung, da der Zeuge ohnehin nicht aussagen müsse. Denn der Mann wurde vom Angeklagten selbst schwer belastet.
Alles zum Thema Amts- und Landgericht Köln
- Absurder und tragischer Fall Kölnerin täuscht eigene Entführung vor und erpresst Lösegeld vom Ehemann
- Angeklagter aus Rösrath lehnt seine beiden Verteidiger ab
- Nachbarschaft terrorisiert „Der Intensivtäter unter den Intensivtätern“ vor Gericht
- Leiche in Wohnung Spektakuläre Wende in Kölner „Cold Case“ von 2011 – bisheriger Zeuge in U-Haft
- „Ich werde dich für immer lieben“ Stalking in Köln – drei aktuelle Fälle und was Betroffene tun können
- Leverkusener Kinderpornoprozess Haupttäter soll sechseinhalb Jahre in Haft
- Prozess Staatsanwaltschaft spricht von schlimmer Quälerei in Hürther Schlachthof
Denn seine Raserei im Februar mit bis zu Tempo 186 in der Spitze hatte der 22-jährige Beschuldigte damit erklärt, vom besagten Zeugen und weiteren Personen nach einem Café-Besuch in Kalk angegriffen worden zu sein. „Sie hatten Waffen und trommelten mit Stöcken auf mein Auto“, so schilderte es der Angeklagte. In Panik habe er sich mit seinem zugeparkten Auto zunächst den Weg frei gerammt und habe dann aufs Gaspedal gedrückt. Er sei verfolgt worden, habe an der Ausfahrt Höhenberg die Kontrolle verloren.
Köln: Staatsanwältin ging von illegalem Alleinrennen aus
Die Staatsanwältin hatte die Geschichte, die auch ein Zeuge gestützt hatte, nicht geglaubt. Sie sprach von einem Alleinrennen. „Sie wollten mal richtig Knallgas geben mit den 300 PS“, sagte die Anklägerin. Ohne Rücksicht sei der Angeklagte über die Stadtautobahn gebrettert, zum Glück sei niemand zu Schaden gekommen. Das sah das Gericht jedoch nicht so. Man könne nicht ausschließen, dass der Angeklagte tatsächlich verfolgt wurde. Zumindest sei nicht das Gegenteil bewiesen.
Was den 22-Jährigen aber ins Gefängnis brachte, war der Besitz des Sprengsatzes. Der hatte ein Gewicht von 1,3 Kilogramm, darunter 90 Gramm eines hochexplosiven Blitzknallsatzes. „Das ist schon eine richtige Hausnummer“, hatte ein Sprengstoffexperte des Landeskriminalamtes erklärt. Zum Vergleich: Eine 500-Gramm-Bombe würde zur Sprengung eines fest eingebauten Geldautomaten in Bankvorräumen benötigt. Und da würden schon Fenster zerstört und Türen aus den Angeln gehoben.
Schon im Ermittlungsverfahren hatte der Beschuldigte erklärt, dass es sich bei dem Sprengsatz um einen illegalen Silvesterböller gehandelt habe – zumindest sei er davon ausgegangen, als er ihn zusammen mit Raketen und Batterien „für 300 Euro auf der Straße in Finkenberg“ gekauft habe. Der Sprengsatz sei nach dem Feiern auf den Poller Wiesen übriggeblieben. Aufgrund eines Umzugs zurück zu seinen Eltern – dafür habe er das Auto gemietet – sei der Gegenstand im Golf gelandet.
Neues Verfahren: Polizei fand Schusswaffe bei dem Angeklagten
Die Staatsanwältin sah den Angeklagten auf aufgrund diverser Vorstrafen klar im „kriminellen Milieu“ verortet und sah keinen Raum für Bewährung. Dem schloss sich das Gericht an. Der Knackpunkt sei aber ein neues Vergehen: Im Mai sei der Angeklagte im aktuellen Verfahren von der Untersuchungshaft verschont worden. Und nur wenige Wochen später habe man ihn mit einer Schusswaffe erwischt. Auch in diesem Fall hat die Staatsanwaltschaft inzwischen Anklage erhoben.
Er habe im Gefängnis viel Zeit zum Nachdenken gehabt, hatte der Angeklagte erklärt. Er wolle in Zukunft ein redliches Leben führen und mit seiner Freundin eine Familie gründen. Seine erste Hafterfahrung ist es allerdings nicht. Vor drei Jahren sei er beim Heimatbesuch im Irak festgenommen worden, berichtete der heute 22-Jährige. Er habe in einem Restaurant eine Shisha geraucht, „und das durfte ich aus religiösen Gründen wohl nicht“. Mehrere Monate habe er in Bagdad im Gefängnis gesessen – bis er mithilfe der deutschen Botschaft und des Auswärtigen Amtes freigekommen sei.
