Kölner unterzeichnen PetitionFilmemacher war wegen Kriegsdienstverweigerung in Haft

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Ibrahim Cemil Özdemir streitet für das Recht auf Kriegsdienstverweigerung.

Ibrahim Cemil Özdemir streitet für das Recht auf Kriegsdienstverweigerung.

  • Der Filmemacher Özdemir wurde in der Türkei inhaftiert, weil er den Kriegsdienst verweigerte.
  • In Deutschland droht ihm die Abschiebung. Dagegen protestieren Dutzende Künstler und Politiker – auch aus Köln.
  • Der Verein „Connection“ fordert, die Türkei solle einen Ersatzdienst für Kriegsdienstverweigerer schaffen.

Köln/Bonn – Man kann sich nur vorstellen, was es mit einem Kind macht, wenn es mit ansehen muss, wie die Polizei das Haus der Eltern stürmt, Familienmitglieder zu Boden drückt und ihnen Waffen an den Kopf hält. Der Bonner Student und Dokumentarfilmer Ibrahim Cemil Özdemir (30) hat dies in der türkischen Metropole Istanbul vor 25 Jahren erlebt. Sein Vater, der in einer linken Organisation aktiv war, wurde verhaftet, die Familie war anschließend im Viertel stigmatisiert. „Niemand wollte mit uns reden und die Kinder wollten mit uns nicht spielen.“

Repressionen wie diese haben Özdemir darin bestärkt, sich gegen die Gewalt von Waffen zu entscheiden und Kriegsdienstverweigerer zu werden. Da es in der Türkei keinen Ersatzdienst gibt, brachte ihn dies in Konflikt mit den türkischen Behörden. Mehrmals wurde er in Haft genommen, mehrmals wurde er im Gefängnis misshandelt. 2015 kam er mit einem Studentenvisum nach Deutschland und blieb. Seitdem lebt er mit einer Duldung im Land, denn die Bundesrepublik erkennt türkische Kriegsdienstverweigerer nicht als politische Flüchtlinge an.

Mit einem Studentenvisum nach Deutschland

„Wenn ich wieder in die Türkei muss, werde ich wieder ins Gefängnis kommen und gefoltert werden“, sagte Özdemir dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ am Rand einer Veranstaltung des „Allerweltskino“ im Museum Ludwig, wo zwei Kurzfilme von Özdemir gezeigt wurden. Die Veranstaltung war auch gleichzeitig eine Solidaritätsaktion mit dem Regisseur. Drei Dutzend Menschen haben inzwischen gefordert, die drohende Abschiebung von Özdemir zu verhindern. Unter den Unterzeichnern der Petition befinden sich bekannte Künstler und Politiker wie der Kölner Musiker Rolly Brings, die Politiker Sahra Wagenknecht, Dietmar Bartsch, Jörg Detjen und Matthias Birkwald (alle Linke) sowie Sven Lehmann (Grüne), Cornelia Schmerbach (SPD) und die Schriftsteller Dogan Akhanli und Günter Wallraff.

„Die türkische Regierung verletzt systematisch Menschen- und Freiheitsrechte, unterdrückt gewaltsam ethnische und religiöse Minderheiten und erwägt erneut einen Einmarsch in

Syrien“, heißt es in dem Papier. Weiterhin sei die Türkei das einzige Mitglied des Europarats, dass seinen Bürgern das Recht vorenthalte, den Kriegsdienst zu verweigern. Dieses Recht habe der Europäische Gerichtshof 2011 zwar anerkannt, es wurde von der Türkei aber nicht umgesetzt. Stattdessen drohten Kriegsdienstverweigerern ein Kreislauf aus Strafverfolgung und Inhaftierung, der sie in die Illegalität zwinge. „Ibrahim Cemil Özdemir ist aufgrund der Verweigerung des Kriegsdienstes inhaftiert und gefoltert worden“, heißt in der Erklärung.

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Der Filmemacher erläuterte, dass er aufgrund seiner kurdisch-alevitischen Herkunft schon als Kind eine problematische Beziehung zum Staat gehabt habe. „Als kurdisch-alevitischer Bürger wird man in der türkischen Gesellschaft sowohl sozial als auch in staatlichen Institutionen diskriminiert und benachteiligt.“ Die Repressionen gegen seine politisch aktive Familie hörten auch später nicht auf. Seinen Vater habe er nach Verhaftungen monatelang nicht gesehen. Sein Bruder sei durch die permanente Verfolgung psychisch gebrochen worden.

In der Türkei studierte Özdemir Philosophie, Film- und Musikwissenschaften. Im Dezember 2012 wurde er erstmals von der Polizei verhaftet, damit er seinen Militärdienst antreten sollte. Er erklärte, er sei Totalkriegsdienstverweigerer und wurde wieder freigelassen. Özdemir gründete 2013 mit anderen einen Verein, der sich für die Interessen von Kriegsdienstverweigerern einsetzte. Der Druck auf ihn wurde stärker, schließlich ging er zum Studium nach Deutschland. „Ich habe Zuflucht in Deutschland gesucht, um am Leben zu bleiben und nicht meine Gesundheit zu verlieren.“

Doku über verschwundene Verwandten

Zweimal noch reiste er in die Türkei, um einen Dokumentarfilm über die „Samstagsmütter“ zu drehen. Frauen, deren Kinder vor Jahren spurlos verschwunden sind. Sie demonstrieren samstags in Istanbul und fordern Aufklärung über das Schicksal der Verwandten. „Ich konnte nur wenig filmen, dann wurde ich wieder aus politischen Gründen sowie wegen der Verweigerung des Militärdienstes festgenommen.“ Da sich die Situation seit dem Putschversuch gegen den türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan im Jahr 2016 zuspitzte, „wurde mir klar, dass meine Zukunft in Deutschland ist“.

Seit 2016 studiert er in Bonn Philosophie, das Studentenvisum ist aber seit 2017 abgelaufen, weil er für die Sprachprüfungen zu viel Zeit benötigt hatte, wie Özdemir einräumt. Er stellte einen Antrag auf humanitären Schutz. „Für mich wäre jeder Tag in der Armee grausam, ich würde eher ins Gefängnis gehen als zur Armee. Die türkische Armee ist eine verbrecherische Armee, sie hat viele Kriegsverbrechen begangen und tut dies immer noch“, sagt er mit Blick auf die Gewalt in den kurdischen Gebieten der Türkei und den Einmarsch der Türkei in Syrien.

Dokumentarfilm

Die Samstagsmütter machen wöchentlich auf das Schicksal Angehöriger aufmerksam, die in den 1980er und 1990er Jahren festgenommen wurden und seither verschwunden sind. Damals begann im Südosten des Landes der Kampf der PKK gegen die türkische Regierung. Aktivisten werfen der Regierung vor, den Verbleib der Verschwundenen nie untersucht zu haben. Seit 1995 gehen die Frauen regelmäßig friedlich auf die Straße. Vorbild sind die Mütter der Plaza de Mayo, die zuvor schon in der argentinischen Hauptstadt Buenos Aires demonstrierten.

Cemal Ibrahim Özdemir drehte seinen Kurzfilm „My Mother Is Saturday“ 2014 und 2015 in Istanbul. Da er anschließend nicht mehr in die Türkei reisen konnte, konnte er einen geplanten langen Dokumentarfilm nicht realisieren. Aus dem Material schnitt er schließlich einen Kurzfilm. (ris)

„Ich bin froh, dass es Menschen gibt, die sagen: Ich mache das nicht“, betonte Rudi Friedrich vom Verein Connection, der Kriegsdienstverweigerer unterstützt. Friedrich schätzt, dass es in der Türkei 450 000 Menschen gibt, die aufgrund ihrer Verweigerung in der Illegalität leben. Dies bedeute keine reguläre Arbeit zu haben, nicht heiraten zu können, keinen Pass zu besitzen. Friedrich forderte, Kriegsdienstverweigerer nicht wie in der Vergangenheit abzuschieben. Bislang vertrete Deutschland den Standpunkt, dass es das Recht der Türkei ist, Militärdienst von seinen Bürgern einzufordern und Verstöße zu sanktionieren.

Özdemir ergänzt: „Das Ministerium behauptet mir gegenüber, wegen Kriegsdienstverweigerung gibt es in der Türkei keine Folter oder unmenschliche Behandlung. Aber ich bin gefoltert worden, die Polizei wollte mich zum Kriegsdienst zwingen. Ich fordere keinen Gefallen vom deutschen Staat, ich fordere Menschenrechte. Die Bundesregierung darf nicht länger Helfer von Erdogan sein.“

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